Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman страница 20

Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

Скачать книгу

zuckten.

      Jetzt spürte ich, daß der Regen nachgelassen hatte und das Gewitter vorüber war. Thea kam auf die Treppe heraus und betrachtete uns und die Verwüstung. Es bestand wohl kaum mehr Gefahr für die anderen Häuser. Die Leute gingen langsam zurück, und ich übergab das Kind seiner Mutter. Das eingestürzte Gebälk brannte noch immer, doch nicht unkontrolliert. Ein gewissenhafter Mensch hatte eine Wache aufgestellt, die ab und an die Glut ausstampfte oder einen Eimer Wasser über ein Flämmchen goß. Bald wird es lediglich eine schwarze Lücke in der Häuserreihe geben. Kandidat Månson zog ein studentisches Seidenschnupftuch aus der Tasche und schneuzte sich.

      »Was für ein Mißgeschick«, sagte ich.

      Der Kandidat nickte. Nun mußte er wohl seinem Großonkel Bericht erstatten. Nicht sehr viele Wagen standen draußen, also war der größte Teil der Gutsfuhrwerke gewiß zerstört: Schlitten, Wagen, vielleicht auch Erntegerät. Wirtschaftlich konnte der Brand für den Hof schlimme Folgen haben, falls das Zerstörte nicht gut versichert war.

      »Oh, das Auto!« seufzte der Kandidat und begann den Ruß von der Stirn zu reiben. »Was der Onkel wohl sagen wird?«

      *

      Brief von Elisabet Gran an Balle Bondeson v. 3.6.1910

      Ekesta, den 3. Juni 1910

      Bester Balle!

      Hier lebt man herrschaftlich, kannst Du glauben, schlürft französische Liköre und macht Bekanntschaft mit schwedischen Stachelbeeren. Das Archiv ist ausgezeichnet – id est, ein kleiner Verschlag auf dem Dachboden, doch das Bündel Papiere, auf das wir aus waren, ist ein großer Erfolg. 42 Briefe der Brenner, da hat Schlippenbach was zu schlucken! Ansonsten fühlt man sich wie ein Pascha.

      Ein Problem plagt mich hier. Meine Kolleginnen sind richtig nett, und wir kommen tatsächlich bestens überein – doch wenn ich meine Crux erwähne, schauen sie mich nur mit großen Augen an. Sag mir, Balle, wenn Du den Geijer studierst, seine Füße zählst oder was Du sonst mit den Versen machst, glaubst Du, ihn weniger zu verstehen, weil Dir eine halbverrückte Ehefrau und kleine Tochter fehlt, Du nicht im Reichstag sitzt oder aus Värmland stammst? Siehst Du, das aber fange ich an zu glauben. Nein, nicht Värmland, da gingen sie mit mir durch. Aber sieh, Bruder Balle, die Brenner und ich sind schwerlich irgendwo gleich. Wenn auch ihr Vater ein Bürgerlicher war, meiner es ebenfalls ist und wir beide ein wenig Latein verstehen, so hört die Gemeinsamkeit damit s. z. s. auf.

      Jetzt klingt die Sache sehr verworren. Bester Balle, Prachtjunge! Stell Dir die Familie Brenner vor, eine begüterte Beamtenfamilie: mitten im Ruhm der Großmachtzeit, mitten in all den Schrecklichkeiten, Krieg, Tod und whatnot. Und der Kern der Familie war Sophia Elisabeth Brenner – sie, die nicht, wie sonst üblich, ihren Mädchennamen benutzte, sondern sich äußerst loyal wie der Gatte schrieb. Ich habe begonnen, sie zu mögen. Denk Dir irgendeine Frau (außer mir natürlich, das verbiete ich Dir): Heute ist die Welt voller Gänse, die fortwährend in Ohnmacht fallen und mitten am Tag zu Bett gebracht werden müssen – der eine unserer beiden Barone ist mit einer solchen vermählt: Nervenfieber und in die Schweiz weggesperrt, in der Hoffnung, sie möge bald sterben. Der Brenner schwanden wahrhaftig nicht die Sinne. Wann hätte sie dazu Zeit gehabt? Sie mußte sich schließlich um Heim und Dichtung kümmern. Sie war kein zartwandiges Gefäß, in Furcht vor Schwangerschaft oder um die Figur jammernd. Der Tod im Kindbett schreckte sie nicht. Sie vertraute auf den Herrn.

      Mag sein, die Großmachtzeit war voller Kraftweiber. Dennoch muß die Brenner mehr gewesen sein als andere. Wollte sie schreiben, fiel wahrhaft niemand in Trance vor ihrem Genie. Nein, die Dichtung mußte warten, bis es still geworden war daheim, die großen Töchter beim Nähen saßen, die Knaben beim Informator studierten und das letzte Wickelkind schlief. In diesen Stunden gelang Frau Brenner ein Hochzeitsvers, ein Epitaphium oder ein scherzhaftes Gelegenheitsgedicht. Es verwundert mich keinesfalls, daß sie gern Sonette schrieb – vierzehn Zeilen erfordern vielleicht eben die Zeit, die ein Wickelkind schläft oder ein Braten bis zum Wenden braucht. Das Reimgeflecht war im voraus erdacht, beim Glätten der Laken oder als sie die Töchter ermahnte.

      L. B.! Du weißt, ich bin keine Gans oder will es zumindest nicht sein. Hier komme ich nun zurück zu Geijer: Können Lic. Jansson, Red. Nordin und ich die Sophia Elisabeth Brenner überhaupt verstehen? Wir sind moderne, gebildete Frauen. Die Arbeit an der Herausgabe bewältigen wir schon, doch sind wir imstande, sie zu verstehen? Einen Mangel haben wir jedenfalls: Keine von uns ist vermählt und keine hat auch nur ein einziges Kind geboren. Was glaubst Du? Ist es dumm, über Verstehen nachzugrübeln, soll ich nur publizieren, damit nicht alles verquer läuft?

      Doch vielleicht grabe ich mir die Fallgrube ja selbst. Braucht es Verständnis für die Wissenschaft? Muß ich die Brenner verstehen, um sie herauszugeben? Du kannst wohl nach Linköping ins Freimaurerhotel schreiben, falls Du eine Meinung hast.

      Die Sonne scheint hier beinahe jeden Tag. Gestern war Gewitter, und der ganze Wagenpark brannte ab zum freiherrlichen Ärgernis aller Barone. Einer von ihnen macht mir stets den Hof, und ein jüngerer Verwandter konversiert ständig mit mir. Aber ich sitze auf meinem Glasberg und lasse Briefabschriften um mich gleiten. Ich verbleibe

      Tua

      Lissie.

      *

      4.6.1910

      Heute morgen in aller Früh, ehe die anderen erwachten und das Frühstück serviert wurde, schlich ich mich ganz allein nach draußen, um über diese Crux nachzudenken: Verstand ich die Brenner? Oder, was die Sache noch schlimmer machte: Verstanden wir die Brenner? Die Frage quälte mich, und ich wollte eine Lösung finden.

      Die Junimorgen sind fast immer sonnig, ungeachtet wie der Tag dann wird. Noch war es kühl, doch klar, und die Schatten waren scharf markiert, so deutlich, daß jeder Grashalm sich abzeichnete. Es duftete frisch, ob vom Grün, von den Blumen oder vom Tau, wußte ich nicht zu sagen, aber es kitzelte angenehm in der Nase. Feuchte Halme umspielten meine Füße, als ich über den Rasen ging. Wie konnte ich es erfahren? Wie konnte ich sie verstehen? Draußen auf dem Feld kamen drei Rehe gelaufen, sie hielten inne und blickten sich um. Auch ich blieb stehen. Ihre kleinen dreieckigen Köpfe bewegten sich hin und her, und dann verschwanden sie mit großen Sätzen in der Sicherheit des Waldes.

      War ich wirklich Weibs genug, um die Brenner zu verstehen? Mein ganzes Leben hatte ich der Wissenschaft gewidmet. Die Brenner war freilich zur Schule gegangen, in die deutsche Schule unter lauter Knaben, doch war sie sichtlich nicht zur Gelehrten bestimmt. Das hatte es für Mädchen nicht gegeben. Sie war nur von so außerordentlicher Begabung gewesen, daß die Gelehrsamkeit dennoch haftenblieb.

      Mit einer beruflichen Laufbahn hatte die Brenner natürlich nicht rechnen können, ich glaube nicht einmal, daß ihr der Gedanke gekommen war. Selbst noch bei unseren Müttern war das kaum der Fall. Einundzwanzig Jahre alt – nach damaligem Maß bereits ein wenig verblüht –, hatte sie Elias Brenner geheiratet und war eine Frau des Familienlebens geworden. Mit dreiundfünfzig war sie Witwe. Das jüngste Kind war damals eben erst zehn Jahre alt. Achtzehn Jahre darauf starb sie.

      Unsere Gelehrsamkeit reicht wohl aus, um die Brenner zu verstehen. Doch in allem übrigen ... Ich steckte die Hände in die Taschen der Leinenjacke und ging weiter. Selten war mir eine Frau begegnet, die dem Männergeschlecht so feindlich gesinnt war wie Choice. Indes wußte ich nichts über Thea und die Männer. Ich persönlich hatte nie größere Ambitionen zum Heiraten, doch ausgeschlossen habe ich die Sache nicht. Vermutlich hätte ich wohl gekonnt, wenn ich gewollt hätte. Leutnant Färla war recht entzückt von mir als frischgebackene Abiturientin, küßte mir die Hand und deutete an, er könne mir alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Doch wenn auch Monokel, Uniform und all die anderen Offiziersattribute

Скачать книгу