Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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zu ziehen. Dann wäre auch ich jetzt vermutlich so ein schwächliches Weibsbild, fiele bei den merkwürdigsten Anlässen in Ohnmacht und behauptete hartnäckig, Strindberg sei der Antichrist persönlich. Es kam ganz anders, und Gott sei Dank dafür.

      Meine Füße hatten den Weg über den Rasen gefunden, und jetzt stellte ich fest, daß sie zum See unterwegs waren. Ich ging die Böschung hinunter und betrat den Pfad. Um mich herum sangen die Vögel durchdringend. Ein leichter, lauer Wind wehte, ein Zephir, ein Lüftchen von Westen, von Finspång her. Der Duft des Grases und der Blumen wurde im Gehölz stärker. Auch nach Erde roch es. Die Natur blühte, die Vögel boten ihre Liebe feil. Ich war keusch und reingewaschen und erinnerte mich kaum, wann die Leidenschaft mich das letzte Mal in ihren Fängen hielt. Es war Jahre her, Myriaden von Jahren. Wenigstens in der Wirklichkeit.

      Geliebt hatte ich in der Tat. Ich war so verliebt gewesen, so verliebt in meinen Helge; wir lebten in der allerschönsten Studentenehe, schliefen in meinem Zimmer oder seinem, obgleich wir wußten, daß wir es weder sollten noch durften; wir bereiteten einfache Speisen auf dem Spirituskocher und gingen zusammen ins Theater: zweiter Rang zweite Reihe, denn die Zuschüsse von daheim sahen derartige Ausschweifungen nicht vor. Die Tischgemeinschaft, bei der wir uns das erste Mal trafen, war unser Freundeskreis, sechs Studenten und eine Studentin, gut verteilt über die Fakultäten.

      Vieles lernte ich dort beim Mittagstisch und zusammen mit Helge. Niemals wäre ich in die Forschung eingestiegen, hätte ich nicht erst das normale Leben kennengelernt. Das war es ja auch, was zum Bruch führte. Nach allen Liebkosungen und zärtlichen Worten kam es zum großen Eifersuchtsdrama zwischen Helge, mir und Carl Gustaf Leopold. Elias Brenner hatte seine Frau zu ihren Studien ermuntert. Helge Andersson ging in die Luft, als sich die Studien wichtiger erwiesen als er. Denn er hatte einen Referendarposten in Luleå erhalten – in seiner Studienzeit gab es wohl der Vergnügungen etwas zu viel und der Juristerei zu wenig – und ich war soeben mit Schlippenbach übereingekommen, mein Leben der Wissenschaft zu weihen. Das Resultat war der Explosion des Automobils nicht unähnlich: zunächst Hitze, Rauch und Beben und schließlich der endgültige Knall, der alle Menschen so rasch davonlaufen ließ, wie sie nur vermochten. Helge drohte sogar, alles meinem Vater zu berichten. Ich erwiderte, er könne es gern tun, wenn er dazu imstande sei. Je mehr sich Helge ins Zeug legte, desto kühler wurde ich. Es war fast, als hätte man eine kleine Luke geöffnet, so daß Durchzug entstand, und mit jedem Windstoß in unserem Streit wehte ein wenig Liebe hinaus. Ich suchte Helges Hemden und Gesetzesbücher zusammen und schickte das Paket mit Grüßen vom Professor heim an seine Mutter. Das war zwar nicht nett von mir, doch in jenem Augenblick erschien es mir äußerst angemessen.

      Zur Eheschließung kam es, was meine Person betraf, also nicht. Unverheiratet und kinderlos gehe ich hier durch den Eichenhain und grüble. Was macht einen Menschen zur Frau? Die biologische Funktion? Das Leben, das man führt?

      Die Eichen, hoch und mächtig, warfen ihre Schatten über den Hain. In Dodona stand eine sprechende Eiche, und in ihrem Rauschen gab Obergott Zeus Orakelantworten für die Zukunft. Im Hain von Ekesta sprachen die Eichen nicht. Sie rauschten eintönig und beruhigend. Ich stand in ihrem Schatten, legte den Kopf in den Nacken und rief zu den Kronen hinauf: »Antwortet, ihr Eichen! Wie kann ich verstehen?«

      Die Blätter bewegten sich leise. Eine hockende Gestalt war dort oben zu erkennen, doch war es wohl eher ein Ast als ein Baumgott. In einem Eichenhain am Morgen kann man leicht die Götter sehen, an welche die Antike glaubte, als die Welt noch jung war. In jedem Baum, in jeder Quelle wähnte man eine Gottheit. Ich fragte mich, woran meine Vorväter wohl geglaubt hatten. Erneut rief ich zu den Bäumen hinauf.

      »Hmmmm«, flüsterten die Kronen zur Antwort, doch klüger wurde ich daraus nicht.

      Was meine Ausbildung, meine Art zu denken, einen großen Teil meines Umgangs anbelangt, bin ich eigentlich ein Kerl. Die Dozenten Huund, Wallin und Bondeson sprechen nicht feiner mit mir als zueinander, und ich schätze es, sie als Kollegen zu haben.

      Der See lag vor mir, morgenstill. Ein Sprachforscher hatte mir einst erklärt, der Name Glan rühre eben von dessen heller Wasserfläche her, die oft, wie heute, ganz reglos erscheine. Dennoch behaupteten die Leute der Gegend, der See sei unberechenbar und blitzschnell aufgewühlt. Weiter draußen lagen verstreut ein paar Boote mit Berufsfischern oder Anglern. Der Morgen war still, hier an Land ebenso wie draußen auf dem See.

      Langsam wanderte ich zum Wasser hinunter, bis an den Uferrand, von dem die Steine weit hinausreichten. Kein Mensch war in der Nähe. Ich zog die Jacke aus und legte sie auf einen großen Felsbrocken, wo sie sicher schien. Die Angler waren weit weg. Vorsichtig schnürte ich die Schuhe auf, streifte sie ab und stellte sie neben den Stein. Alles war ruhig und das Frühstück noch in weiter Ferne. Ich sah mich gründlich um. Dann löste ich die Strümpfe und rollte sie über den Spann. Den einen Fuß an Land und den anderen im Wasser konnte ich fühlen, daß es recht warm war. Da wurde ich kühn. Zog mich aus und watete ins Wasser. Die Steine wurden kleiner, je weiter man hinauskam, und da sie rund waren, spürte man sie kaum unter den Füßen. Als mir das Wasser bis zu den Schenkeln reichte, begann ich zu schwimmen. Hinter dem Schilf sah ich fast den ganzen See, der sonnenbeschienen und still vor mir lag. Die Schwimmzüge hinterließen kleine Wellen, und von den Fingern breiteten sich Wasserringe aus.

      Es war warm und angenehm im Wasser. Ich schwamm ein Stück in Richtung Finspång, machte kehrt und legte eine kurze Strecke gen Norrköping zurück. Ein Boot weit draußen wurde landeinwärts gerudert. Wie eine Diana im Bad schwamm ich an Land, schüttelte das Wasser ab und stand splitternackt und tropfend am Strand. Hätte in den Booten ein Jäger heimlich Ausschau gehalten, ich hätte ihn verwandelt und ihm ein schreckliches Schicksal bereitet. Das Hemd mußte als Handtuch herhalten. Als ich es anzog, war es feucht und unangenehm auf dem Körper, doch als ich zum Herrenhof hinaufging, trocknete es rasch.

      Vom Hof waren laute Rufe und Lärm zu hören. Pferde wieherten, das Klappern von Wagen ertönte, die man offenbar herbeigeschafft hatte. Die Schafe lauschten mit erhobenen Köpfen, und die Lämmer sprangen um sie herum. Kinderstimmen waren stärker oder schwächer zu vernehmen, je nachdem, wie ihr Spiel über den Stallplatz wogte. Ein kleines Mädchen winkte eifrig in meine Richtung, mein kleiner Schützling vom Brandtag. Sie hatte beschlossen, mir auf ewig dankbar zu sein. Am nächsten Tag war sie mit einem großen Strauß weißen Labkrauts erschienen, mit viel Liebe und mit sehr kurzen Stengeln gepflückt.

      Der Morgen war vorüber und der Vormittag angebrochen. Meine Seele wandte sich Tee und Toast zu, und ich beschleunigte die Schritte. Na was! Es kann ja wohl nicht stimmen, daß ich mich für diese Tätigkeit nicht eigne. Ich bereute fast den Brief an Balle Bondeson. Mehr Frau als Schlippenbach war ich schließlich auf jeden Fall!

      *

      7.6.1910

      Ich habe Ekesta hinter mir gelassen und schreibe jetzt in einem Linköpinger Hotelzimmer. Es ist immer schwierig für einen Norrköpinger, in diese Stadt zu kommen, und ich vermisse die ländliche Gegend der Barone. Sie war so schön, so einfach. Fabian Gyllensporre zeigte sich beunruhigt, wie wir nach Finspång gelangen sollten, jetzt wo das Automobil »unbrauchbar« war. Genau so drückte er sich aus, und es fiel mir schwer, respektvoll zu bleiben. Gabriel Månson hatte erzählt, der Blechhaufen sei an die Hütte von Lotorp verkauft worden, um Hämmer daraus zu schmieden. Nun wollten wir weiter südwärts, nach Linköping, also ging es erst mit dem Boot Richtung Skärblacka und dann mit dem Zug über Kimstad.

      Nach dem Frühstück rollte die Kutsche zum See hinunter, nicht durch den Eichenhain natürlich, sondern auf besser gebahntem Weg. Ein paar Töpfe Farbe hatten dem Schwarz abgeholfen, das vom Feuer zurückgeblieben war, und Kandidat Månson handhabte die Zügel auf vernünftigere Weise als das Steuer des Automobils.

      Der Tag war genauso schön wie all die bisherigen auf Ekesta – der Brandtag ausgenommen –, und die Sonne und das Leben überhaupt vermittelten

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