Essentielle Werke des Heiligen Ambrosius von Mailand, Band 2. Ambrosius von Mailand
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Cap. 8
Der Herr will, daß seine Jünger volle Gewalt haben; er will, daß in seinem Namen von seinen Jüngern alles das vollbracht werde, was er selbst gewirkt, so lange er auf der Erde weilte. Hat er ihnen ja sogar gesagt: „Ihr sollet noch Größeres thun, als dieses.“ Er gab ihnen die Macht, Todte zu erwecken. Obwohl er selbst dem Saulus das Augenlicht wieder herstellen konnte, sandte er ihn doch zu seinem Diener Ananias, damit durch dessen Segnung das geschwundene Augenlicht wieder erschlossen würde. So hieß er auch den Petrus auf dem Meere wandeln, und nur als er bange zitterte, da tadelte er ihn, daß er die Gnadengabe des Glaubens durch Kleingläubigkeit verminderte. So verlieh er auch den Jüngern, daß sie das Licht der Welt sein könnten, wie er selbst das Licht der Welt war. Da er aus dem Himmel auf die Erde herabsteigen und wieder zum Himmel zurückkehren wollte, hat er auch den Elias zum Himmel erhoben, um auch ihn zur gegebenen Zeit wieder auf die Erde herabzusenden. Da er selbst im Feuer und dem heiligen Geiste taufen wollte, hat er durch Johannes die Geheimnisse der Taufe zum Voraus angedeutet.
Ja, Alles hat er seinen Jüngern gegeben, da er zu ihnen sagt: „In meinem Namen werden sie Teufel austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, Schlangen aufbeben, und wenn sie Tödtliches trinken, wird es ihnen nicht schaden; den Kranken werden sie die Hände auflegen und diese werden genesen.“ Alles hat er ihnen also verliehen; aber da ist nicht von menschlicher Macht und Gewalt die Rede, wo nur die Gnade des göttlichen Geschenkes gilt.
Warum leget ihr denn nun die Hände auf und glaubet an den Erfolg der Segnung, ob etwa der Kranke doch vielleicht genese? Warum nehmt ihr an, daß Einige von dem Einfluß des Teufels durch euch könnten befreit werden? Warum taufet ihr. wenn durch Menschen überhaupt keine Sünden dürfen nachgelassen werden? In der Taufe findet doch auch der Nachlaß aller Sünden statt: was ist denn für ein Unterschied vorhanden, ob die Priester im Sakramente der Buße oder im Sakramente der Taufe dieses ihnen verliehene Recht für sich in Anspruch nehmen? Dasselbe Geheimniß ist hier, wie dort.
Du entgegnest mir, daß im Bade der Wiedergeburt die Gnade der Geheimnisse wirkt. Was wirkt denn in der Buße? Oder wirkt dort nicht auch der Name und die Kraft Gottes? Wie nun? laßt ihr die Gnade da eintreten, wo es euch gefällt, während ihr sie zurückweiset, wenn es euch beliebt? Aber das ist doch unerträgliche Anmaßung, nicht heilige Furcht, wenn euch diejenigen zuwider sind, welche Buße thun wollen. Ihr könnet wohl die Thränen der Büßenden nicht ertragen? Eure Augen werden wohl verletzt durch die Armuth der Bußgewänder, durch den Schmutz des Trauerkleides? Stolzen Auges, hochmüthigen Herzens saget ihr zarten Seelen mit unwilliger verächtlicher Stimme: „Rühre mich nicht an; denn ich bin rein.“
Der Herr sagt freilich zu Maria Magdalena: „Rühre mich nicht an;“ aber er, der doch ganz rein war, setzt nicht hinzu: „denn ich bin rein.“ Und du, Novatian, du wagst es, dich rein zu nennen? Wärest du rein in deinen Handlungen, dieses hochmüthige Wort allein machte dich unrein. Isaias rief einst: „Weh mir armen zerschlagenen Manne! ich bin ein Mensch, habe unreine Lippen und soll in der Mitte eines Volkes wohnen, das auch unreine Lippen hat.“ Du sagst: ich bin rein; und doch ist nach den Worten der Schrift nicht das Kind von einem einzigen Tage rein. David flehte: „Von meiner Missethat, Herr, reinige mich;“ und doch hat ihn, da er barmherzig war, die Gnade des Herrn so oft gerechtfertigt. Du willst rein sein und bist doch so ungerecht, daß du kein Erbarmen fühlst, daß du vielmehr den Splitter im Auge deines Bruders siehest, während du den Balken im eigenen Auge nicht beachtest? Jeder, der unbillig handelt, ist aber bei Gott unrein. Und was kann es Unbilligeres geben, als wenn man die Nachlassung der eigenen Sünde beansprucht, während man Anderen die Bitte abschlagen zu müssen glaubt. Was gibt es Ungerechteres, als dich selbst gerechtfertigt zu erachten, während du den Nächsten verurtheilst, obwohl du schwerere Verbrechen begehst.
Uebrigens wollte der Herr Jesus die Verzeihung unserer Sünden auch damals deutlich genug kundgeben, als er dem Johannes auf dessen Ausruf: „Ich sollte von dir getauft werden, und du kommst zu mir?“ antwortete: „Laß es nur geschehen, denn es geziemt uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ So kam der Herr zu einem Sünder, da er doch selbst ganz ohne Sünde war; er wollte getauft sein, obwohl er keiner Reinigung bedurfte. Wer kann denn nun euch ertragen, die ihr keiner Reinigung durch die Buße zu bedürfen glaubt, weil ihr durch die Taufgnade gereinigt zu sein behauptet, gleichsam als wenn es für euch unmöglich wäre, zu sündigen?
Cap. 9
Freilich wendest du ein, daß geschrieben steht: „Wenn Mensch gegen Mensch sündigt, so wird man Fürbitte für ihn einlegen bei Gott; wenn aber ein Mensch wider Jehovah sündigt, wer mag dann bittend für ihn eintreten?“ Zunächst wiederhole ich, daß ich diesen Einwurf (von deinem Standpunkte aus) allenfalls würde hingehen lassen, wenn du lediglich die Abgefallenen von der Verzeihung ausschlössest. Dann aber frage ich: welche Bedenklichkeit bringt denn jene Frage? Es steht ja nicht geschrieben: „Niemand wird für ihn bitten,“ sondern: „Wer wird bittend eintreten?“ Damit wird nur die Frage aufgeworfen, wer in solchem Falle sich finden würde, der bittend eintreten könnte; keineswegs wird diese Möglichkeit ausgeschlossen.
So liesest du im vierzehnten Psalm [Hebr. Ps. 15]: „Herr, wer wird wohnen in deinem Zelte, oder wer wird ruhen auf deinem heiligen Berge?“ Damit ist nicht gesagt, daß Keinem dieses Loos zu Theil werde, sondern lediglich, daß nur der Bewährte, nur der Auserwählte dort wohnen und ruhen werde. Um zu beweisen, daß das der wahre Sinn der Worte ist, genügt es, die folgenden Worte des dreiundzwanzigsten Psalmes [Hebr. Ps. 24] anzuführen: „Wer wird hinaufsteigen den Berg des Herrn? oder wer wird stehen an seinem heiligen Orte?“ Der Psalmist will sagen: Nicht jeder gewöhnliche Mensch aus dem großen Haufen, sondern nur ein Mann von hervorragendem Lebenswandel und besonderem Verdienste wird hinaufsteigen. Das „Wer?“ ist nicht gleichbedeutend mit „Keiner,“ sondern mit „Irgend ein bestimmter.“ Darum antwortet David auf die Frage: „Wer wird hinaufsteigen?“ auch sofort: „Derjenige, welcher unschuldig an Händen und rein von Herzen ist.“ Anderswo heißt es: „Wer ist weise und versteht dieses?“ Soll denn damit gesagt werden, daß Keiner es verstehe? Im Evangelium aber heißt es: „Wer ist der treue und kluge Haushalter, den der Herr setzen wird über sein Gesinde, damit er zur rechten Zeit ihnen den angemessenen Unterhalt reiche?“ Und um zu zeigen, daß er hier von Jemanden rede, der allerdings vorhanden sei, fügt der Heiland hinzu: „Selig ist derselbe Knecht, den der Herr, wenn er kommt, also thun findet.“ Dahin gehört, meines Erachtens, auch jenes Wort: „Wer, o Gott, ist dir gleich?“ Darauf ist nicht zu antworten: schlechthin Keiner; denn der Sohn ist ja der Abglanz des Vaters.
In gleicher Weise ist auch das Wort zu fassen: „Wer wird bittend für ihn eintreten?“ Es heißt: Jemand muß von besonders heiligmäßigem Lebenswandel sein, wenn er für den eintreten will, der gegen den Herrn gesündigt hat. Je größer die Schuld ist, desto würdigere Fürsprecher muß man suchen. Nicht irgend ein Beliebiger aus der Menge, sondern Moses selbst bat für das Volk der Juden, als sie uneingedenk des geschlossenen Bundes das goldene Kalb anbeteten. Befand sich nun Moses damals im Irrthum? Gewiß nicht, denn er hat das, um was er bat, verdient und erhalten.