Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo
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Читать онлайн книгу Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 - Augustinus von Hippo страница 22
Dies Geständnis machte Cicero lange nach dem Tode des Africanus, den er in seinem Werke die Lehre über den Staat erörtern ließ, aber noch vor der Ankunft Christi; würden solche Ansichten nach der Ausbreitung und dem Obsiegen der christlichen Religion gehegt und geäußert, so würden unsere Gegner diese Zustände ohne Zweifel den Christen zur Last legen. Warum haben demnach ihre Götter nicht vorgebeugt, sondern den Staat, dessen Verlust Cicero lange vor der Ankunft Christi im Fleische so kläglich betrauert, damals zugrunde gehen lassen? Seine Lobredner mögen zusehen, in welchem Zustand sich das Gemeinwesen selbst unter jenen alten Römern und unter der Herrschaft der alten Sitten befand, ob darin wahre Gerechtigkeit blühte oder ob es etwa selbst damals schon nicht lebendig gewesen sei an sittlicher Kraft, sondern lediglich geschminkt mit farbiger Pracht, wie das auch Cicero unbewußt andeutete, da er von ihm in dem Bilde eines Gemäldes sprach. Wir werden das ja ein andermal, wenn es Gott gefällt, ins Auge fassen. Ich werde mich nämlich an seinem Orte[114] bemühen, an der Hand der Definitionen Ciceros, in denen er mit den Worten Scipios kurz die Begriffe Gemeinwesen und Volk feststellt [zur Bekräftigung dienen viele in derselben Erörterung enthaltene Ausprüche Ciceros selbst und derer, die er redend einführt], den Nachweis zu führen, daß jenes Gebilde niemals ein Gemeinwesen war, weil darin niemals wahre Gerechtigkeit zu finden war. Nach anderen Definitionen jedoch, die der Wahrheit näher kommen dürften, war es in seiner Art allerdings ein Gemeinwesen und dieses wurde von den Römern der alten Zeit besser verwaltet als von den späteren; aber die wahre Gerechtigkeit herrscht nur in dem Gemeinwesen, dessen Gründer und Leiter Christus ist, wenn man dieses Gebilde auch ein Gemeinwesen nennen will, da es ja unbestreitbar eine Sache des Volkes ist. Wenn aber diese Bezeichnung, die für einen andern Begriff und in anderem Sinne üblich ist, der bei uns gebräuchlichen Ausdrucksweise vielleicht weniger entspricht, so sagen wir: in dem Staate herrscht die wahre Gerechtigkeit, von dem die Heilige Schrift[115] rühmt: „Herrliches wird von dir gesagt, Staat Gottes“.
22. Die Götter der Römer haben sich stets völlig gleichgültig dazu verhalten, daß der Staat an Sittenlosigkeit zugrunde ging.
Was jedoch die vorliegende Frage betrifft, so mag man den römischen Staat, den der Vergangenheit und den gegenwärtigen, herausstreichen wie man will; es bleibt doch bestehen, daß er nach den gelehrtesten römischen Schriftstellern lange schon vor Christi Ankunft zum schlechtesten und sittenlosesten herabgesunken war oder vielmehr überhaupt kein Staat mehr war und an völliger Sittenlosigkeit zugrunde gegangen war. Damit es nun nicht zu diesem Äußersten komme, hätten die Götter, seine Schutzherren, dem sie verehrenden Volke vor allem Lebens- und Sittenvorschriften geben sollen, da sie doch vom Volke mit so vielen Tempeln, so vielen Priestern und vielgestaltigen Opfern, mit so zahlreichen und mannigfaltigen Gottesdiensten, mit soviel festlichen Feiern und mit so vielen und großartigen Festspielen verehrt wurden; aber bei all dem haben die Dämonen lediglich ihr Geschäft besorgt, gleichgültig dagegen, wie ihre Verehrer lebten, nein, eifrig darauf hinarbeitend, daß sie ein schlechtes Leben führen sollten, wenn sie nur zu ihren Ehren all das in knechtischer Furcht leisteten. Oder wenn die Götter solche Vorschriften erließen, so möge man die der römischen Bürgerschaft gegebenen Gesetze aufweisen, zeigen und verlesen, die die Gracchen übertreten haben, als sie durch Aufstände alles durcheinander brachten, oder ein Marius, ein Cinna, ein Carbo, als sie sogar zu Bürgerkriegen übergingen, die aus ganz ungerechten Gründen unternommen, mit Grausamkeit geführt und noch grausamer beendet wurden, ein Sulla endlich, dessen Leben, Sitten und Taten nach der Schilderung Sallusts und anderer Geschichtsschreiber nur allgemeinen Abscheu erregen können. Hier gibt es keinen Ausweg: der Staat war damals zugrunde gegangen.
Werden sie vielleicht — wie es oft geschieht — im Hinblick auf diese Sittenverwilderung unter der Bürgerschaft den Ausspruch Vergils[116] zur Verteidigung ihrer Götter entgegenhalten:
„Von den verlass'nen Altären und Tempeln entwichen die Götter
Insgesamt, auf denen das Wohl des Reiches beruhte“?
Ist dem so, dann haben unsere Gegner vor allem keinen Grund, sich über die christliche Religion zu beklagen, als hätten, durch diese beleidigt, ihre Götter sie verlassen, da ja ihre Vorfahren längst schon durch ihre Sittenlosigkeit die vielen kleinen Götter wie Mücken von den Altären der Stadt verjagt haben. Aber wo war diese Schar von Gottheiten zu der Zeit, als lange vor der Verderbnis der alten Sitten Rom von den Galliern eingenommen und niedergebrannt wurde? Damals ist ja die ganze Stadt in die Gewalt der Feinde gekommen, nur der kapitolinische Hügel war noch übrig, und auch der wäre erobert worden, wenn nicht statt der schlafenden Götter wenigstens die Gänse gewacht hätten. Infolge dessen wäre Rom beinahe dem Aberglauben der Ägyptier mit ihrer Tier- und Vogelanbetung verfallen; schon feierte man zu Ehren der Gans Feste. Indes handle ich hier noch nicht von derlei äußerlichen und mehr den Leib als die Seele betreffenden Übeln, wie sie von Feinden oder durch anderes Mißgeschick verursacht werden; vielmehr steht jetzt zur Besprechung der Sittenverfall, der mit allmähliger Veränderung anhub, dann aber wie ein Gießbach der Tiefe zudrängte, so daß das Gemeinwesen, obwohl die Häuser und die Mauern keinen Schaden aufwiesen, zur Ruine wurde und hervorragende Geister kein Bedenken trugen, es für verloren zu erklären. Mit Recht aber wären ,,die Götter insgesamt von den verlassenen Altären und Tempeln entwichen“ zum Ruin des Staates, wofern die Bürgerschaft ihre Vorschriften über rechtschaffenes Leben und Gerechtigkeit verachtet hätte. So jedoch, was waren das, ich bitte euch, für Götter! Sie weigerten sich mit dem ihnen ergebenen Volke zu leben und hatten doch nichts getan, um es durch Belehrung von den schlechten Wegen auf gute zu bringen!
23. Die wechselnden irdischen Verhältnisse sind nicht von der Gunst oder der Anfeindung der Dämonen, sondern von dem Ratschluß des wahren Gottes abhängig.
Ja sie scheinen ihnen sogar zur Befriedigung ihrer Begierden behilflich gewesen zu sein, jedenfalls haben sie deren Zügelung nicht zu ihrer Sache gemacht; standen sie doch dem Marius, einem politischen Neuling von obskurer Herkunft, dem blutrünstigen Urheber und Leiter von Bürgerkriegen, bei, daß er siebenmal Konsul wurde und in seinem siebenten Konsulate hochbetagt starb, ehe er in die Hände Sullas fiel, der bald hernach als Sieger auftrat. Haben ihm nämlich die Götter dazu nicht verholfen, so ist das ja ein köstliches Eingeständnis; denn dann kann auch ohne die Gunst ihrer Götter dem Menschen ein so großes zeitliches Glück, das ihnen nur zu sehr am Herzen liegt, zuteil werden; Menschen wie ein Marius können dem Zorn der Götter zum Trotz in den Vollgenuß des Wohlergehens, der Kraft, der Macht, der Ehren, des Ansehens und der Langlebigkeit gelangen und darin bis ans Ende verbleiben, und Menschen wie ein Regulus können trotz der Freundschaft der Götter durch Gefangenschaft, Sklaverei, Mangel, Schlaflosigkeit und Schmerzen gepeinigt und zu Tode gemartert werden. Wenn sie das zugeben, so gestehen sie damit schlankweg, daß die Götter nichts nützen und es überflüssig ist, sie zu verehren. Denn wenn die Götter hinsichtlich der seelischen Tugenden und der Rechtschaffenheit des Lebens, wofür der Lohn nach dem Tode zu erwarten steht, eher abträgliche Einrichtungen dem Volke darboten und wenn sie nun auch hinsichtlich der vergänglichen und zeitlichen Güter ihren Feinden nicht zu schaden und ihren Freunden nicht zu nützen