Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo
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10. Arglist der Dämonen ist es, wenn sie Schandtaten — sei es wirkliche oder erlogene — von sich erzählt wissen wollen.
Denn was man zur Rechtfertigung dieser Bühnenspiele vorbringt, daß sie nämlich nicht Wirkliches, sondern Erlogenes und Erdichtetes wider die Götter behaupten, gerade das ist noch verbrecherischer, wenn man die der Religion schuldige Ehrfurcht ins Auge faßt; wenn man sich dagegen die Bosheit der Dämonen vergegenwärtigt, wie hätte man es da schlauer und verschmitzter anpacken können, um irre zu führen? Wenn ein Vorwurf erhoben wird gegen einen guten und tüchtigen Staatslenker, ist das nicht umso nichtswürdiger, je weniger er zutrifft und je weniger sein Wandel Anlaß dazu bietet? Welche Strafen würden demnach zureichen, wenn einem Gott eine so frevelhafte, so außerordentliche Unbill zugefügt wird? Aber die bösen Geister, die man für Götter hielt, lassen sich auch Schandtaten, die sie gar nicht begangen haben, nachsagen, wofern sie nur durch solche Meinung von sich den Geist der Menschen wie mit Netzen umgarnen und mit sich in die prädestinierte Pein reissen können, mögen nun derlei Schandtaten jemals von Menschen begangen worden sein — in diesem Falle freuen sich die Dämonen darüber, daß solche Menschen für Götter gehalten werden, wie sie sich über alle Irrwege der Menschen freuen; sie setzen auch mit ihren tausenderlei Lug- und Trugkünsten sich an deren Stelle und nehmen für sie die göttliche Verehrung entgegen — oder mag es sich überhaupt nicht um wirkliche Verbrechen auch nur von Menschen handeln — dann lassen es sich eben diese ganz abgefeimten Geister gern gefallen, daß man solche Verbrechen Gottheiten andichtet, damit es den Anschein gewinne, als ob vom Himmel selbst ein so anregendes Vorbild für Verübung von Freveln und Schändlichkeiten auf die Erde herüberwirke. Da sich also die Griechen als Diener von solchen Gottheiten fühlten, so glaubten sie bei so vielen und schweren Schmähungen der Götter durch die Bühnenspiele auch für sich selbst keine Schonung von den Dichtern beanspruchen zu sollen, entweder weil sie ihren Göttern auch hierin ähnlich sein wollten, oder weil sie deren Zorn herauszufordern fürchteten, wenn sie nach einem besseren Rufe strebten und in dieser Richtung vor ihnen etwas voraus haben wollten.
11. Die Griechen haben die Schauspieler zur Verwaltung des Staatswesens zugelassen, weil es unbillig sei, daß sie, die die Götter versöhnen, von den Menschen verachtet werden.
Aus demselben Gefühl für Schicklichkeit heraus haben sie auch die Schauspieler dieser Fabeln nicht geringer Ehre von Seiten des Staates für würdig erachtet; wie nämlich in demselben Buche über den Staat berichtet wird[93] , widmete sich der Athener Aeschines, ein sehr beredter Mann, nachdem er in der Jugend Tragödien gemimt hatte, der politischen Laufbahn, und einen andern Tragödienspieler, Aristodemus mit Namen, ordneten die Athener oft in hochwichtigen Angelegenheiten des Friedens und des Krieges als Gesandten an Philippus ab. Denn es schien ihnen ungereimt, da diese Künste und diese Schauspiele, wie sie sahen, sogar ihren Göttern angenehm seien, die Akteure zu den Ehrlosen zu zählen. So hielten es die Griechen, schändlich allerdings, aber völlig im Sinne ihrer Götter: sie wagten es nicht, den Lebenswandel ihrer Bürger vor der Herabwürdigung durch Dichter und Schauspieler sicher zu stellen, da sie sahen, daß von diesen ja auch der Wandel der Götter, und zwar unter freudiger Zustimmung der Götter selbst heruntergezogen werde; und sie erachteten die Leute, die das, was nach ihrer Überzeugung den Gottheiten angenehm war, in den Theatern mimten, nicht bloß durchaus nicht für verächtliche Glieder das Staatswesens, sondern im Gegenteil für würdig der größten Ehren. Warum hätten sie auch zwar die Priester, durch deren Hand sie die den Göttern gefälligen Opfer darbrachten, ehren, dagegen die Schauspieler für. unehrlich halten sollen, durch die sie dieses Vergnügen, das die Götter als Ehrenerweisung forderten und über dessen Vorenthaltung sie gezürnt hätten, auf Anmahnung der Götter hin kennen lernten? zumal da Labeo[94] , den sie als den besten Kenner in diesen Dingen rühmen, die guten Gottheiten von den bösen auch durch die Art der Verehrung in der Weise unterscheidet, daß er die bösen durch blutige Opfer und düsteren Gebetsdienst günstig gestimmt werden läßt, die guten dagegen durch heitere und fröhliche Feiern, zum Beispiel, wie er selbst sagt, durch Spiele, Gastmähler, Polsterfeste[95] . Was es mit all dem für eine Bewandtnis hat, werden wir mit Gottes Beistand später erörtern. Ob nun auch allen Göttern als guten Göttern alle diese Arten von Verehrung unterschiedslos zugewendet werden [denn es soll doch keine bösen Götter geben, obwohl vielmehr alle böse sind, weil sie unreine Geister sind], oder ob, wie Labeo meinte, mit Unterschied den einen diese, den andern jene Feiern zukommen, jedenfalls haben in der vorwürfigen Frage die Griechen völlig zutreffend geurteilt, indem sie sowohl die Priester, die den Opferdienst versehen, als auch die Schauspieler, die die Spiele aufführen, für ehrenwert erachten, damit sie nicht allen ihren Göttern, falls die Spiele allen genehm sind, oder, was noch unpassender wäre, den vermeintlich guten Göttern, falls die Spiele diesen allein zusagen, offenbares Unrecht täten.
12. Die Römer haben es mit sich besser gemeint als mit ihren Göttern, da sie den Dichtern die Freiheit gegenüber den Menschen unterbanden.
Die Römer indes wollten ihren Wandel und ihren Ruf, wie in dem angeführten Werk über den Staat Scipio rühmt, nicht den Anwürfen und Beleidigungen von Dichtern preisgegeben wissen und setzten sogar die Todesstrafe darauf, wenn jemand ein solches Gedicht zu verfassen sich herausnähme. Diese Bestimmung zeugt zwar hinsichtlich ihrer selbst von schönem Ehrgefühl, in bezug auf ihre Götter aber von Hochmut und Unehrerbietigkeit; da sie nämlich wußten, daß sich die Götter nicht nur geduldig, sondern selbst mit Vergnügen durch die Anwürfe und Schmähungen von Dichtern herabsetzen lassen, so erachteten sie eben solche Unbilden nicht für ihre Götter, wohl aber für sich selbst als unpassend und schützten sich davor sogar durch ein Gesetz, Schmähungen ihrer Götter dagegen reihten sie sogar unter die heiligen Feiern ein. Du rühmst also wirklich, Scipio, die Unterbindung der Freiheit römischer Dichter, auch nur einem einzigen Römer