Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg
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Schließlich erörtern wir in Kapitel 7, was Einzelne und Gruppen heute tun können, um sich auf die veränderten Bedingungen in der Zukunft vorzubereiten, wie sie die Grundlagen für eine Wirtschaft und Lebensweise ohne Wachstum und ohne Kohlenstoff legen können. Als hoffnungsvolle Zeichen und Ansätze stellen wir Übergangsinitiativen und Common Security Clubs vor.
Ich empfehle, die Kapitel der Reihe nach zu lesen, weil die Argumente in diesem Buch aufeinander aufbauend entwickelt werden.
Die Arbeit an Das Ende des Wachstums hat mich verändert. Obwohl ich gut darauf vorbereitet war, das Projekt in Angriff zu nehmen, nachdem ich die letzten vier Jahrzehnte beobachtet hatte, wie und warum unsere bestehende wachstumsbasierte Wirtschaft nicht nachhaltig ist, fand ich es mehr als ernüchternd, zu Ende zu denken, welche Auswirkungen es hat, wenn weltweit die ökonomische Expansion aufhört. Auch Leser, die sich mit den relevanten Themen wie ökologische Ökonomie gut auskennen, werden wahrscheinlich feststellen, daß dieses Buch ihr seelisches Gleichgewicht in einer Weise erschüttert, die zugleich zutiefst verstörend und erhebend ist – weil es eine ganze Menge Ängste und Zweifel an der Wirtschaft explizit macht, die, wie ich denke, die meisten von uns unbewußt mit sich herumtragen.
E.3DIE GEFAHREN DER VORAUSSAGE
Dieses Buch trifft faktisch eine Voraussage: daß es kein weltweites Wirtschaftswachstum mehr geben wird. Es ist eine vorsichtige Voraussage, weil die Wahrscheinlichkeit einbezogen wird, daß relatives Wachstum weiter möglich ist, das heißt eine temporäre Expansion in einigen Volkswirtschaften und gelegentliche partielle Aufschwünge in anderen. Doch vorsichtig oder nicht, Voraussagen sind immer gefährlich, beim Wetter ebenso wie beim Pferderennen und ganz gewiß in der Wirtschaft.18
Manche werden sagen, entscheidend für eine Voraussage sei das Timing.19 Wenn eine Voraussage ein paar Jahre (oder bei manchen wissenschaftlichen Experimenten nur ein paar Millisekunden) zu spät kommt, geht sie daneben. Paul Ehrlich scheiterte spektakulär, als er 1980 mit Julian Simon wettete, die Preise von fünf Metallen würden in den nächsten zehn Jahren ansteigen. Eigentlich lag Ehrlich nur mit seinem Timing falsch: Wie wir gesehen haben, klettern seit 2000 die meisten Rohstoffpreise. Aber weil er den Anstieg der Rohstoffpreise zu früh verkündete, verlor er 10 000 Dollar und lieferte all jenen, die optimistisch sind, was die Rohstoffversorgung betrifft, eine endlos wiederholbare Anekdote.
Andere werden vielleicht sagen, in Situationen, bei denen die Vorhersage eine ernste Warnung beinhaltet, sei es oftmals wichtiger, daß die Warnung richtig ist, als daß sie zur richtigen Zeit kommt. Nehmen wir an, das Nationale Hurrikan-Vorhersagezentrum kündigt an, gegen 17 Uhr werde Miami von einem Hurrikan getroffen. Doch über dem Wasser verliert der Hurrikan an Geschwindigkeit, er trifft Miami erst um 23 Uhr und richtet dennoch erhebliche Zerstörungen an. Wichtig ist, daß die Menschen gewarnt waren und sich in Sicherheit bringen konnten. Daß nicht der genaue Zeitpunkt vorausgesagt wurde, ist demgegenüber nicht so wichtig – der Hurrikan ist deshalb nicht verschwunden.
Das Ende des Wachstums ist ein Prozeß, und zwar, wie ich hoffentlich deutlich machen konnte, ein unausweichlicher. Der Crash des Jahres 2008 war zweifellos ein Schlüsselmoment in diesem Prozeß, aber der Übergang von Wirtschaftswachstum zu wirtschaftlicher Schrumpfung wird sich noch über Jahre hinziehen. Phasen von relativem Wachstum werden es schwierig erscheinen lassen, unterdessen die in dem Titel dieses Buchs enthaltene Voraussage zu bestätigen oder zu widerlegen. Doch das wahre Anliegen dieses Buchs ist nicht, Punkte für die korrekte Vorhersage eines Ereignisses zu sammeln, das auf jeden Fall eintreten wird (ob in diesem Jahr oder erst in zehn Jahren), sondern die Leser und die Gesellschaft insgesamt zu warnen, damit wir uns erfolgreich anpassen und die Schäden möglichst gering halten können.
KAPITEL 1 DAS GROSSE BALLONRENNEN
»Wenige Ökonomen sahen unsere gegenwärtige Krise kommen, aber das Versagen bei der Vorhersage war das geringste Problem der Zunft. Viel schwerer wog ihre Blindheit für die Möglichkeit, daß es katastrophales Versagen in einer Marktwirtschaft geben kann.«
Paul Krugman (Wirtschaftswissenschaftler)
Die verbreitete Auffassung vom Zustand der Wirtschaft – daß die im Jahr 2008 ausgebrochene Finanzkrise durch faule Hypotheken verursacht wurde und daß letzten Endes, wenn die Scharten ausgewetzt sein werden, das Land wieder weitermachen kann wie vorher – ist auf tragische Weise falsch. In Wirklichkeit ist unsere Lage sehr viel beunruhigender, liegen die Wurzeln unserer Probleme sehr viel tiefer, und eine adäquate Reaktion wird uns viel mehr abverlangen, als nur abzuwarten, bis der Konjunkturzyklus wieder bei »Wachstum« ankommt. Tatsächlich steht unser Wirtschaftssystem vor einer dramatischen und faktisch auf Dauer angelegten Rückführung auf ein viel niedrigeres Funktionsniveau. Unsere gesamte Zivilisation wird »heruntergefahren«.
Warum haben die meisten klugen Köpfe diese Entwicklung verschlafen? Teils weil sie sich auf Wirtschaftsexperten mit Tunnelblick verlassen, der ihnen die Sicht auf die physischen Grenzen des Planeten Erde versperrt – den Kontext, in dem die Volkswirtschaften funktionieren.
In diesem Kapitel werden wir zum einen skizzieren, wie Volkswirtschaften und wirtschaftswissenschaftliche Theorien sich von der Antike bis heute entwickelt haben, zum anderen, wie und warum einige moderne Industriestaaten – allen voran die USA – heute Kasinos ähneln und ein erheblicher Teil der wirtschaftlichen Aktivität die Form spekulativer Wetten auf Anstieg und Fall der Preise einer ganzen Reihe realer oder virtueller Vermögenswerte annimmt. Und wir werden sehen, warum all diese Entwicklungen uns in die Sackgasse geführt haben, in der wir heute stecken.
Um eine möglichst breite Perspektive zu eröffnen, beginnen wir unsere Geschichte ganz am Anfang.
Wirtschaftsgeschichte in zehn Minuten
Mehr als 95 Prozent unserer Geschichte lebten wir Menschen als Jäger und Sammler in Schenkökonomien, wie die Anthropologen sie nennen.1 Die Menschen hatten kein Geld, und zwischen den Angehörigen einer Gruppe gab es weder Tausch noch Handel. Handel fand statt, aber nur zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen.
Es ist nicht schwer zu erkennen, warum Teilen in jeder Gruppe von Jägern und Sammlern die Regel war und Handel auf die Kontakte zu Fremden beschränkt blieb. Die Gruppen waren klein, üblicherweise zwischen 15 und 50 Personen, jeder kannte alle anderen und war von ihnen abhängig. Vertrauen spielte die entscheidende Rolle für das Überleben des Einzelnen, und Konkurrenz hätte das Vertrauen untergraben. Handel ist seinem Wesen nach eine Betätigung, bei der es um Konkurrenz geht: Jeder Händler möchte das beste Geschäft machen, auch auf Kosten der anderen Händler. Für Jäger und Sammler war Kooperation – nicht Konkurrenz – der Weg zum Erfolg, und so wurde angeborenes Konkurrenzstreben (besonders unter den männlichen Gruppenmitgliedern) durch Rituale und Sitten gebremst, während eine ausgeklügelte Struktur, in der jeder Verpflichtungen gegenüber jedem anderen hatte, dazu beitrug, eine generell kooperative Einstellung zu erhalten.
Heute kennen wir noch Überreste von Schenkökonomien, vor allem in der Familie. Wir führen nicht genau Buch, wieviel wir für unser dreijähriges Kind ausgeben, damit irgendwann später die Rechnung beglichen werden kann; vielmehr