Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg
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Der Gang der Ereignisse seither scheint das Peak-Oil-Szenario zu bestätigen und die Auffassung der Öloptimisten zu widerlegen. Der Ölpreis kletterte stetig weiter – und aus vollkommen nachvollziehbaren Gründen: Immer weniger neue Ölfelder wurden entdeckt, und die Erschließung der meisten neuen Felder war viel schwieriger und teurer als die der früher entdeckten. Mehr und mehr ölproduzierende Länder erlebten, daß ihre Förderquoten einen Höhepunkt überschritten und dann zurückgingen, trotz aller Bemühungen, das Produktionswachstum durch den Einsatz neuer, kostspieliger Fördermethoden wie Einpressen von Wasser, Stickstoff oder Kohlendioxid zu erhalten. Auf den alten, gigantischen Ölfeldern der Erde, die den Löwenanteil der weltweiten Ölfördermenge liefern, beschleunigte sich der Rückgang der Produktion. Gleichzeitig wuchs die Produktion von Flüssigbrennstoffen aus Teersanden nur langsam, und die Ausbeutung von Ölschiefer ist immer noch ein leeres Versprechen für die ferne Zukunft.15
Von der erschreckenden Theorie zur noch erschreckenderen Realität
Im Jahr 2008 wurde das Peak-Oil-Szenario auf einmal sehr real. Die weltweite Ölproduktion stagnierte seit 2005, die Preise waren in die Höhe geschnellt. Im Juli kostete ein Barrel Öl fast 150 Dollar – um die Hälfte mehr (inflationsbereinigt) als beim »Ölpreisschock« in den 1970er Jahren, der die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte. Im Sommer 2008 wankten die PKW- und LKW-Industrie, das internationale Transportwesen, die Landwirtschaft und die Fluggesellschaften.
Aber was dann passierte, fesselte die weltweite Aufmerksamkeit derart, daß die Ölpreise bald vergessen waren: Im September 2008 stand das Weltfinanzsystem vor dem Zusammenbruch. Am meisten diskutiert als Gründe für die plötzliche, massive Krise wurden Immobilienblasen, fehlende Regulierung der Banken und die Schwemme seltsamer Finanzprodukte, die fast niemand mehr richtig verstand. Tatsächlich spielte aber auch der Ölpreis eine wichtige (wenngleich häufig übersehene) Rolle als Auslöser des ökonomischen Kollapses.16
Nach dieser Nahtoderfahrung des globalen Finanzsystems sah es so aus, als würden das ein Jahrzehnt zuvor beschriebene Peak-Oil-Szenario und das Standard-Szenario aus Die Grenzen des Wachstums von 1972 mit geradezu unheimlicher und erschreckender Präzision eintreffen. Der weltweite Handel brach ein. Die größten Automobilproduzenten der Welt rangen ums Überleben. Die US-Flugzeugindustrie war um fast ein Viertel geschrumpft. In armen Ländern überall auf dem Globus brachen Hungerrevolten aus. Kriege im Irak (dem Land mit den zweitgrößten Rohölvorkommen weltweit) und in Afghanistan (dem Standort umstrittener Öl- und Gaspipeline-Projekte) leerten die Kassen der wichtigsten erdölimportierenden Länder der Welt immer weiter.17
Unterdessen bot die anhaltende Debatte, was getan werden könnte, um den weltweiten Klimawandel aufzuhalten, ein Beispiel der politischen Untätigkeit, die die Welt seit den frühen 1970er Jahren auf den Weg ins Verderben gebracht hatte. Inzwischen lag es für die große Mehrheit der Menschen, die mit den wissenschaftlichen Daten vertraut waren, auf der Hand, daß die Welt zwei dringende, unabweisbare Gründe hat, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden: einerseits die drohende Klimakatastrophe, andererseits die schrumpfenden Brennstoffvorräte. Doch bei der großen internationalen Klimakonferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 traten die Prioritäten der meisten vom Erdöl abhängigen Länder klar zutage: Begrenzung von Kohlenstoffemissionen und weniger Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, aber nur, wenn dadurch das Wirtschaftswachstum nicht in Gefahr gerät.
Grafik 8. Weltmarktpreise für Rohöl, 2000–2011.
Quelle: US Energy Information Administration.
Platzende Blasen
Wie wir in den Kapiteln 1 und 2 sehen werden, hatten die Erwartungen, daß das Wachstum anhalten werde, in früheren Jahrzehnten zu einer gewaltigen Verschuldung von Konsumenten und Staaten geführt. Ein immer geringerer Teil von Amerikas Wohlstand kam durch die Erfindung neuer Technologien und die Herstellung von Konsumgütern zustande, ein immer größerer Teil durch den Kauf und Verkauf von Häusern oder durch das Verschieben von Geld von einer Anlage zur nächsten.
Während das neue Jahrhundert heraufdämmerte, taumelte die Weltwirtschaft von Blase zu Blase: von der Blase der asiatischen Volkswirtschaften über die Dotcom-Blase zur Immobilienblase. Kluge Investoren wußten, daß diese Blasen schließlich platzen würden, weil Blasen immer platzen, und die allerklügsten lauerten darauf, früh einzusteigen und schnell genug auszusteigen, um große Gewinne mitzunehmen und dem anschließenden Chaos zu entgehen.
Um 2007/2008 schlossen der Peak Oil und andere Ressourcengrenzen die Zapfhähne des Wachstums, aber die Nöte der Durchschnittsbürger schienen ganz andere Ursachen zu haben: Arbeitsplatzverluste und kollabierende Immobilienpreise.
In den fieberhaften Jahren zwischen 2002 und 2006 verließen sich Millionen Amerikaner auf steigende Immobilienpreise als Einkommensquelle, sie nutzten ihre Häuser gewissermaßen als Geldautomaten (um die damals so oft gebrauchte Formulierung noch einmal zu strapazieren). Solange die Preise weiter kletterten, fühlten Hausbesitzer sich berechtigt, mit geliehenem Geld Küche und Bad zu modernisieren, und die Banken gaben gerne Kredit. Unterdessen fanden die Zauberer an der Wall Street Mittel und Wege, ausfallgefährdete Hypotheken in Scheiben zu schneiden und neu zu verlockenden CDOs (besicherten Schuldverschreibungen) zusammenzusetzen, die sie mit Gewinn an Investoren verkaufen konnten – mit wenig oder ganz ohne Risiko! Schließlich galt als ausgemacht, daß die Immobilienpreise immer weiter steigen würden. Gott schafft nicht mehr Land, lautete die Binsenweisheit.
Kredite und Schulden expandierten in der Euphorie des leichten Geldes. Der sprühende Optimismus brachte mehr Arbeitsplätze in der Bau- und Immobilienbranche und verschleierte, daß in der Produktion kontinuierlich Arbeitsplätze verlorengingen.
Ein paar starrköpfige Finanzexperten beschrieben die Situation mit Begriffen wie »Kartenhaus«, »Pulverfaß« und »Dynamit«. Es fehlte nur der sprichwörtliche Windstoß oder Funke, der die Katastrophe auslösen würde. Der extreme Ölpreisanstieg Mitte 2008 führte dazu.
Tatsächlich wirkte die Immobilienblase selbst nur wie eine lange Zündschnur: Das gesamte Wirtschaftssystem war mittlerweile abhängig von nichteinlösbaren Erwartungen an anhaltendes Wachstum und mußte unweigerlich explodieren. Das Geld war an Kredite geknüpft, und die Kredite waren an Wachstumserwartungen geknüpft. Als das Wachstum 2008 einbrach, setzte eine Kettenreaktion von Insolvenzen und Bankrotten ein: Wir erlebten eine Explosion in Zeitlupe.
Inzwischen haben die Regierungen hart dafür gearbeitet, daß das Wachstum wieder anspringt. In sehr bescheidenem Maße und nur vorübergehend waren die Bemühungen Ende 2009 und 2010 erfolgreich, aber man übersah dabei geflissentlich den grundlegenden Widerspruch im Zentrum unseres gesamten ökonomischen Systems: die Annahme, wir könnten in einer endlichen Welt unendliches Wachstum haben.
Was kommt nach dem Wachstum?
Die Erkenntnis, daß wir den Punkt erreicht haben, an dem das Wachstum nicht weitergehen kann, ist unbestreitbar deprimierend. Aber haben wir diese psychische Hürde erst einmal überwunden, erwarten uns halbwegs gute Nachrichten. Das Ende des Wirtschaftswachstums bedeutet nicht automatisch, daß es keine qualitativen Verbesserungen unseres Lebens mehr geben wird.
Nicht alle Ökonomen sind dem Glauben verfallen, daß das Wachstum für alle Zeit so weitergehen