Skelett des Grauens. Martin Willi

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Skelett des Grauens - Martin Willi

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monotheistischen Christentum gibt es prinzipiell nicht mehrere, nach Funktionen unterschiedene Götter, daher also auch keinen Wettergott. Im Volksglauben jedoch wird der Apostel Petrus als verantwortlich für das Wetter angesehen und darum auch gerne als Wettergott bezeichnet. Diese Bezeichnung hat sich vom Volksglauben gelöst und ist in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Zuschreibung rührt vermutlich daher, dass Petrus in mittelalterlichen Darstellungen zuständig ist für das Öffnen und Schliessen der Himmelspforte. «Petrus hat die Himmelsschleusen geöffnet», lautet bisweilen im Volksmund die bildhafte Umschreibung des Regenwetters. Auch als kulturgeschichtlicher Nachfolger des römischen Gottes Janus steht Petrus in enger Verbindung mit Wettererscheinungen.

       2) Mittwoch

      Ein langer anstrengender Arbeitstag, der an Petras Körper zehrte, neigte sich langsam, aber sicher dem verdienten Ende entgegen. Ich bin auch nicht mehr die Jüngste. Vor ein paar Jahren machten mir solche langen Tage viel weniger aus als heute. Sie sass an ihrem Schreibtisch im Büro der aargauischen Kriminalpolizei in Aarau, und freute sich auf einen gemütlichen, erholsamen Feierabend. Sie würde mit Ulrich auf dem Balkon sitzen, ein Glas Wein trinken und den Herbstabend geniessen. Zunächst aber nervte sie eine lästige, wild umherschwirrende Fliege. Was hast du eigentlich für einen Nutzen, du kleines Mistviech? Warum bist du bloss auf dieser Welt? Mit einem Teil der heutigen Tageszeitung versuchte sie die Fliege zu erschlagen, ihrem sowieso nutzlosen Leben, ein Ende zu machen. Die ersten Angriffe missrieten vollends. Aber immerhin schaffte es Petra, dass sich die Fliege davonmachte und nun in einem anderen Teil des Büros umhersurrte. Bleib bloss wo du bist, sonst reiss ich dir deine Flügel aus, einer nach dem andern, schön genüsslich. Selber schuld, jawohl! Habe ich etwa eine sadomasochistische Ader in mir, wenn ich solche Sachen denke? Ach Quatsch, Sadomaso ist nichts für mich. Oder doch? Ich hab’s ja noch gar nie ausprobiert. Es gibt offenbar viele Menschen, die darauf stehen. Aber Sex ist doch was Schönes, Erotik muss doch vor allem Spass und Vergnügen sein. Wenn man Schmerzen hat, so kann es bestimmt keine Freude machen. Vielleicht mal ausprobieren, nur ganz wenig? Nein, ich glaube, das ist nichts für mich.

      Petra schloss ihre müden und gereizten Augen, in denen sie ein unangenehmes Jucken verspürte, vor allem im rechten Auge. Wieder mal zu lange in den Bildschirm geschaut. Immer das blöde rechte Auge. Also, die Kriminalkommissare im TV und Kino müssen sich nie mit so viel Schreibtischarbeiten rumschlagen wie ich. Die haben für sowas immer irgendwelche Assistenten. Sie hielt ihre Arme in die Luft, kreiste mit ihren Schultern und bewegte sachte ihren Kopf in alle Richtungen. Schön langsam, nichts überstürzen, sonst krieg ich wieder Kopfschmerzen.

      Dr. Emanuel Wohlers, ihr Neurologe, war bei ihrem letzten Kontrolluntersuch mehr als zufrieden mit ihr. Sie hatte es jetzt schon seit einem halben Jahr geschafft, pro Monat nicht mehr als an zehn Tagen Schmerzmittel zu sich zu nehmen, was sie durchaus als Erfolg verbuchen konnte. «Wissen Sie, Frau Neuhaus», meinte Dr. Wohlers, «ihr Körper muss lernen, mit den Kopfschmerzen zu leben, auch ohne, dass sie sich jedes Mal gleich einige Pillen einwerfen. Versuchen Sie sich zu entspannen, sagen Sie auch mal Nein und lernen Sie zu erkennen, was Ihnen guttut. Das hilft oft besser als jede Chemie.» Nebst den chronischen Kopfschmerzen hatte sie auch ihre langjährigen Depressionen viel besser im Griff als noch vor Jahren. Zurzeit war sie daran, ihre Antidepressiva kontinuierlich zu reduzieren. Sie hatte sich zum Ziel genommen, bis in spätestens zwei Jahren vollkommen davon befreit zu sein. In die Psychotherapie ging sie schon seit einem halben Jahr nicht mehr, sie wollte ihr Leben alleine in den Griff bekommen und meistern.

      Petra stellte ihren Computer mit Namen «Harry» ab, stand auf und ging langsam zum Fenster, das sie öffnete. Ihr Blick richtete sich zur Aare hinunter und sie sehnte sich danach, wieder mal im Fluss zu baden. Auch wenn es schon September war, so sollte das doch dieses Jahr noch möglich sein, dachte sie sich. Warm genug war es auf jeden Fall noch. Wie oft bin ich früher hier am offenen Fenster gestanden und habe meine geliebten Marlboros geraucht. Ach Gott, bin ich froh, dass das hinter mir liegt und vorbei ist. Bin ich wirklich froh? Manchmal habe ich schon etwas Lust dazu, aber nein, ich hab’s Ulrich versprochen. Ich darf ihn nicht anlügen und hintergehen. Ungesund ist es ja sowieso, das weiss ich ja.

      «Bist du schon in Feierabend-Stimmung?» Erwin Leubin trat forsch in Petras Büro. «Es gibt Neuigkeiten von unserem Baustellenskelett.»

      «Ach ja, dann erzähl schon.» Seit Montag als die Knochen durch Ibrahim Mansour ausgegraben wurden, konnte sie in diesem Fall nicht viel unternehmen. Sie musste zunächst mal wissen, um welche Knochen es sich beim Toten handelte. Die Forensiker hatten mittlerweile grosse Teile des Skelettes geborgen und wie ein Puzzle zusammengefügt. Kein Job für mich, dachte sie diesbezüglich schon oft. Sie bewunderte die Tätigkeit der Forensiker, der Gerichtsmediziner aufrichtig.

      «Hier ist der aktuelle Bericht unseres Pathologen Joseph Heidenreich.» Mit diesen Worten überreichte ihr Erwin ein umfangreiches Dokument. Interessiert begann sie den Bericht zu lesen. «Der Kopf wurde mit einer grossen Axt abgetrennt. Oh Gott, wer macht denn sowas?» Ein Schauer durchlief ihren Körper und kopfschüttelnd setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch, sie las weiter. «Also, Heidenreich schreibt, das Opfer war oder ist männlich, wie auch immer. Er war beim Ableben etwa 40 Jahre alt. Beim Opfernamen schreibt er nicht etwa unbekannter Mann, sondern Skelett des Grauens.»

      «Ist doch passend, Heidenreich zeigt sich wieder mal von seiner kreativen Seite. Er wird mir je länger, je sympathischer. Mit seiner Fantasie sollte er Kriminalautor werden.»

      «Dann soll er aber bitte Kriminalromane schreiben, die auch der Wirklichkeit entsprechen können. Viele Romane, die ich gelesen habe, sind oft grundsätzlich zwar spannend geschrieben, aber ansonsten liegen sie mit ihrer Geschichte vollkommen neben der Realität, jenseits von Gut und Böse. Diese Autoren sollte man verbieten.»

      «Tja, das finde ich auch. Aber genau diese unrealistischen Romane landen oft auf der Bestsellerliste und werden dann auch noch verfilmt. Das kannst du nicht ändern Petra, oder willst du die Bücher verbrennen wie im Dritten Reich?»

      «Ach hör schon auf, so meinte ich das doch nicht. Auf meiner persönlichen Bestsellerliste findest du diese Bücher sicher nicht. Okay, lassen wir das, ab sofort haben wir also den Mordfall ‹Skelett des Grauens› aufzuklären.» Petra musste kurz über diesen Titel schmunzeln und überflog die weiteren Zeilen. So erfuhr sie, dass der Mordfall vor etwa zehn Jahren verübt worden sein muss. «Gibt es aus dieser Zeit irgendwelche Vermisstmeldungen, auf die unser Opfer passen würde?»

      «Ich habe den Bericht von Heidenreich eben erst bekommen und bin damit sofort zu dir gekommen. Ich habe also sonst noch nichts unternommen, hatte dazu keine Zeit.» Erwin Leubin setzte sich gegenüber von Petra auf einen Stuhl. «Sollen wir Schweizweit nach vermissten Männern aus jener Zeit suchen oder nur regional?»

      «Natürlich in der ganzen Schweiz, was für eine Frage. Das Opfer kann ja von überall her kommen und hier ums Leben gebracht worden sein. Es ist auch möglich, dass der Mord gar nicht in Hirschthal geschah, sondern dass die Leiche dorthin geschafft wurde. Oder es handelt sich beim Toten um irgendeinen Ausländer, der hier Ferien machte, oder es war ein Asylanwärter.»

      «Oh, das wird aber beinahe so was wie die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen, nicht wahr?»

      «Genau, es sei denn, uns kommt der sogenannte Zufall zu Hilfe.» Noch wusste Petra nicht, dass es eben dieser Zufall sein wird, der ihr schon bald eine erste Spur liefern würde. Entschlossen stand die Kommissarin auf, trat zu Erwin und meinte: «Aber weisst du was? Wir machen jetzt Feierabend. Lass uns morgen weitermachen. Nach zehn Jahren kommt es auch nicht mehr darauf an, ob wir den Fall ein paar Stunden früher oder später aufklären.»

      Überrascht von Petras Worten stand Erwin auf und sagte leicht irritiert: «So kenne

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