Skelett des Grauens. Martin Willi

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Skelett des Grauens - Martin Willi

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dann bis Morgen, schönen Feierabend.»

      «Wünsch ich dir auch.»

      Neunzig Minuten später sass Petra auf ihrem Balkon und schaute in den abendlichen Herbsthimmel empor. Zwei Rotmilane schwebten majestätisch umher, immer wieder gejagt von einigen Krähen, wenn die Rotmilane es wagten, zu nahe an deren Revier zu fliegen. Die Milane mussten irgendwo in der Nähe ihr Zuhause haben, denn Petra konnte sie praktisch täglich beobachten. Sie tat dies gerne und sie dachte oft, wie schön es wäre, wie ein grosser Vogel über die Erde zu fliegen. Ein lauer Herbstwind wirbelte die ersten von den Bäumen runter gefallenen Blätter quirlig durch die Luft. Petra machte den Reissverschluss ihrer Strickjacke zu, denn es fröstelte sie ein wenig. Wann kommt denn endlich Ulrich nach Hause? Wenn er da ist, so wird es mir nicht mehr zu kühl sein. Er wird mir die nötige Wärme geben, körperlich wie auch seelisch. Ulrich hatte zwar noch immer seine alte eigene Wohnung in Rombach, aber die meiste arbeitsfreie Zeit verbrachten sie zusammen in der Wohnung von Petra. Daher war der Gedanke, wann Ulrich nach Hause kommt, für Petra ganz normal. In diesem Moment hörte sie denn auch, wie ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt und umgedreht wurde, wie sich die Eingangstüre öffnete.

      «Hallo, bist du schon da?», tönte es aus der Diele. Ulrich setzte sich auf den Stuhl beim Wohnungseingang und öffnete die Schnürsenkel seiner schwarzen Halbschuhe.

      Petra kam ihm vom Balkon entgegen, gerade im Moment, wo er bereits in seinen Hausschuhen um die Ecke der Diele ins Wohnzimmer trat. Beinahe wären sie zusammengestossen. «Hallo Ulrich, schön, dass du zuhause bist.»

      Wenig später sassen sie auf dem Balkon, tranken ein Glas Rotwein und assen Brot, Käse und Oliven dazu. Bereits war die Sonne durch den halbrunden Mond am Himmelszelt abgelöst worden. Erste Nebelschwaden schlichen den Sträuchern entlang, wie Geister ohne Köpfe schienen sie sich die Welt einzunehmen, sie wie in einer Märchenwelt zu umhüllen. Auch wenn sich Petra auf den Feierabend gefreut hatte, so war sie in Gedanken noch immer bei der Arbeit, beim Fall «Skelett des Grauens». Nur selten gelang es ihr in der Freizeit von ihren Kriminalfällen loszukommen. Dies entging auch Ulrich nicht. «Gibt es etwas Neues in deinem Fall mit den Menschenknochen von der Baustelle?»

      «Ja, es gibt etwas Neues - Der Fall heisst jetzt offiziell ‹Skelett des Grauens›».

      «Oh, das tönt ja fast schon so gruselig wie in einem Horrorfilm. Es könnte aber auch ein Titel von Edgar Wallace oder Agatha Christie sein. Die hatten auch immer so tolle Titel wie `Der Mann im Hintergrund` oder `Tod in den Wolken`. Und weiss man schon irgendwas über das Opfer?»

      «Ach Ulrich, du weisst doch, dass ich dir das eigentlich gar nicht sagen darf. Du kennst doch meine Schweigepflicht.»

      «Eigentlich heisst weder Ja noch Nein, weder kalt noch warm, eigentlich bedeutet eigentlich so viel wie gar nichts. Ach, komm schon, ich wird’s schon nicht sofort der Presse erzählen, morgen früh reicht auch noch. Und wenn du lieb zu mir bist, dann mach ich’s erst in ein paar Tagen.»

      Natürlich wusste Petra, dass ihre kleinen kriminalistischen Geheimnisse bei Ulrich sicher aufgehoben waren. Und sie war auch froh, wenn sie mit jemandem über ihre Arbeit sprechen konnte. «Bei den Knochen handelt es sich um ein Skelett eines Mannes, er verstarb, weil ihm der Kopf gewaltsam abgetrennt wurde.»

      «Du meinst so richtig geköpft, mit einem Schwert oder so, wie im tiefsten Mittelalter?»

      «Kann man so sagen, ja. Beim Ableben war der Mann etwa 40 Jahre alt und die Tat musste wohl so vor zehn Jahren geschehen sein. Tja, und jetzt such du mal einen Mann, der vor zehn Jahren spurlos verschwand. Vielleicht gab es ja nicht mal eine Vermisstenanzeige, dann ist das so ziemlich aussichtslos.»

      Ulrich stand nachdenklich auf. Innert Sekunden veränderte sich seine Gesichtsmimik zusehends. In seinem Kopf schwirrten die Gedanken wie auf einer Geisterbahn. Seine Cousine Monika, die hat doch irgendwann mal was von einem Mann erzählt, der von einem Tag auf den anderen spurlos verschwand. Genau, es war doch offenbar ein Landwirt, der alleine auf einem abgelegenen Hof lebte. Wie hiess denn der schon wieder?

      «Was ist denn mit dir los, Ulrich?»

      «Ich weiss auch nicht so recht, es gibt da so eine Geschichte, die mir gerade in den Sinn gekommen ist, die muss so um die zehn Jahre alt sein.»

      Nun war der kriminalistische Spürsinn von Petra Neuhaus endgültig erwacht, sie stand auf und trat zu Ulrich. «Eine Geschichte? Zehn Jahre? Na, dann erzähl doch mal, mein Schatz. Du weisst, ich liebe interessante Geschichten. Dies liegt ganz einfach in der Natur meines Jobs.»

      Ulrich fühlte sich unbehaglich, er mochte nicht, wenn er in die Ecke gedrängt wurde, und von Petra erst recht nicht. Er nahm die Rotweinflasche und schenkte Petra und dann sich selbst nochmals ein. Nach einem kräftigen Schluck sagte er: «Ich habe eine Cousine, die heisst Monika Oeschger, sie kommt wie ich aus dem Mettauertal.»

      Das Mettauertal, du meinst wohl das Ende der Welt. Petra versuchte sich zu erinnern, ob sie den Namen schon mal gehört hatte. «Die kenne ich aber nicht, die Monika, oder?»

      «Nein Petra, ich glaube, du bist ihr wohl noch nie begegnet. Sie ist auch einiges jünger als ich. Vor etwa zehn Jahren ist sie umgezogen und ich habe ihr damals geholfen. Sie zog in die Nähe von Basel, nach Muttenz. Ob sie immer noch dort wohnt weiss ich gar nicht. Auf alle Fälle hat sie mir damals während des Umzugs von einem Landwirt erzählt, der spurlos verschwunden sei. Ich hatte die Sache schon längst vergessen, aber jetzt nachdem du mir von deinem Skelett erzählt hast.»

      Hellhörig spitzte Petra die Ohren, konnte das der bewusste und ersehnte Zufall sein? War es tatsächlich so, dass der verschwundene Landwirt von damals jetzt als Skelett wieder aufgetaucht war? «Und Ulrich, wie hiess der Landwirt?»

      «Das ist es ja, ich habe keine Ahnung. Ich weiss nicht mal, ob sie mir damals den Namen überhaupt nannte oder ob ich ihn vergessen habe. Das ist alles so lange her. Ausserdem bin ich ja schon mit 18 Jahren von Zuhause ausgezogen. Ich kenne die Menschen dort eigentlich gar nicht.» Ulrich versuchte sich zu erinnern, er grübelte nach, schüttelte den Kopf. Nein, es war unmöglich, der Name wollte ihm nicht mehr einfallen.

      «Okay, komm ruf sie an!»

      «Jetzt augenblicklich? Bist du eigentlich verrückt, Petra?»

      «Warum denn nicht?»

      «Warum nicht? Ich habe doch schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu Monika, ich kenne nicht mal ihre Telefonnummer. Nein, nein, das kannst du dir abschminken. Es tut mir leid, Petra, aber das musst du schon selbst in die Hand nehmen. Das ist dein Job, und nicht meiner.»

       3) Donnerstag

      Zielstrebig und mit schnellen Schritten verliess Petra den Lift und näherte sich ihrem Büro. Der Lift bot Platz für vier Personen und Petra kam es so vor, als würde konstant eine stinkige Luft den Innenraum des Aufzugs vernebeln. Froh, den Fahrstuhl verlassen zu können, glitt sie auf ihren neuen schwarzen Sneakers, die sie heute zum ersten Mal angezogen hatte, wortwörtlich wie auf leisen Sohlen dahin. Die Schuhe hatte sie Online in China bestellt, für nicht mal ganze neun Schweizer Franken. Eigentlich verrückt, neun Franken für ein Paar Schuhe inklusive Porto, ist bestimmt Kinderarbeit. Und ich dumme Kuh unterstütze sowas noch, ich sollte mich in die Ecke stellen und mich schämen! Ach Scheiss drauf, die Schuhe sind bequem und schön. Man muss ja nicht immer alles so dramatisch sehen. Vielleicht wars ja doch keine Kinderarbeit. Es waren erst wenige ihrer Kollegen und Kolleginnen anwesend. Sie war heute besonders früh dran, denn sie musste herausfinden, was das für ein Mann war, von

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