Skelett des Grauens. Martin Willi

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Skelett des Grauens - Martin Willi

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vermochte er momentan unter Kontrolle zu halten, es war ihm, als würden Tausende von Ameisen auf ihm herumlaufen, auf ihm tanzen, mit ihm durch die Welt spazieren. Fast die ganze Nacht hatte er kein Auge zugetan, immer wenn er kurz vor dem Einschlafen war, so wanderten seine irren und lüsternen Gedanken an junge, zarte Menschenkörper. Rein und fein wie Gott sie schuf, mit einer Haut wie Samt und Seide, und noch nicht so verbraucht und runtergekommen wie die Frauen, die er zur Not im Rotlichtmilieu besuchen musste. Alte dreckige Schlampen waren das für ihn, die keine Achtung, keinen Anstand verdienten. Und so behandelte er sie auch, wie den letzten Dreck, das hatten diese Weiber verdient. Aber diese jungen Menschen, die so verspielt und ohne böse Gedanken durch das Leben gingen, die hatten es ihm angetan. Er sehnte sich danach, mit seinen Händen einen jungen Menschenkörper Zentimeter um Zentimeter zu streicheln, abzutasten und zu erforschen. Das Kind würde es bestimmt geniessen, es war für ihn unvorstellbar, dass dies nicht so sein würde.

      Wie auf einer atemberaubenden Achterbahn kreisten seine Gedanken umher, rauf, runter, links, rechts. Ein turbulentes waghalsiges Looping jagte das andere, er fühlte sich wie bei einem Ritt auf einem wilden Bullen. Er wusste es genau, heute war es wieder mal soweit, egal ob er wollte oder nicht, der Bulle musste geritten werden. Heute musste er seinen unbändigen Trieb stillen, er war gezwungen dazu, er vermochte sich nicht dagegen zu wehren. Unschuldig, ja er war unschuldig, er konnte ja nichts dafür, dass er von Gott so mit dieser speziellen Neigung erschaffen worden war. Das hatte doch bestimmt seinen Grund, diese Vorlieben, die ihn nötigten, mussten ausgelebt werden, er durfte dieses Verlangen nicht unterdrücken, das würde ihm nicht guttun.

      Nachdem er sein Vieh im Stall notdürftig und in Windeseile versorgt hatte, nahm er sein Auto und fuhr damit an diesem warmen Sommertag hinunter vom Hof an die Strasse, wo die Kinder bei der Bushaltestelle auf das Postauto warteten, das da in wenigen Minuten kommen sollte. Schon von weitem hörte er, wie sie lachten, kreischten, wie sich die Mädchen über die Jungs lustig machten, wie die Knaben mit ihren sportlichen Leistungen prahlten. Einen bunten Ameisenhaufen voller Glückseligkeit vermochte er da vor seinem realen Auge zu erblicken.

      Er hielt inne, hinter einer grossen Linde ging er in Deckung und beobachtete die jungen Menschen. Oh ihr kleinen Luder, warum habt ihr heute wieder so kurze Röcke, so kurze enge Hosen, an? Wisst ihr nicht, wie ihr mich damit zum Wahnsinn treibt? Eure schlanken makellosen und unbehaarten Beine glänzen wie Gold in der Sonne, da muss mir doch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Da muss mein Kumpel ja jucken und sich vor Geilheit aufrichten.

      Da sah er sie, das blutjunge Mädchen mit den von ihrer Mutter so liebevoll und gekonnt geflochtenen Zöpfen. Monika Oeschger hiess das hübsche Kind, er kannte sie, natürlich kannte er sie. In einem so kleinen Kaff kennt man einfach alle. Deshalb musste er ja so vorsichtig sein, niemand durfte von seiner für viele nicht nachvollziehbaren Neigung, von seinen Taten erfahren. In einer Grossstadt da wäre es ihm leichter gefallen, aber in so einem kleinen Dorf begab er sich bei jedem Fehltritt in grosse Gefahr entdeckt zu werden.

      In diesem Moment sah er das Postauto kommen. Er beobachtete wie der Bus anhielt, wie die Kinder einstiegen, wie sie fröhlich und artig den Chauffeur begrüssten, wie sie sich um die besten Plätze balgten und stritten.

      Tschüss meine kleine süsse Monika, ich wünsche dir einen schönen und fröhlichen Tag. Wenn du wieder kommst, so werde ich auf dich warten. Dein schwarzer Mann wird hier sein. Oh, ich freue mich auf dich, du kleines scharfes Ding. Ich kann es kaum erwarten, ich werde ganz schön lieb zu dir sein. Es wird so schön sein, dass du es immer wieder möchtest.

      Monika sass fröhlich im Postauto neben ihrer besten Freundin und freute sich auf den Schultag. Sie konnte nicht ahnen, dass heute Abend alles anders sein würde, dass ihr Leben nie mehr so sein würde wie es jetzt war.

      Kurz vor 18 Uhr trat Monika in die Küche ihrer elterlichen Wohnung, die sich unweit des Dorfladens befand. Und das war auch gut so, denn so hatte Rosmarie Oeschger nur wenige Meter zu gehen, wenn sie zur Arbeit musste. Seit sechs Jahren bereits arbeitete Monikas Mutter in Teilzeit als Verkäuferin. Ihr Mann August war als Spediteur bei der renommierten Firma Kuratle in Laufenburg tätig. Zusammen konnten sie sich ein gutes Einkommen erwirtschaften, damit ihren Kindern Monika und Bruno, der sechs Jahre älter war als Monika und bereits eine Elektrikerlehre beim Hegi in Laufenburg absolvierte, an nichts fehlen sollte.

      «Monika, du kommst heute aber spät. Warst du noch bei einer Freundin?»

      Verstört und zitternd stand das kleine Mädchen da, der eine Haarzopf war aufgelöst, die Haare hingen ihr ins angsterfüllte Gesicht. Ihre Bluse war nur halb zugeknöpft, ihre dünnen Ärmchen hingen kraftlos am Oberkörper entlang.

      Erst in diesem Moment sah Rosmarie ihre Tochter richtig an. «Monika, was ist mir dir?», rief sie erschrocken. Dabei entglitt ihr beinahe die Pfanne mit dem heissen Wasser, indem sie die Kartoffeln kochen wollte.

      Monika lief auf ihre Mutter zu und umarmte sie innig. «Ich war noch bei einer Freundin, da bin ich hingefallen und habe mir ganz fest weh getan.»

      Noch vor dem Abendessen hatte Monika lange und ausgiebig geduscht. Sie musste wieder sauber werden. Ich muss den Dreck von mir waschen! Er muss weg, einfach weg! Es fiel ihr auf, wie sehr ihr Bruder Bruno sie während des Essens beobachtete und musterte. Keine Sekunde schien sein Blick von ihr zu weichen. Ob er etwas ahnte, gar etwas wusste?

      Bruno, ja ihm kann ich vielleicht erzählen, was heute mit mir geschah. Im Auto, unter den Tannen im tiefen dunklen Wald, mit dem schwarzen Mann. Aber wird Bruno mich dann noch lieben, wenn ich mich ihm anvertraue? Was werden meine Eltern sagen? Nein, ich darf es niemandem erzählen, sonst kommen Bruno und meine Eltern nicht mehr zur Ruhe. Sie würden sich bis ans Ende ihres Lebens wegen mir schämen. Vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm, vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Der schwarze Mann hat auch gesagt, dass es nicht schlimm ist.

      Schlafen konnte man das was Monika in dieser Nacht tat, nun wirklich nicht nennen. Sie träumte davon, wie sie sich an einem einsamen, vollkommen menschenleeren, Strand befand, sie lag auf einem harten kalten Sand. Viele spitzige Steinchen waren mit dem Sand vermischt und sie stachen sie fortwährend in ihren Rücken, dessen Blut in den Sand tropfte. Ihr Blut und der Sand vermischten sich zu einer riesigen Menge roter Erde. Sie sah, wie sich ihr unzählig viele schwarze Männer näherten. Die Männer riefen allesamt ihren Namen, immer wieder: «Monika, Monika, Monika». Zuerst ganz leise, dann lauter, immer lauter.

      Er hingegen schlief in dieser Nacht wie ein kleiner süsser Engel. Seine Augen blickten glückselig hinaus in die Welt, bevor er sie auf seinem Hirsekissen schloss.

      Er träumte seinen allerliebsten Traum, auch er befand sich an einem einsamen idyllischen Strand, er lag nackt wie Gott ihn schuf im warmen weichen Sand. Sein nackter Körper gefiel ihm, er war stolz auf sein bestes Teil. Aber er war nicht allein am Strand, mit ihm waren viele Mädchen und Knaben, unzählig viele schienen es zu sein. Und sie wollten alle nur das Eine, sie wollten ihn berühren, lieben, streicheln, küssen. Er war überglücklich, er schwebte wie im siebten Himmel. Er genoss es in vollen Zügen, von den Kindern liebkost zu werden.

       5) Freitag

      Das ist hier ja wirklich wie am Ende der Welt, ich hab’s ja schon immer gesagt, nach mir die Sintflut, dachte sich Petra als sie am heutigen Septembermorgen von Laufenburg ins Mettauertal fuhr, in die alte Heimat von Ulrich. Dorthin wo er als kleiner Junge eine unbekümmerte Kindheit erlebte, wie er ihr mal erzählt hatte. Als sie vom Kaistenberg herkommend rechts den Wald von Laufenburg erblickte, so dachte sie zurück an den Fall von Sabrina Eckert, die hier tot aufgefunden wurde. Was für ein dubioser Fall. Bis heute weiss man immer noch nicht, wer diesen Pedro Alvare damals auf so bestialische Art und Weise umgebracht hat. Ob es wirklich seine Tochter Maria-Dolores war? Maria-Dolores,

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