Perry Rhodan Neo 239: Merkosh. Rüdiger Schäfer
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Als er am Abend trotz seiner Erschöpfung versuchte, eine Komverbindung mit Resotum herzustellen, meldete dieser sich nicht. Ob er nicht in seiner Zelle war oder sich weigerte, den Anruf entgegenzunehmen, konnte Merkosh nicht feststellen. Für einen Moment war die Wut wieder da, doch dann mahnte sich Merkosh zur Nachsicht. Schließlich war er es gewesen, der seinen Freund beleidigt und gedemütigt hatte, und er bedauerte zutiefst, dass sich Resotum keine Möglichkeit mehr geboten hatte, sich bei ihm zu entschuldigen.
Merkosh hinterließ eine Nachricht und legte sich dann in seine Ruheschale. Sofort spürte er einen schwachen Luftzug, der seine Haut umschmeichelte und angenehm kühlte. Doch obwohl er todmüde war, gelang es ihm nicht, einzuschlafen. Seine Zelle ... sein Zimmer ... erschien ihm viel zu groß. Und die Stille war so allumfassend, dass er alle paar Minuten in die Hände klatschte, um sich zu vergewissern, dass er nicht taub geworden war.
Irgendwann sah er ein, dass er diese Nacht keinen Schlaf mehr finden würde, und stand auf. Er zog einen der drei wuchtigen Sessel vor das Holofenster der Unterkunft, setzte sich hinein und betrachtete den Park, der sich unter ihm erstreckte. Die Ränder der Wege waren von winzigen Laternen begrenzt, die ein schwaches, aber ausreichendes Licht ausschickten. Die Bäume und Sträucher wurden von einer schwachen Brise bewegt. Da und dort flatterten Insekten umher. In der Ferne waren die Silhouetten einiger höherer Gebäude und die dunkle Oberfläche des Ozeans zu erkennen.
Merkosh spürte, wie ihm Tränen über das Gesicht liefen. Und als er einfach nur so dasaß und weinte, begriff er plötzlich, was ihm fehlte, was er mit jeder Faser seines Herzens herbeisehnte. In diesem Moment hätte er das Institut, seine gesamte Ausbildung, sogar seine Zukunft als Mediziner dafür gegeben, wieder bei Resotum sein und mit ihm über alles sprechen zu können.
Am nächsten Morgen begannen bereits die Lektionen. Merkoshs Lehrplan war straff organisiert und ließ ihm kaum Zeit für Privates. Andererseits gab es auch nicht viel, um das er sich kümmern musste. Im Institut war alles darauf ausgerichtet, den künftigen Medikern optimale Voraussetzungen für ihre Studien zu bieten. Die diversen Pflichten und Notwendigkeiten des Alltags wurden ihnen fast vollständig abgenommen.
Immerhin ..., dachte Merkosh in einem Anflug von Spott. In die Laxierungsschale darf ich mich noch selbst legen.
Die anderen Studenten begegneten ihm höflich und mit einem Interesse, das ihn zunächst argwöhnisch machte. Er merkte jedoch schnell, dass sie ihn nicht ausfragten, um seine Schwachstellen auszuloten, damit sie sich später über ihn lustig machen konnten, sondern weil sie sich tatsächlich für ihn sowie seine Vorlieben und Abneigungen interessierten. Das war für ihn, den Außenseiter, eine völlig neue Erfahrung.
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit kam er während seiner Lektionen ins Schwitzen. Die Anforderungen waren um einiges höher als in der Anstalt, und wenn er dort viel Zeit gehabt hatte, sich in den Archivspeichern Holoprogramme zu besorgen, die sich mit Dingen abseits des gewöhnlichen Lehrstoffs beschäftigten, musste er nun oft bis tief in die Nacht die Inhalte des regulären Unterrichts aufarbeiten. Er konnte die Symbole gar nicht so schnell auf seine Haut übertragen und assimilieren, wie die Programme sie ihm übermittelten. Er wurde tatsächlich gefordert – ein Gefühl, das ihm mit jedem Tag mehr gefiel, auch wenn es häufig kräftezehrend war.
Merkoshs Leistungen lagen zwar noch immer deutlich über dem Durchschnitt, waren jedoch nicht mehr überragend. Auf einmal war er nicht mehr der Alleswisser aus dem Land der Klugscheißer, sondern einfach nur ein begabter Student an einem Institut, an dem es von begabten Studenten nur so wimmelte.
Nachdem zwei weitere Versuche, Kontakt mit Resotum aufzunehmen, gescheitert waren, stellte er seine entsprechenden Bemühungen ein. Da sich sein ehemaliger Freund auch von sich aus nicht meldete, musste Merkosh davon ausgehen, dass dieser keinen weiteren Austausch wünschte. Wenn Resotum so starrsinnig war und unbedingt die dampfende Kriisquelle spielen wollte, sollte er das eben tun. Merkosh hatte keine Zeit für solcherlei kindische Spielchen – und unter den Studenten am Institut hatte er bereits ein paar neue Bekanntschaften geschlossen. Er ließ es gern zu, dass seine Vergangenheit in der Primärlehranstalt mehr und mehr verblasste. Sein altes Leben war vorbei. Es zählte nur noch die Zukunft; eine Zukunft, die endgültig alles andere überstrahlte, als er Aysiria kennenlernte.
Die Opronerin war eine der Gryphen, die die Studenten in den Körperfächern unterrichtete. Als Merkosh sie zum ersten Mal sah, war er sofort bis über alle zwölf Anophen verliebt. Und als sie ihm während der Unterweisung ihre schlanken Hände um den Hals legte, um seine ventralinen Drüsen zu stimulieren, wäre er vor Aufregung beinahe in Ohnmacht gefallen. Anstatt wie gefordert seine Körpertransparenz zu erhöhen, bekam er einen Krampf im Schlucklappen und endete hustend, spuckend und unter dem Gelächter seiner Kommilitonen auf dem Boden des Unterweisungszimmers.
Merkosh war fest davon überzeugt, dass Aysiria ihn nach diesem peinlichen Auftritt für den skurrilsten Studenten hielt, der jemals am Eel-Institut ausgebildet worden war. Vermutlich erzählte sie ihren Freundinnen fortan die Geschichte von dem absonderlichen Oproner, der nach einer zervikalen Drüsenstimulation einen Krampfanfall erlitten hatte, obwohl doch ein angeregter Fluss ventraliner Säfte das genaue Gegenteil bewirkte.
Umso überraschter war er, als die Opronerin nach Ende des Lektionszyklus plötzlich vor seiner Zimmertür stand und ihn fragte, ob sie ihm die Übungen des Vormittags noch einmal in aller Ruhe persönlich demonstrieren sollte. Noch bevor Merkosh auch nur den Mund öffnen konnte, stieß sie ihn mit beiden Händen in seine Unterkunft hinein, schloss die Tür hinter sich und warf sich wie ein ausgehungertes Stemmerweibchen auf ihn.
Merkosh war so konsterniert, dass er nicht wusste, wie ihm geschah. Als er ihre warme Haut auf seiner eigenen spürte, war es endgültig um ihn geschehen. Aysiria schmeckte so süß und betörend, dass er alles um sich herum vergaß. Und als sie eine viel zu kurze Ewigkeit später erschöpft nebeneinander auf dem Boden lagen, hatte die Opronerin weit mehr stimuliert als nur seine ventralinen Drüsen.
Aysiria war drei Jahre älter als er und arbeitete als Assistentin für zwei der Hochlehrer. Sie hatte ihre Ausbildung als Medikerin bereits beendet und sich dazu entschlossen, am Institut zu bleiben. Die Körperfächer, bei denen es um die bewusste Beeinflussung der zellulären Transparenz und – in späteren Trainingsphasen – um die Beherrschung der organischen Komponente der Quantentaschentechnologie ging, wurden fast ausschließlich von weiblichen Opronern unterrichtet. Das lag daran, dass Frauen aufgrund ihrer Biostruktur um einiges körperbewusster waren als die meisten Männer. Merkosh empfand es als äußerst schwierig und anstrengend, seine natürliche physische Transparenz willentlich zu verändern, weshalb er es auch meistens nicht tat. Für Aysiria hingegen war es ein Kinderspiel, mehrfach hintereinander von fast unsichtbar zu praktisch opak und wieder zurück zu wechseln.
Die folgenden Septen vergingen wie im Flug. Merkosh lebte sich schnell am Institut ein; auch weil Aysiria ihm dabei half und die vielen, manchmal seltsam anmutenden Regeln immer wieder erklärte. Sie verbrachten jede freie Minute miteinander, was natürlich viel zu wenig war.
Merkosh hatte nicht gewusst, wie wunderbar das Leben sein konnte, wenn man jemanden hatte, mit dem man es in allen Aspekten teilen konnte. Zwischen Aysiria und ihm gab es keine Geheimnisse. Er konnte ihr alles erzählen, und sie hatte die Macht, jedes Problem mit einer flüchtigen Berührung zu lösen und jeden Anflug schlechter Laune mit einem Lächeln zu vertreiben.
Nach vier Halks schloss Merkosh seine erste Zwischenprüfung mit Auszeichnung ab. Die Medizin faszinierte ihn noch immer nicht in dem Maße, wie sie es womöglich hätte tun sollen, wenn er einmal ein guter Mediker werden wollte. Doch das Bewusstsein, anderen mit seiner Arbeit zu helfen, genügte als Triebfeder – und faszinierend war das Gebiet allemal.
Als es an