Die verschwundene Melodie. Arno Alexander

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Die verschwundene Melodie - Arno Alexander

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alle? Verblüffend! Ich dachte ... aber das kommt daher, weil ich keine Kinder habe. Also — hm — so geizig ist Ihr Onkel, daß er Sie lieber sich die Finger wund schreiben läßt, ehe er die vollgespickte Brieftasche zückt ... hm ...“

      „Mein Onkel ist nicht geizig“, widersprach Doris. „Er ist ein armer Sonderling. Er glaubt nämlich, die Welt und alle Menschen seien schlecht.“

      „Und das nennen Sie ‚armer Sonderling‘?! Wie arm muß ich dann sein? He? Aber lassen wir das. Wieviel Gehalt bekommen Sie bei mir?“

      „Fünfzig Dollars die Woche.“

      „Ab heute bekommen Sie fünfundsiebzig Dollars. Und nun an die Arbeit!“

      „Verzeihen Sie!“ unterbrach ihn das Mädchen hastig.

      „Was denn noch?“ Der Ton klang gereizt. Bei der Arbeit durfte den Allgewaltigen niemand stören. Doris wußte es und wagte es diesmal dennoch.

      „Ich möchte Sie bitten, mir auch weiterhin fünfzig Dollars die Woche zu zahlen“, sagte sie stockend.

      Mr. Tschuppik runzelte die Stirn.

      „Warum?“ fragte er scharf.

      „Weil ...“ Doris suchte krampfhaft nach Worten. „Weil ... nun, jeden Monatsersten legt Ihnen Mr. Heilmann eine Liste der Angestellten vor, die seiner Meinung nach zu viel verdienen und durch billigere Kräfte ersetzt werden könnten. Am nächsten Ersten wäre bei fünfundsiebzig Dollars Wochenlohn auch mein Name auf dieser Liste. Sie haben bis jetzt stets sämtliche Entlassungen gutgeheißen, ohne sich darum zu kümmern, ob die zu hoch bezahlten Angestellten nicht lieber billiger arbeiten wollten, ehe sie brotlos würden.“

      Mr. Tschuppik sah eine Weile finster vor sich hin. Doris bereute bereits ihre mutigen Worte; doch hatte sie so sprechen müssen, da ihre Entlassung am Ersten sonst ganz fraglos gewesen wäre. Plötzlich riß ihr Vorgesetzter wieder den Hörer vom Fernsprecher.

      „Rufen Sie Heilmann!“ sagte er kurz. Als jener sich meldete, fuhr er fort: „Hören Sie mal zu, Heilmann! Die Liste der zu teueren Arbeitskräfte versehen Sie in Zukunft mit entsprechenden Vermerken über die Höhe der Gehälter, die wir zu zahlen imstande sind. Ja, und dann geben Sie die Liste meiner Sekretärin, Miß ... wie? ... ja, Miß Elmhurst.“ Er warf den Hörer auf die Gabel. „Sie, Miß Elmhurst, werden dann an Hand der Liste — nicht öffentlich natürlich — die betreffenden Leute fragen, ob sie bleiben wollen. So, jetzt schreiben Sie ... Wo waren wir doch stehengeblieben?“

      Doris las den letzten Satz laut vor. Ihr Chef begann mit dem Diktat. Er saß an seinem großen Schreibtisch und öffnete nebenbei Briefe. Trotz seines schlechten Gedächtnisses für die Kleinigkeiten des Lebens, besaß er die bemerkenswerte Fähigkeit, gleichzeitig einen verwickelten Brief angeben und dabei andere lesen und mit Randbemerkungen versehen zu können.

      „Augenblick mal“, unterbrach er sich und griff erneut nach dem Hörer des Fernsprechers. Er verlangte die Rufnummer der „National City Bank“ und ließ sich mit einem der Direktoren verbinden. „Hier Tschuppik selbst!“ rief er, und seine Stimme klang ärgerlich. „Bei der Durchsicht Ihrer Post fällt mir auf, daß die Empfangsbestätigung meines gedrahteten Verkaufsauftrags der Baltimore and Ohio shares fehlt. Ja, bitte sehr! ...“

      Einige Minuten vergingen.

      „Wie“, rief Mr. Tschuppik plötzlich, und in seinen Zügen malte sich Überraschung. „Wie? Sie haben meine Drahtnachricht erst heute vor einer knappen halben Stunde erhalten? Das ist doch ... Danke, Schluß! ... Nein, den Auftrag nicht mehr ausführen!“

      Eine geraume Weile saß Mr. Tschuppik, in angestrengtes Nachdenken versunken, grübelnd da. Die Finger seiner rechten Hand hielten einen Bleistift umklammert. Flüchtig warf er eine Reihe von Zahlen aufs Papier. Plötzlich sprang er auf und schlug mit der Faust auf den Tisch.

      „Ein Verlust von 257360 Dollars. Zum Verrücktwerden!“ Er begann, im Zimmer auf und ab zu rennen.

      Doris beobachtete ihn mit ehrfurchtsvollem Schweigen. Plötzlich blieb er wieder dicht vor ihr stehen. Auf seiner Stirn zeichnete sich eine bläuliche Zornesader ab.

      „Wie war das doch gleich, Miß ...? Vorgestern abend waren Sie mit mir in Chikago zur Verhandlung mit den Vertretern der Kanadischen Eisenwerke. Nach dem Abendessen im Hotel las ich die Zeitung ... Richtig! Ich finde eine sonderbare Nachricht, verlange Tinte und Papier ... natürlich, so war es ... sicherheitshalber lasse ich das Telegramm nicht durch Hotelbedienstete besorgen, sondern ... ehern ... sondem ...“

      „Durch mich, Mr. Tschuppik“, sagte Doris und blickte voll zu ihm auf. „Sie können davon überzeugt sein, daß ich Ihren Auftrag sofort gewissenhaft erledigte.“

      Mr. Tschuppik schien ratlos.

      „Ja, aber dann ... zum Kuckuck! Was ist denn da los? Herrrein!!“ Es hatte geklopft. Auf Mr. Tschuppiks Aufforderung öffnete sich die Tür; ein junger Angestellter trat ein und verneigte sich ehrerbietig.

      „Herr Postdirektor Hähnel und ein Detektiv wünschen Sie in dringender Angelegenheit zu sprechen“, erklärte er.

      Die Augen des Stahlmagnaten funkelten.

      „Ich lasse bitten!“ sagte er finster.

      3

      Zwei Herren betraten den Raum. Der erste war ein älterer Mann mit schlaffen, müden Gesichtszügen; der zweite dagegen schien noch jung, kaum über dreißig; seine Gestalt war von mittlerer Größe, das Gesicht männlich und zielbewußt, von rein angelsächsischem Gepräge.

      „Gestatten, Postdirektor Hähnel“, stellte sich der ältere vor. „Dies hier ist Mr. Huntington, Leiter der Privatdetektei Clayvills & Huntington.“

      Mr. Tschuppik hatte sich erhoben. Er nannte ebenfalls seinen Namen.

      „Ich weiß“, fuhr er fort und machte eine einladende Handbewegung, auf einige Sessel deutend. „Ich arbeite selbst mit diesem Haus. Es ist ein sehr gutes und sehr teures Unternehmen. Was verschafft mir übrigens die Ehre?“

      Der Postdirektor zögerte. Er hatte in einem mit kostbarem Leder bespannten Sessel Platz genommen, und seine Blicke schweiften ängstlich zu Doris hinüber. Als das Mädchen dies bemerkte, raffte sie sogleich einige Briefe zusammen und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen; aber eine deutliche Kopfbewegung ihres Vorgesetzten hielt sie zurück.

      „Ich glaube die Angelegenheit zu kennen, in der Sie mich zu sprechen wünschen“, sagte er stirnrunzelnd. „Miß ... hm ... dingsda, weiß Bescheid. Sie können also ohne weiteres zur Sache kommen.“

      „Nun ja“, meinte Hähnel unbestimmt, „wie Sie wünschen. Es handelt sich also um eine Drahtnachricht ...“

      „... die gestern früh ankommen sollte und erst vierundzwanzig Stunden später eintraf, nicht wahr?“ unterbrach ihn Tschuppik. Er sprach kühl und gelassen, und nichts in seinem Benehmen erinnerte mehr an seine zornige Aufwallung vor fünf Minuten. „Was haben Sie darüber zu berichten?“

      „Eine sehr unangenehme Geschichte ... wirklich sehr unangenehm ...“ Hähnel fuhr sich ein paarmal über die feuchte Stirn und rückte unruhig auf seinem Sessel hin und her. „Der Eilbote ist nämlich mit Ihrem Telegramm durchgebrannt.“

      „Wa—as?“

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