Die verschwundene Melodie. Arno Alexander

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Die verschwundene Melodie - Arno Alexander

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finde tatsächlich keinen treffenderen Ausdruck. Die Sache kam so“, erklärte er. „Der Eilbote kehrte, nachdem er drei Telegramme zur Bestellung erhalten hatte, nicht mehr zurück. Zwei der Depeschen hat er noch richtig bestellt, nur Ihre nicht. Sein Ausbleiben fiel zunächst nicht weiter auf; man nahm an, er wäre plötzlich erkrankt. Erst als er heute wieder nicht erschien, begann die Suche. Sie können sich unser Erstaunen vorstellen, als uns Mr. Huntington schon nach zwei Stunden mitteilte, daß der Mann noch gestern nacht über die Grenze nach Canada entwichen sei. Ich ließ für jeden Fall Ihr Telegramm gleich nachbestellen und dann sprach ich mit der Frau des Flüchtigen. Er hat hier nämlich Frau und fünf Kinder zurückgelassen. Und ... und ... nun, sie bat mich flehentlich, doch von einer Anzeige abzusehen. Ich habe mir natürlich die Sache lange überlegt. Schließlich bin ich aber zu der Überzeugung gelangt, daß ich tatsächlich von der strafrechtlichen Verfolgung absehen kann. Es handelt sich ja nicht um einen flüchtigen Dieb oder Betrüger: er hat keinen Cent veruntreut. Wir sind somit nicht geschädigt ...“

      „Aber ich!“ warf Mr. Tschuppik dazwischen. „Ich habe einen Schaden von rund 260000 Dollars!“

      Nun war es an Hähnel, verblüfft zu sein.

      „Das ... das ändert die Sache allerdings“, stammelte er verwirrt. „Welch unglücklicher Zufall!“

      Der Millionär hob die Schultern.

      „Es muß nicht unbedingt ein Zufall sein“, erklärte er bedächtig.

      „Wieso? Wie meinen Sie das?“

      „Vermutlich ist es ein Verbrechen“, sagte Tschuppik trocken. „Was halten Sie davon, Mr. Huntington?“

      Der junge Detektiv wiegte den Kopf sinnend hin und her. Es dauerte eine Weile, bis er mit der Sprache herausrückte.

      „Ich würde in diesem Falle nicht gleich an ein Verbrechen denken“, äußerte er sich schließlich. „Ein Zufall erscheint wahrscheinlicher. Nehmen wir an, unser Mann, der Eilbote, hatte Gründe — ich denke dabei an außeramtliche Gründe — plötzlich zu verschwinden. Ob er nun vorher ein Telegramm mehr oder eins weniger bestellte, muß ihm jedenfalls recht unwesentlich erschienen sein. Daher ...“

      „Der langen Rede kurzer Sinn: Sie glauben also auch an einen Zufall!“ unterbrach ihn Mr. Tschuppik ungeduldig.

      „Nein!“ antwortete der Detektiv sehr bestimmt. „Ich bin sogar überzeugt davon, daß es kein Zufall ist.“

      „Ah!?“ Beide Herren waren erstaunt.

      „Es ist nämlich nicht der erste derartige Fall, der mir unter die Finger kommt“, erklärte Huntington. „Vor zwei Wochen erstattete einer der reichsten Männer Chikagos Anzeige wegen eines ganz ähnlichen Falles. Er hatte aus London nach Philadelphia die Bestätigung seines Kaufauftrages auf ein Gelände in Illinois gedrahtet. Das Telegramm kam nicht an. Der Bote war spurlos verschwunden, und der Kauf des Geländes kam nicht zustande. Der Mann aus Chikago hätte nämlich nur auf Grund eines Vorkaufsrechtes das Gelände zu einem verhältnismäßig billigen Preis erwerben können. Als er erfuhr, daß sein Vertreter das Kabel nicht erhalten hatte, war es bereits zu spät.“

      „Das ist ja unerhört!“ rief der Postdirektor empört aus.

      Mr. Tschuppik sprach kein Wort. Er hatte den Kopf gesenkt und starrte wie geistesabwesend auf eine Fliege, die an seinem Marmortintenfaß herumkletterte. Plötzlich blickte er auf.

      „Was geschah mit dem Gelände?“ fragte er kurz. „Wer kaufte es?“

      Huntington zuckte die Achseln.

      „Bis jetzt niemand. Der Preis, den der Eigentümer verlangt, dürfte wohl zu hoch sein.“

      Im gleichen Tonfall und ohne erkennbare Erregung fuhr Mr. Tschuppik zu fragen fort:

      „Wieviel verlangt der Eigentümer?“

      „350000 Dollars“, antwortete der Detektiv, sichtlich neugierig, worauf Tschuppik hinauswollte.

      „Und wieviel war der Mann aus Chikago bereit zu bezahlen?“

      „275 000 Dollars.“

      Mr. Tschuppik erhob sich.

      „Hören Sie zu, Mr. Huntington“, sagte er mit Nachdruck. „Sie fahren jetzt sofort mit mir nach Illinois. Ich kaufe das Gelände. Ihr Verdienst bei Zustandekommen des Geschäftes beträgt zwei vom Hundert, also siebentausend Dollars.“

      Huntington sprang erregt auf.

      „Sie wollen das Gelände kaufen? Ohne es je gesehen zu haben? Ohne auch nur annähernd seinen tatsächlichen Wert zu kennen? Wirklich?“

      „Ich habe gesagt, daß ich es kaufe. Es genügt, wenn ich es einmal sage, Mr. Huntington“, entgegnete Tschuppik frostig. Dann wandte er sich an den gänzlich verstörten Postdirektor: „Sie entschuldigen schon, aber wie Sie sehen, bin ich jetzt beschäftigt. Daher — Sie verstehen — muß ich Sie jetzt bitten ...“ Seine Miene vollendete den Satz.

      „Gewiß, gewiß“, stotterte Hähnel betroffen, „aber die Geschichte mit dem Telegramm ... Es ist doch eine höchst wichtige Angelegenheit! Das müßte doch zunächst in aller Ruhe besprochen werden ...“

      „Von zwei wichtigen Sachen wähle ich stets die wichtigere“, war Tschuppiks kühle Antwort. „Das ist im Augenblick der Geländekauf. Das andere ordnen wir bei Gelegenheit.“

      Mr. Tschuppik konnte blitzschnell handeln, wenn er es für nötig hielt. Fünf Minuten darauf stand der Postdirektor Hähnel auf der Straße und blickte dem davonfahrenden Wagen des Millionärs nach. Er dachte darüber nach, wie würdelos doch Mr. Tschuppiks Benehmen gewesen sei. Wie ein Lehrling war er treppauf und treppab gelaufen; wie ein kleiner Krämer hatte er mit den Armen gefuchtelt und wie ein Kutscher geflucht. Und das nannten diese Emporkömmlinge „arbeiten“?

      Hähnel schüttelte mißbilligend den Kopf und machte sich auf den Weg ins Büro. Im Laufe dieses Tages bemerkten seine Untergebenen, daß er langsamer und würdevoller denn je arbeitete.

      4

      Mr. Frederick Manhattan frühstückte. Er hatte gerade das dritte weichgekochte Ei mit seinem kleinen, silbernen Teelöffel eingeschlagen, als sich die Tür lautlos öffnete, und sein Kammerdiener mit der Morgenpost den Raum betrat. Mit eherner Miene näherte er sich seinem Herrn und überreichte ihm auf einer goldenen Schale drei Briefe und zwei Postkarten.

      „Ist das alles, Lux?“ fragte der Hausherr.

      „Jawohl, Mr. Manhattan“, antwortete „Lux“, der in Wirklichkeit Jack Hunter hieß.

      „Es ist wenig, Lux.“

      „Sehr wenig, Mr. Manhattan“, pflichtete der getreue Diener bei.

      Diese Unterhaltung bot nichts Außergewöhnliches, denn sie wiederholte sich in denselben Worten und demselben Tonfall jeden Morgen. Lux erwartete nun die nächste Frage, die sich auf das Wetter bezog, worauf er dann gewöhnlich wieder gehen durfte.

      Jack Hunter hatte allen Grund sich zu wundern, denn die Frage nach dem Wetter blieb heute aus. Mr. Manhattan hatte sich vorgebeugt und starrte mit derart entsetzten Blicken nach der Schale mit den Briefen,

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