Abteilung G.. Arno Alexander
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„Maud! Maud!“
Das war seine Stimme! Maud warf sich herum, stieß sich zornig durch die Reihen der ihr entgegendrängenden Menschen, und dann stand sie vor ihm — einem kräftigen Mann von mittlerem Wuchs, mit wettergebräuntem, frischem Gesicht.
„Dick! Mein Dick!“ Sie flog ihm in die Arme, daß ringsherum einige Leute belustigt auflachten.
„Da bist du ja! Ja, da bist du ja“, murmelte er. „Meine Maud! Mein Einziges … Ist Lennox nicht da?“
„Oh, er ist auch da!“ rief sie glücklich. „Irgendwo hier in der Nähe wird er sein. Aber ich habe dich zuerst gefunden! Oder du mich. Ach, das ist ja ganz gleich!“
„Maud, wo ist Lennox? Ich muß ihn sofort sprechen.“
Sie horchte unwillkürlich auf. Sein Ton war so ganz anders, als sie ihn sich sieben Monate lang für diese Stunde vorgestellt hatte. Rasch löste sie sich aus seiner Umarmung und sah ihn an. Sein Gesicht, so braun und frisch es aussah, verriet doch etwas Besorgtes, fast Ängstliches.
„Dick, was ist mit dir?“ flüsterte sie erschrocken. „Was ist …“
Aber Dick achtete nicht mehr auf sie. Er hatte Lennox entdeckt und streckte ihm rasch die Hand entgegen.
„Guten Tag, guten Tag, lieber Lennox“, sprach er hastig. „Sie müssen mir helfen. Es ist — erschrick nicht, Maud — es ist ein Unglück geschehen …“
„Ein Unglück?“ Lennox zog die Augenbrauen fragend empor. „Was? So reden Sie doch endlich.“
Dick umfaßte fest die Hände Mauds. Dann hob er den Kopf und sagte leise:
„Ich habe unterwegs — vor kaum einer halben Stunde — im Zuge einen Menschen erschossen.“
Maud taumelte, und Lennox griff schnell zu, um sie zu stützen.
„Das ist doch …“ murmelte er. „Murray, das ist doch nicht möglich! Sagen Sie — — —“
„Es ist so“, bestätigte Dick Murray finster. „Dort, der Polizist bewacht mich. Er versprach mir, so lange zu warten, bis ich euch begrüßt hätte. Jetzt muß ich mit …“
„Sie sind verhaftet?“ fragte Lennox erschrocken.
„Ja … Nein … Das heißt — doch. Lennox, Sie als Inspektor der Kriminalpolizei werden mir doch helfen können … Jetzt muß ich gehen. Lebt wohl. Mach dir keine Sorgen, Maud. Kopf hoch! Leb wohl! Leb wohl!“
Gleich darauf war Dick Murray im Menschengewühl verschwunden, und Maud und Lennox standen wieder so allein auf dem Bahnsteig, wie sie dort gestanden hatten, ehe der Zug ankam.
„Mein Gott! Mein Gott!“ flüsterte Maud. „Das ist doch … Das kann ja nicht sein … Oh! Mr. Lennox! Lieber Freund! Sie müssen doch etwas tun können — Sie, als Kriminalbeamter!“
Er schüttelte langsam den Kopf.
„Ich will selbstverständlich alles tun, was in meiner Macht steht, aber wenn Ihr Mann schuldig ist, kann ihm niemand — auch ich nicht — helfen.“
Maud schien aus einer Erstarrung zu erwachen.
„Was sprechen Sie noch so lange und was stehen Sie hier herum? Warum handeln Sie nicht?“ rief sie verzweifelt. „Dick — schuldig? Halten Sie denn das für möglich? So sagen Sie es doch! So reden Sie doch endlich!“
„Nichts ist unmöglich“, antwortete er kurz. „Aber jetzt will ich mich der Sache annehmen. Bleiben Sie unterdessen hier stehen. Gehen Sie nicht weg. Sobald ich das Nötige festgestellt habe, hole ich Sie wieder ab.“
Maud starrte ihm nach, als er davoneilte. Noch drei, vier Sekunden stand sie da, als überlege sie. Dann aber lief sie, viel schneller als Lennox, quer über den Bahnsteig, auf das Fernsprechhäuschen zu.
Sie riß die Tür auf. Ein Mann stand da und drehte an der Nummerscheibe.
„Sie müssen mich sofort sprechen lassen!“ rief sie flehend und befehlend zugleich! „Sofort! Es geht um Leben und Tod!“
Der Mann stotterte verwirrt etwas zur Antwort, legte aber den Hörer auf und trat hinaus.
Sie zog die Tür zu und stellte hastig einen Anschluß her.
„Hier spricht Maud Murray“, stammelte sie. „Sie müssen mir helfen! Dick Murray, mein Mann, hat im Zuge einen Menschen erschossen … Man hat ihn verhaftet …“
Eine kalte, ziemlich hohe Männerstimme unterbrach sie:
„Ich bin erstaunt, wirklich sehr erstaunt, Mrs. Murray! Habe ich Ihnen nicht oft genug gesagt, Sie sollten mich unter gar keinen Umständen anrufen? Aber Sie …“
„Das ist doch jetzt alles ganz gleichgültig!“ rief sie ungeduldig. „Verstehen Sie denn nicht: mein Mann ist in größter Gefahr! Sie müssen ihn retten, Sie müssen …“
„Ich wüßte nicht, wie ich ihn retten sollte, — ausgerechnet ich!“
„Sie haben doch so gute Beziehungen zur Polizei.“
Ein trockenes Lachen am anderen Ende der Leitung unterbrach sie.
„Sie sind heute sehr unvernünftig“, sagte die hohe, kalte Männerstimme nach einer Weile. „Hängen Sie jetzt den Hörer ein …“
„Nicht eher, als Sie mir versprechen, für Dick sofort falschen Paß, Geld und Schiffskarte zu besorgen …“
Eine Weile herrschte Schweigen.
„Gut!“ sagte der Mann endlich widerstrebend. „Ich will sehen, was sich tun läßt. Aber hängen Sie sofort den Hörer ein. Sofort!“
Maud seufzte, leise auf und gehorchte.
II
Das Eßzimmer in der Wohnung Dick Murrays machte heute einen sehr festlichen Eindruck. Die fünf Glühbirnen des Kronleuchters über dem Tisch, von denen sonst nur eine oder zwei angezündet wurden, brannten heute alle, und in ihrem strahlenden Lichte erschien das blendend weiße Tischtuch noch blendender und noch weißer. Der Tisch war für vier Personen gedeckt, und neben jedem Gedeck befand sich ein Sträußchen Blumen. Rosen und Nelken standen in schön geschliffenen Blumengläsern in der Mitte und an beiden Enden des Tisches, und wo man hinsah, in jeder Ecke, auf jedem Tischchen, auf jedem Fenster und jeder Tür sah man sie —: rote Rosen und weiße Nelken.
Jim Elgin, Leutnant der Kriminalpolizei, stand schon seit fünf Minuten unbeweglich vor dem Tisch und stierte geistesabwesend vor sich hin. Immer wieder bemühte er sich, an die Sache und nur an die Sache zu denken, und immer wieder schweiften seine Gedanken ab, und er sah vor sich ein Bild — so klar, so genau in allen Einzelheiten, wie man es außer im Leben nur im Traume sieht. Es waren die weißen, zarten Hände Mauds, die hier vor