Verarztet! Verpflegt! Verloren?. Veit Beck
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Montags hatte ich im Büro, ich arbeitete ja eigentlich noch, Termine und fuhr daher erst am Nachmittag in das Krankenhaus. Marianne bekam gerade Physiotherapie, die sich nun vermehrt auf die Herstellung ihrer grundsätzlichen Mobilität konzentrierte. Aus dem Bett aufstehen, sich wieder in das Bett legen, dazwischen möglichst am Rollator zu laufen. Das schien zu helfen, gegenüber dem Stand der Vorwoche war ihre Mobilität deutlich verbessert. Erwartungsgemäß war kein Arzt greifbar, aber ich hatte ja mittlerweile eine funktionierende Strategie. Da es auch hier keine Sprechstunden gab, war „Visite“ das Zauberwort.
Also dienstagmorgens, schon um 07:00 Uhr, vor der Arbeit, die ich wieder aus der Wohnung meiner Mutter erledigen wollte, zuerst in das Krankenhaus, um die Visite abzupassen. Es wurde 7:30 Uhr, auf dem Flur absolute Ruhe, es wurde 8:00 Uhr, der Frühstückswagen kam, 8:30 Uhr, meine Mutter begann mit dem Frühstück, 9:00 Uhr, meine Mutter war mit ihrem Frühstück fertig. Ich beschloss, im Stationsstützpunkt nachzufragen. Doch noch bevor die dort anwesenden Schwestern mich aufklären konnten, hatte ich meinen Irrtum bemerkt. Neurologen operieren nicht. Somit gibt es keine Notwendigkeit, um 8:00 Uhr in einem OP zu stehen und somit auch keine Notwendigkeit, die Visite bereits vorher zu erledigen. Visite in der Neurologie? Üblicherweise nicht vor 10:00 Uhr, häufig sogar später, war die Information, die ich von den Schwestern erhielt.
Damit war der Vormittag, zumindest was meine Möglichkeiten betraf, mich noch um meinen Job zu kümmern, gelaufen. Ich wartete also geduldig auf dem Zimmer, bis die Visite kam. Auf meine Bitte um eine Unterredung bat mich eine junge Ärztin, laut Ihrem am Kittel befindlichen Schild mit Namen Dr. Meissner, bis zum Ende der Visite zu warten, sie würde dann in das Zimmer kommen und mich informieren. Ca. 30 Minuten später, so gegen kurz nach 11:00 Uhr, war es dann so weit. Die Ärztin kam und die Informationen lauteten: Meiner Mutter gehe es deutlich besser, seit die Medikation umgestellt wurde. Man versuche sie nun noch medikamentös zu stabilisieren und durch Physiotherapie zu mobilisieren. Laut ihrer derzeitigen Einschätzung, natürlich vorbehaltlich einem der Prognose entsprechenden Verlauf, könne meine Mutter am Freitag entlassen werden. Ich schilderte die vorgesehene Betreuung durch eine permanente Pflegekraft nach der Entlassung und einigte mich mit Frau Dr. Meissner auf den kommenden Samstag als Entlassungstermin. Für den kommenden Freitag verabredeten wir dann noch einen Termin für ein Folgegespräch.
Damit gab es gute Chancen, dass die Woche planmäßig und ruhig verlaufen könnte. Nur noch tägliche Routinebesuche, bei denen ich mich davon überzeugen konnte, dass es wirklich langsam bergauf ging. Das Zittern hatte aufgehört, aber was meiner Mutter nun am meisten Probleme bereitete, war ihre allgemeine Schwäche. Sie aß zu wenig, was sie auch mit dem mangelhaften Sitz ihrer Zahnprothese begründete. Zudem bemerkte ich einen Verband an ihren Fersen. Auf Nachfrage im Stationsstützpunkt teilten mir die Schwestern mit, dass meine Mutter erste Anzeichen von Dekubitus hatte. Ich hatte immer gedacht, das Thema „Wundliegen“ beschränke sich auf den Gesäß- und Rückenbereich, musste aber lernen, dass sehr häufig auch die Fersen betroffen sind. Zudem teilten die Schwestern mir mit, dass meine Mutter nun auch Schluckbeschwerden, eine offenbar häufige Begleiterscheinung bei Parkinson, hätte. Meine Nachfrage, ob denn dagegen schon therapiert wurde, wurde negativ beschieden. Dass es eine Therapie gegen parkinsonbedingte Schluckbeschwerden gab, wusste ich aus dem Krankenhaus. Zufällig, weil gegenüber dem Wartebereich der neurologischen Ambulanz, in dem ich in der jüngeren Vergangenheit einige Zeit verbracht hatte, ein entsprechendes Aufklärungsplakat hing. Und dort war das Plakat gut positioniert, weil es sinnvoll half, die Langeweile, die man beim Warten verspürt, zu vertreiben und nebenbei noch etwas dazulernen kann.
Am Freitag sprach ich Frau Dr. Meissner auf die Schluckbeschwerden an. Sie hatte diese bisher weder bemerkt, noch war sie vom Stationspersonal diesbezüglich informiert worden. Zur Erklärung und Entlastung der Ärztin muss allerdings gesagt werden, dass man die Schluckbeschwerden nur dann zuverlässig bemerken kann, wenn man den betroffenen Patienten beim Essen bzw. Trinken beobachtet. Frau Dr. Meissner bemühte sich, einen hauseigenen Therapeuten kurzfristig herbeizurufen, damit dieser sich meine Mutter noch vor Ort ansehen konnte und ggf. sogar noch eine erste Therapiesitzung durchführen könnte. Ansonsten blieb es dabei. Meine Mutter würde am Folgetag entlassen.
Darauf waren wir nun auch vorbereitet. Die private Pflegerin wurde für Samstag 10:00 Uhr am Bahnhof erwartet. Ein kleines Problem hatten wir zwischenzeitlich noch ausgeräumt. Mitte der Woche bekam ich eine Anfrage von Frau Kolinek, ob im Haus meiner Mutter viele Treppen zu bewältigen bzw. ob im Rahmen der Pflege schwere Lasten zu tragen wären. Da ein Aufzug vorhanden war und meine Mutter mittlerweile mit geringer Unterstützung wieder aufstehen und kurze Strecken am Rollator zurücklegen konnte, konnte ich eventuelle Bedenken zerstreuen. Offenbar hatte die Pflegekraft selbst gesundheitliche Probleme, die Treppensteigen und das Heben von schweren Lasten nicht zuließen.
Ich begann damit den Nachttisch und den Spind meiner Mutter auszuräumen, um die Dinge, die sie während ihres Aufenthaltes nicht mehr benötigen würde, schon mitzunehmen. Es konnte am Vormittag des Folgetags ja eng werden, da sich der Transport meiner Mutter und das Abholen der Pflegekraft zeitlich durchaus überschneiden konnten. Daher schärfte ich meiner Mutter auch ein, sie möge mit den Schwestern vereinbaren, dass der Transport erst um 11:00 Uhr stattfinden dürfte. Da ich die Pflegekraft ja um 10:00 Uhr abholen sollte, müsste es dann klappen. Nach dem Mittagessen verließ ich das Krankenhaus, brachte den Koffer zur Wohnung meiner Mutter und packte ihn aus. Anschließend fuhr ich nach Hause. Am späten Nachmittag rief mich meine Mutter an und verkündete mir, dass der Transport für 11:00 Uhr bestellt war. Also alles gut. Das Wochenende konnte kommen.
Samstag, gegen 6:00 Uhr klingelte der Wecker. Morgentoilette, ein schnelles Frühstück und dann ab in das Krankenhaus. Ich wollte noch die restlichen Sachen meiner Mutter mitnehmen, damit für den Transport möglichst wenig übrig blieb. Zudem musste ich ja auch noch den Arztbrief und die Medikamente für die nächsten Tage mitnehmen. Ich hatte meine Mutter noch nicht begrüßt, da stammelte sie schon unter Tränen: „Der Transport kommt schon um 10:00 Uhr.“ Bingo. Ich versuchte sie zu beruhigen, sie aber auch gleichzeitig auf die Situation vorzubereiten, dass es nun sein könnte, dass ich noch nicht zu Hause bin, wenn der Transport eintrifft. Eigentlich kein Drama, aber Marianne war sehr empfindlich, was derartige Dinge betraf. Nachdem ich Marianne mehr oder weniger beruhigt hatte, ging ich zum Stationsstützpunkt. Meine Frage, warum der Transport denn nun schon um 10:00 Uhr stattfinden sollte, konnte die Schwester nicht beantworten. Schließlich war der Vorgang ja nicht durch sie, sondern die Nachmittagsschicht am Vortag organisiert worden. Nein, verschieben könnte man das jetzt nicht mehr. Meine Bitte mitzuhelfen, den Vorgang möglichst zu verzögern, fasste sie als Scherz auf. Hier ging es nicht weiter. Also fragte ich nach dem Arztbrief und den Medikamenten.
Den Arztbrief bekommt der in Entlassung befindliche Patient ausgehändigt. Dieser muss dann selbst dafür sorgen, dass der Brief zum weiterbehandelnden Arzt transportiert wird. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Patient hinreichend mobil ist bzw. ein Angehöriger, Freund, Nachbar das für ihn erledigt. Der Transport kann natürlich auch auf dem Postweg erfolgen, was natürlich eine entsprechende Zeit benötigt. Insbesondere, wenn der Patient am Wochenende entlassen wird. Warum so ausführlich? Nun, der Arztbrief enthält auch die Liste der im Krankenhaus verabreichten Medikamente. Und häufig ist es so, dass die Medikation im Krankenhaus verändert wird, das heißt nach der Entlassung andere Medikamente eingenommen werden müssen, als bei der Einlieferung. Das war im Fall meiner Mutter sehr wahrscheinlich, war doch eine bessere medikamentöse Einstellung der Grund für ihren Aufenthalt in der Neurologie. Insofern war es ebenso sehr wahrscheinlich, dass meine Mutter nun Medikamente benötigen würde, die sie vorher nicht genommen hatte und somit bei ihr zu Hause auch nicht vorrätig waren. Deshalb gab das Krankenhaus den Patienten üblicherweise einen Medikamentenvorrat für die Übergangszeit mit, um die Zeit zwischen der Entlassung und der Verordnung der Medikamente durch den Hausarzt, sowie der Beschaffung selbiger aus der Apotheke zu überbrücken. Leider deckten die im konkreten Fall seitens des Krankenhauses