Black*Out. Andreas Eschbach

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Black*Out - Andreas Eschbach Blackout - Hideout - Timeout

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Sonne, sodass die Motorhaube einen Schatten warf. Die Einschusslöcher darin leuchteten wie dicke Sterne. Ein heißer Wind kam durch die offen stehende Tür. Ohne Klimaanlage fühlte sich das Innere des Wagens wie ein Backofen an.

      Kyle kehrte zurück. Seine Schritte knirschten im Sand. »Mit viel Glück ist es nur ein Leck in der Benzinleitung«, sagte er, beugte sich zum Handschuhfach hinüber, holte eine Rolle Klebeband und ein Messer heraus und verschwand wieder hinter der Motorhaube.

      »Du hast uns nicht alles erzählt«, sagte Serenity nach einer Weile.

      »Nein«, sagte Christopher. »Ich hab euch nicht alles erzählt.«

      »Dann solltest du das vielleicht allmählich nachholen.«

      Kyle ließ die Motorhaube zuknallen, warf die Klebebandrolle und das Messer achtlos auf den Beifahrersitz und schwang sich wieder hinters Steuer.

      »Wie gesagt«, meinte Christopher, »das ist eine sehr lange Geschichte.«

      »Wir haben Zeit«, sagte Kyle. Er betätigte den Anlasser. Seine Reparatur schien erfolgreich gewesen zu sein, der Motor sprang an, spuckend und unrund, aber er lief. Das Auto setzte sich in Bewegung, rollte langsam und bedächtig in Richtung der Asphaltstraße, und es fühlte sich an, als würden sie auch so langsam und bedächtig weiterfahren müssen. »Viel Zeit, wie es aussieht«, setzte Kyle hinzu.

      Christopher seufzte. »Also gut. Ich erzähl’s euch.«

      7

      »Mein Großvater – der Vater meiner Mutter – war Prothesenmacher«, begann Christopher zu erzählen.

      Er spürte Traurigkeit in sich aufsteigen bei diesen Worten, nein, eigentlich eher bei den Erinnerungen, die sie in ihm auslösten. Es war erst ein Jahr her, dass seine Großeltern gestorben waren, und er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass sie nicht mehr da waren.

      Ihm kam es immer noch so vor, als könne er jederzeit wieder zu seinem Großvater in die Werkstatt gehen. Dort würden dann all die künstlichen Gliedmaßen in den verschiedensten Stadien der Herstellung hängen oder liegen – Arme, Beine, Hände, Teile von Gesichtern mit Glasaugen oder Ohren oder beidem.

      Die Prothesen begannen ihre Existenz als Gerüste aus Metallröhren, Scharnieren und Anschlüssen, die nach und nach um weitere mechanische Elemente, um Hydraulikzylinder und Motoren ergänzt wurden, als ginge es darum, ein Teil eines Roboters zu bauen. Irgendwann wurde die Technik unter immer mehr Schichten verschiedener Kunststoffe verborgen, bis sie die genau richtige Form hatten, abgestimmt auf denjenigen, der die Prothese benötigte, und schließlich wurde sie mit dem letzten, dem teuersten und aufwendigsten Überzug versehen, der künstlichen Haut, die so gefärbt und mit Haaren aus Plastik versehen wurde, dass die Prothese aussah wie ein richtiger, bloß eben abnehmbarer Körperteil.

      Erst dann, wenn die Prothesen fertig waren, fand Christopher ihren Anblick gruselig. Wie sie in großen, mit Stoff ausgelegten Schachteln lagen und aussahen, als könnten sie jeden Augenblick anfangen, sich zu bewegen. Als Kind hatte Christopher manchmal einfach dagestanden, reglos, mucksmäuschenstill, und gewartet: Vielleicht, so hatte er gedacht, würden sie seine Anwesenheit irgendwann vergessen und aufhören, sich tot zu stellen. Dann würden die Finger sich bewegen, die Zehenspitzen wippen, die Glasaugen umherblicken und die Münder – ja, sogar Münder hatte sein Großvater machen müssen, ganze Unterkiefer manchmal – anfangen, zu reden und ihr Leid zu klagen.

      Auch wenn das nie geschehen war, hatte Christopher nie wirklich aufgehört, darauf gefasst zu sein.

      An einer großen Pinnwand neben der Tür der Werkstatt hatten Fotos der Patienten gehangen, für die die Prothesen bestimmt waren – Menschen, denen ein Arm fehlte oder ein Bein, entweder das ganze Bein oder der Unterschenkel vom Knie abwärts, Menschen, deren Gesichter verstümmelt waren von schrecklichen Wunden.

      Sein Großvater hatte Christopher nie die Schicksale dieser Leute verschwiegen. Manchmal waren Krankheiten schuld daran, dass Menschen Gliedmaßen oder andere Teile ihres Körpers einbüßten, meistens aber waren Unfälle die Ursache, und durchaus nicht irgendwelche. Es gab ein Wort dafür, das sich Christopher schon als kleines Kind tief eingeprägt hatte: Landminen.

      »Wir Menschen«, hatte sein Großvater immer gesagt, und sein buschiger Oberlippenbart hatte dabei voller Empörung gewippt, »haben viele schreckliche Dinge erfunden, aber Landminen gehören bestimmt zu den allerschrecklichsten.«

      Und dann hatte er von Splitterminen und Tellerminen erzählt, von Ländern wie Kambodscha und Afghanistan, in denen Millionen dieser Selbstschussanlagen irgendwo versteckt in der Erde lagen und nicht zwischen Krieg und Frieden, zwischen Freund und Feind unterschieden; zwischen spielendem Kind und bewaffnetem Soldat. Er berichtete von Millionen unschuldiger Opfer und den vergeblichen Bemühungen der UNO und zahlreicher Hilfsorganisationen, der Lage Herr zu werden.

      Christophers Großvater war oft für die Bundeswehr in diesen Ländern unterwegs gewesen, es kam aber auch vor, dass Landminenopfer, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, zu ihm in die Werkstatt gebracht wurden, um genau vermessen zu werden, und später noch einmal, damit er ihnen das neue, künstliche Körperteil anpasste. Das waren Menschen gewesen, die fremdartig ausgesehen und fremde Sprachen gesprochen hatten, so fremd, dass sie oft von einem Übersetzer begleitet werden mussten, obwohl Großvater viele Sprachen verstand.

      Wenn Kinder kamen, die englisch sprachen, bat sein Großvater Christopher oft in die Werkstatt, um ihnen die Angst zu nehmen. Christopher war zweisprachig aufgewachsen, sein Vater war Engländer und hatte mit ihm zeit seines Lebens nur englisch gesprochen. Als Christopher noch sehr klein gewesen war, hatte er gemeint, jeder Mensch habe seine eigene Sprache; es war ihm lange seltsam vorgekommen, dass noch andere Leute die Sprache seiner Mutter verwendeten.

      Nicht alle der Kinder, die von seinem Großvater ein neues Bein oder eine neue Hand angepasst bekamen, waren darüber unglücklich. Christopher erinnerte sich an einen Jungen aus Somalia namens Pali, der ungeheuer stolz auf seine künstliche linke Hand gewesen war. Er meinte, sie sei viel besser als eine normale. Er lud Christopher ein, ihn in dem Heim zu besuchen, in dem er zusammen mit anderen Kindern aus aller Welt wohnte, und dort übten sie gemeinsam, Bälle zu werfen, kleine und große.

      Großvater ärgerte sich über Palis Begeisterung. »Eine künstliche Hand wird niemals auch nur genauso gut sein wie die echte, ganz zu schweigen davon, dass sie besser sein könnte«, erklärte er. Er war zwar stolz auf seine Arbeit und durchaus davon überzeugt, die besten Prothesen der Welt zu machen, aber zufrieden – zufrieden war er niemals. Er versuchte unentwegt, immer noch bessere künstliche Gliedmaßen herzustellen, experimentierte und bastelte an der Mechanik, erprobte neue Hydraulikzylinder, andere Motoren, flexiblere Gelenke und feilte unablässig an elektronischen Steuerungen, die in seinen Augen nie genug konnten und das, was sie konnten, nicht genau genug taten.

      Geld verdiente Christophers Großvater mit seinem Beruf wenig, zumal er seine Experimente oft aus eigener Tasche finanzierte, immer in einem schier aussichtslosen Kampf gegen Krankenkassen und Behörden, die die notwendigen Mittel nicht aufbringen wollten, schon gar nicht für mittellose Flüchtlinge, deren Asyl noch nicht einmal genehmigt war. Nur zu oft vertraten sie den Standpunkt, dass einem Menschen, sobald er sich nur irgendwie wieder ohne Krücken fortbewegen konnte, bereits geholfen war.

      Und so hatten Christophers Großeltern nie viel Geld. Ihr einziger wertvoller Besitz war das große Haus in einem der besten Viertel Frankfurts, doch dort fiel es dadurch unangenehm auf, dass es nach und nach verfiel, weil es am Geld für nötige Reparaturen mangelte.

      Christophers Großmutter war Malerin. Oder besser gesagt: Sie malte, verkaufte aber so gut wie nie

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