Ausgesoffen. Jörg Böckem

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Ausgesoffen - Jörg Böckem

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davor stand, die Latte des Kontrollverlusts zu reißen. Meine alkoholsatte Euphorie war wie ein großer Hund, der unter dem Gejohle der anderen Gäste ausgelassen Kunststücke vorführte, allen durch die Beine wuselte, laut bellend an ihnen hochsprang und ihnen durch das Gesicht leckte; auch dann noch, wenn deren Begeisterung verflogen und der Jubel verstummt war.

      Bat Carlo mich, mich zu mäßigen, lachte ich ihn aus. Mir ging es doch prächtig, alles war gut, ich sorgte für Stimmung, hatte mich unter Kontrolle und amüsierte mich darüber hinaus königlich! Die anderen tranken doch auch, und ohne jemanden wie mich war eine Party nur ein Kaffeekränzchen. Den Kater würde ich locker wegstecken, schließlich war ich Sportler, jung und stark.

      Am nächsten Tag waren Carlo und Jacek Wszoła als Studiogäste ins »Aktuelle Sportstudio« geladen, Patrik Sjöberg und ich begleiteten die zwei. Das ZDF bezahlte uns jungen Kerlen Übernachtung und Abendessen in einem teuren Hotel, wir fühlten uns wie Fremdkörper inmitten der distinguierten älteren Herren im Anzug. Und wir ließen es gehörig krachen – zum 5-Gänge-Menü tranken wir Champagner und Cognac, nach dem Essen zündete sich jeder von uns eine dicke Zigarre an. Ein wenig fühlten wir uns wie Rockstars.

      Das Leben war ein einziger Rausch, alles floss, war in Bewegung. Unsere Partys und Besäufnisse waren nie hohler Selbstzweck, sie waren eingebettet in den Sport, die Erfolge; in arbeitsreiche und nüchterne Wochen, die in neue, aufregende Erfahrungen mündeten.

      Ein Jahr später, als Carlo in Berlin mit 2,42 Meter abermals einen neuen Hallenweltrekord aufgestellt hatte, waren wir zum Ball des Sports eingeladen. Wir kamen etwas zu spät, Carlo hatte noch eine Dopingprobe abgeben müssen. Der Fahrdienst chauffierte uns mit einem S-Klasse-Mercedes nach Mainz, auf dem roten Teppich erwartete uns das Blitzlichtgewitter der Fotografen. Carlo stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, er war ein Star und wurde hofiert. Ich war an der Seite meines Bruders inmitten des Trubels, unterhielt mich mit Richard von Weizsäcker, der uns, als Bundespräsident Schirmherr der Veranstaltung, mit Handschlag begrüßt hatte. Später am Abend stand ich mit Udo Jürgens an der Bar, wir prosteten uns zu und kamen ins Gespräch. Der kleine Carlo und der kleine Bernd waren in der großen Welt angekommen, eine unglaubliche Erfahrung. Ich war wie im Rausch, geblendet vom großen Glanz und schönen Schein. Eine Art Droge, die die Eitelkeit nährt.

      Thränhardt, du Tier!

      Der Rolls-Royce stand im absoluten Halteverbot, keine zwanzig Meter vom Eingang des Nijinsky entfernt. Metalliclackierung, getönte Scheiben und blitzendes Chrom, ein Klischee auf vier Rädern. Wir waren zu viert, der Besitzer des Rolls-Royce, ein Unternehmer aus Düsseldorf, den ich nur flüchtig kannte, saß auf dem Fahrersitz, neben ihm Dieter, ein erfolgreicher Schauspieler; der breite Paul, ein Zuhälter, und ich saßen auf dem Rücksitz. Ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, was mich erwartete.

      Im Laufe des Abends hatte ich beobachtet, wie Dieter und die beiden anderen immer wieder für einige Minuten die Diskothek verließen und ziemlich aufgekratzt zurückkamen. Ich hatte geahnt, dass irgendetwas im Gange war, das ich keinesfalls verpassen durfte. Also hatte ich mich ihnen dieses Mal wie selbstverständlich angeschlossen. Keiner schien sich darüber zu wundern.

      Der Rolls-Royce-Besitzer zog ein Tütchen mit weißem Pulver aus dem Handschuhfach, streute etwas davon auf einen Spiegel, hackte es mit seiner Kreditkarte klein und formte zwei Linien daraus. Dann rollte er einen Fünfzigmarkschein zu einem Röhrchen, steckte sich das eine Ende in sein rechtes Nasenloch, verschloss das linke mit seinem Finger und zog mit einem energischen Schnaufen eine Pulverlinie in seine Nase. Dann wiederholte er die Prozedur mit seinem linken Nasenloch und reichte sämtliche Utensilien an Dieter weiter. Ich sah gebannt zu, prägte mir jede seiner Bewegungen ganz genau ein. Schließlich wollte ich später keinen Fehler machen. Kokain kannte ich bisher nur aus Filmen und Büchern, dass es Koks auch in meiner unmittelbaren Umgebung geben musste, war mehr als naheliegend, aber bisher hatte ich nichts davon bemerkt.

      Der Spiegel und das Tütchen wurden nach hinten gereicht. Wie ein gelehriges Zirkusäffchen hackte ich das Pulver, rollte den Geldschein und schnupfte die weiße feinkörnige Linie; so, wie ich es Minuten zuvor gesehen hatte. Die Härchen auf meinem Arm hatten sich vor Aufregung aufgestellt, aber ich gab mich abgeklärt und routiniert. Niemand sollte meine innerliche Anspannung spüren und mich als Novize enttarnen.

      Schon dieses Ritual nahm mich gefangen. Ein magischer Moment – wir waren ein Geheimbund, wagemutige Verschwörer, die die Grenzen der Spießergesellschaft weit hinter sich ließen und sich über die ahnungslosen Trinker im Inneren des Clubs erhoben. Jetzt war ich endgültig in der Welt von Hemingway, Miller, Kerouac und Burroughs angekommen.

      Dann knallte das Kokain in mein alkoholisiertes Hirn. Wärme durchflutete mich, breitete sich in meinem gesamten Körper aus. Gleichzeitig erfüllten mich eine große Ruhe und Klarheit. Ich fühlte mich nicht benebelt, wie ich es vom Haschisch und auch vom Alkohol kannte. Im Gegenteil, es war, als hätte ich alle Fesseln abgeworfen.

      Mein Denken und Fühlen waren von kristalliner Reinheit und Schärfe, alle Hemmungen waren verschwunden, ich war unantastbar, entgrenzt, auf magische Weise eng mit allem verbunden, mit meinen Mitverschwörern im Auto, meinen Freunden an der Bar, das Koks hatte mich in das Zentrum meines Universums katapultiert. Nach diesem Moment, so schien es, hatte ich mich mein gesamtes Leben gesehnt.

      Der Club vibrierte vor Energie. Eine dunkle, warme Höhle, in der nichts Bedrohliches existieren konnte. So ähnlich musste sich der Fötus im Mutterleib fühlen. Meine Füße schienen den Boden kaum zu berühren, die Frauen leuchteten, ich selbst leuchtete, war ein Magnet, der die Menschen anzog, in meinen Bann schlug. Alles war von nie gekannter Intensität. Die Luft flirrte vor sexueller Spannung. Ich flirtete mit jeder Frau in meiner Nähe, alles war purer Sex, jedes Wort, jeder Blick, jede Berührung. Verheißung und Verführung, Kopfpornokino, überwältigend und rauschhaft. Ich war nach Hause gekommen. Angekommen in dem Leben, von dem ich als Teenager gelesen und geträumt hatte.

      Begonnen hatte alles mit meinem Umzug nach Köln rund zwei Jahre zuvor. Gegen das studentisch geprägte, aber eher provinzielle Aachen mit seinen Maschinenbaustudenten und seinem chronischen Männerüberschuss war Köln ein Eldorado, in jeder Hinsicht. 1985 zog ich in eine Wohnung in der Breiten Straße im Zentrum der Stadt. Die Straße, gesäumt von Restaurants, Cafés, Kneipen und Geschäften, war für Autos gesperrt. Hier flanierten hauptsächlich Einheimische oder die Köln-Kenner unter den Besuchern, der Großteil der Touristen bevölkerte eher die Hohe Straße und die Schildergasse.

      Meine Wohnung war siebzig Quadratmeter groß und lag über einem Café, auf den ersten Blick machte sie nicht sehr viel her: angestoßener Sechziger-Jahre-Chic, zwei Zimmer, ein kleines, aber ordentliches Bad mit hässlich gemusterten Kacheln. Auch die Küche war winzig, aber ich hatte ja nicht vor, darin viel Zeit zu verbringen. Mein Frühstück, ein Croissant und einen Kaffee zur Zigarette, bekam ich im Café im Erdgeschoss, an dessen Hintereingang mein Hausflur anschloss. Schon nach wenigen Wochen stapelten sich die Kuchenteller in meiner Küche. Mittags aß ich meist in den umliegenden Restaurants. Und beobachtete unter meiner Sonnenbrille die Frauen, die vorüberflanierten. Vor allem im Sommer ein Anblick, von dem ich nie genug bekam.

      Mein Wohnzimmer bot genügend Raum für ein großes Bücherregal, mein Schlafzimmer ging auf den Innenhof, mit Blick auf ein Flachdach und die Lüftungsschächte des Cafés. In warmen Sommernächten kletterte ich aus dem Fenster, das Flachdach wurde mein persönlicher innerstädtischer Dachgarten. Zugegeben, statt Wiesen, Blumen und Bäumen gab es Dachpappe, Ziegelmauern, Ventilatoren und Metallrohre, aber unter dem Sternenhimmel spielte das keine große Rolle. Urbane Romantik, mit der ich auch bei den Frauen, die ich nachts mit zu mir nahm, punkten konnte. Die Wohnung war ein Hauptgewinn für mich.

      In gewisser Weise hatte der Umzug meine Welt verengt: Beinahe alle Wege waren kurz – das WDR-Gebäude, das Büro der Produktionsgesellschaft, mit der ich kooperierte, Studios und Schnitträume, alles war nur wenige Gehminuten

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