Ausgesoffen. Jörg Böckem

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Ausgesoffen - Jörg Böckem

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besonders gelöster Stimmung, warfen wir die leeren Ouzo-Gläser an die Wand, über die Köpfe der Touristen hinweg. Wir fühlten uns nicht mehr als Besucher, wir gehörten hierher. Der Ouzo, das Werfen der Gläser war ein Ritual, das uns als Gruppe verband, ein Ausdruck von Lebensfreude und Virilität. Eine Szene wie aus einem Hemingway-Roman, großartig! Dazu kam, dass ich nach kurzer Zeit registrierte, dass ich bei den Urlauberinnen ganz gute Chancen hatte – Anfang zwanzig, groß, blond, durchtrainiert und braungebrannt, wie ich war. Ich hatte einige Affären; da die Urlaubsgäste ständig wechselten, war für Nachschub gesorgt. Darunter waren auch uralte Frauen, also über dreißig, was mir sehr gefiel. Sie hatten Erfahrung, von ihnen konnte ich einiges lernen. In Sachen Sex war ich eher ein Spätstarter, doch jetzt nahm mein Sexleben langsam die Form an, die ich mir immer erträumt und zu Beginn meiner Beziehung zu Brigitte lediglich behauptet hatte. Alles in allem eine großangelegte Renovierung meines Selbstwertgefühls, mein durch die Trennung angeschlagenes Ego erholte sich prächtig. Mein Leben war also doch noch nicht zu Ende.

      Eines Morgens nach dem Aufwachen war das Paradies rosa. Über allem lag ein rosa Schimmer, über dem Strand, dem Meer, den Menschen, meiner Haut. Aber das hatte nichts Romantisches: In der Nacht zuvor war es nicht beim Wein und bei drei oder vier Ouzo geblieben, ich hatte im Überschwang eine ganze Flasche geleert. Ich erschrak fürchterlich. Der Ouzo hatte mir nachhaltig die Sinne getrübt, ich konnte meiner Wahrnehmung nicht mehr vertrauen. Das war mir noch nie passiert. Irgendwann verblasste das Rosa, und ich beschloss, daraus meine Lehre zu ziehen und in der nächsten Zeit den Ouzo zu meiden. Für den Rest des Urlaubs trank ich nur noch Raki.

      Cognac, Satz und Sieg

      An einem kühlen Herbsttag des Jahres 1986 saß ich in einem Café auf dem Gelände des Open-Air-Tennisparks in Kaarst, und meine Nerven liefen Amok. In einigen Minuten sollte es so weit sein, der Moment, auf den ich in den letzten Monaten akribisch hingearbeitet hatte. Dem ich entgegenfieberte. Als erster deutscher Fernsehjournalist sollte ich ein Exklusiv-Interview mit dem Tennisspieler John McEnroe für die »Sportschau« führen. Mit dem Mann, der in der ersten Hälfte der achtziger Jahre das Herrentennis dominierte und dessen epochale Duelle mit Björn Borg mein Bruder und ich angespannt am Fernseher verfolgt hatten. Ein begnadeter Tennisspieler und für mich ein charismatischer Held. Einer, der mit seiner cholerischen Art immer auch polarisierte, mit Wutausbrüchen auf dem Court, denen häufig sein Schläger zum Opfer fiel, mit Beschimpfungen von Gegner, Schiedsrichter und Balljungen. Nicht zuletzt diese Mischung aus großem Talent und enthemmtem Kontrollverlust faszinierte mich. McEnroe war mein Idol, anders als der stets kühlbeherrschte Björn Borg, dessen Spiel ich bewunderte, der mir aber als Charakter fremd blieb. In McEnroes Spiel und Persönlichkeit erkannte ich etwas Rauschhaftes, Exzessives, das mich in seinen Bann zog und dem ich mich verbunden fühlte. Er fügte sich nahtlos in meine Heldengalerie ein.

      Dieses Interview war zudem von großer Bedeutung für meine noch junge Karriere als Filmemacher. Trotz meines Bemühens, die Studentenzeit ins Unendliche auszudehnen, ohne allzu viel Zeit mit dem lästigen Studieren verschwenden zu müssen, war das Ende irgendwann absehbar gewesen. Ich studierte Germanistik, Sport und Erziehungswissenschaften auf Lehramt, aber dass ich nicht Lehrer werden wollte, war mir bald klar. Mein Studium lief mehr oder weniger ins Nichts. Die Hausarbeit für das erste Staatsexamen schrieb ich fast vollständig im Freibad, wozu mich groß anstrengen? Ich war 28 Jahre alt und ratlos, wie mein Leben weitergehen sollte.

      Carlo war zu dieser Zeit schon sehr erfolgreich als Hochspringer, 1983 hatte er bei den Halleneuropameisterschaften in Budapest die Höhe von 2,34 Metern übersprungen und die Goldmedaille errungen. Er verfügte über immenses Talent und eine beeindruckende Trainingsdisziplin, bei aller brüderlichen Konkurrenz war mir schnell klar geworden, dass ich ihm auf diesem Gebiet hoffnungslos unterlegen war.

      Meinem Bruder verdankte ich meinen ersten Kontakt zum Fernsehen. 1984 lernte ich einen TV-Journalisten kennen, der ihn für die »Sportschau« porträtierte. Nikolaus Roetz war selbständig, Kameramann, Cutter und Produzent in Personalunion mit kleinem Ü-Wagen; eine sogenannte Rucksack-Produktionsfirma, die fertig geschnittene Beiträge an die Sportredaktionen der Sender lieferte. Er erkannte meine Begeisterung für den Sport und den Journalismus und bot mir, dem Laien und Langzeitstudenten, einen Job in seiner Firma BFF an. Sogar mit guter Bezahlung, ein Lottogewinn für mich. Ein Jahr zuvor hatte ich neben dem Studium in einer Druckerei Nachtschicht geschoben, zwölf Stunden am Stück geschuftet für zehn Mark in der Stunde, jetzt verdiente ich als Berufsanfänger 4000 Mark im Monat, ohne dass ich schmutzig wurde und allzu sehr ins Schwitzen geriet. Eine neue Welt öffnete sich, eine Perspektive.

      Wenige Wochen, nachdem ich den Job angenommen hatte, stand ich mit wild klopfendem Herzen und zittrigen Beinen im Redaktionsgebäude des WDR, in der Hand meine ersten eigenen Exposés für zwei Beiträge, die ich dem zuständigen Redakteur der Sendung »Sport im Westen« anbieten wollte. Schon das imposante Gebäude hatte mich eingeschüchtert, auf den Gängen sah ich Gesichter und hörte Stimmen, die ich bisher nur aus dem Fernsehen und Radio kannte. Ich nahm all meinen Mut zusammen und stellte mich vor: »Mein Name ist Bernd Thränhardt von der Firma BFF, ich möchte zu Herrn Selge wegen einiger Themenvorschläge.«

      Manfred Selge, der zuständige Redakteur, las meine Exposés, ich konnte kaum stillsitzen vor Anspannung. Möglich, dass er meine Ideen verächtlich abschmettern würde. War es nicht vermessen, gar größenwahnsinnig von mir, dem ahnungslosen Anfänger, mit meinen halbgaren Ideen hier aufzutauchen und tatsächlich einen Auftrag zu erwarten? Als es am Ende hieß »Das liest sich interessant, das machen wir«, konnte ich mein Glück kaum fassen. Als mein erster Kurzfilm gesendet und mit den Worten »Ein Beitrag von Bernd Thränhardt« angekündigt wurde, fühlte ich mich, als seien mir Flügel gewachsen. Ich war der König der Welt. Oder zumindest auf dem Weg dorthin.

      In den ersten Jahren fand ich meine Themen meist in meiner Umgebung – ich porträtierte einen Eifeler Lokalhelden, den Motocross-Fahrer Rudi Scheen, die Aachenerin Claudia Ostländer, die zu der Zeit als einzige Fahrerin die Rennfahrer-Szene aufmischte, und berichtete in einem großen Feature über die »Bunte Liga«, den Versuch, eine Art alternative studentische Fußballliga in der Region zu initiieren. Die »Bunte Liga« war dann auch Thema meines Staatsexamens. Kurz darauf verließ ich die Uni ohne Wehmut.

      Ich arbeitete wie im Rausch, viele Stunden täglich, experimentierte mit Schnitten und Montagen, wie ich sie aus Musikvideos kannte. In der Welt der Sportfilme waren diese Techniken noch neu. Die ersten guten Kritiken gaben mir zusätzlich Auftrieb. Eine Mutter schrieb mir, sie habe zusammen mit ihrem Sohn, dem nach einem Unfall ein Bein abgenommen werden musste, meinen Beitrag über den einbeinigen Weit- und Hochspringer Gunther Belitz gesehen. Der Film habe ihrem Sohn neuen Lebensmut gegeben.

      In solchen Momenten sah es so aus, als könne meine Arbeit einen Sinn jenseits der Quote und der Suche nach Anerkennung haben. Filme machen zu dürfen, in Eigenregie und über Themen und Menschen, die mich interessierten, empfand ich als Privileg. Alles lag in meiner Hand, von der Idee über die Gestaltung und den Ton bis zum Schnitt. Ich sah mich als ein zeitgenössischer Geschichtenerzähler.

      Viel Zeit und Energie investierte ich in den Dreißig-Minuten-Film »Hoch fliegen, tief fallen« für den ZDF-»Sportspiegel«, ein Doppelporträt der besten deutschen Hochspringer dieser Zeit, meinen Bruder Carlo und seinen Freund, den Olympiasieger Dietmar Mögenburg. Damals hatte die Leichtathletik begonnen, sich zu professionalisieren. Die Dreharbeiten nahmen ein Jahr in Anspruch. Ich hatte dem Film ein Zitat von Elias Canetti vorangestellt: »Wie lange muss man sagen, wer man ist, bis man es wirklich wird?« Diese Frage nach der eigenen Identität, dem Prozess der Veränderung und Selbstfindung, hat mich lange beschäftigt. Für mich bedeutete es vor allem: Werde der, der du im tiefsten Inneren bist, lebe nicht fremdbestimmt an dir selbst vorbei.

      John McEnroe spielte in einer anderen Liga als meine bisherigen Protagonisten. Beinahe ein Jahr hatte es gedauert, bis ich seine Zusage bekam, ich hatte mich regelrecht in dieses Projekt verbissen. Das erste Interview mit dem Weltstar im deutschen Fernsehen war ein Coup, der meine Position bei den

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