Ausgesoffen. Jörg Böckem

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ausgesoffen - Jörg Böckem страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Ausgesoffen - Jörg Böckem

Скачать книгу

nahm meinen Platz ein, das vor allem war mir unerträglich. Dass ich in den vergangenen Monaten unsere Beziehung vernachlässigt hatte, ihre Liebe und Anwesenheit als selbstverständlich angesehen, mehr Zeit beim Sport und mit meinen Kommilitonen an der Universität verbracht und durch meine fehlende Aufmerksamkeit dem anderen möglicherweise erst die Tür geöffnet hatte, erkannte ich erst viel später. Jetzt und hier galt – sie hatte mich betrogen, verraten und tief verletzt.

      Den Verlust und die Verletzung betäubte ich mit Alkohol. Mehr noch, ich suhlte mich in diesem süßen Schmerz, inszenierte und überhöhte ihn. Er wurde zu etwas Dramatischem, Poetischem – so konnte ich ihn besser ertragen. Ich erinnerte mich an die Männer in den Büchern von Henry Miller, Jack Kerouac, Jack London oder Ernest Hemingway. Männer, die ich schon als Teenager bewundert hatte und idealisierte. So wollte ich mich selbst sehen; ein Mann, der die Schläge des Schicksals einsteckt, allen Verletzungen einer feindlichen Welt kämpferisch die Stirn bietet, in heroischer Pose und mit einem Drink in der Hand seinem Untergang ins Auge sieht. Kein trauriger verlassener Verlierer; ich war ein Mann, der sich selbst in seiner romantischen, verlorenen Einsamkeit und seinem Schmerz eingerichtet hat. So sollte Brigitte mich sehen. Meine Traurigkeit, Hilflosigkeit und Verletztheit hingegen zeigte ich niemandem.

      Für einige Wochen trank ich beinahe jeden Abend, bevorzugt vor aller Augen. Eines Nachts stand ich an der Bar des Malteserkellers in Aachen, vor mir auf dem Tresen mein zweites großes Weizenbier und der vierte Ouzo. Als ich sah, dass Brigitte und ihr neuer Freund die Bar betraten, kippte ich den Rest des Bieres mit einem großen Schluck hinunter, fixierte die beiden und warf das Glas mit einer kraftvollen Bewegung an die Wand neben ihnen. Das Klirren übertönte die Musik. Sie würde mich, meinen Schmerz und meine Wut, nicht übersehen, dafür würde ich sorgen. Ein anderes Mal verfolgte ich beide bis zu Brigittes Wohnung. Als ich sah, dass im Schlafzimmer das Licht aufflammte, formte ich einen Schneeball mit einem hühnereigroßen Stein darin und warf ihn wütend mit großer Wucht in das Schlafzimmerfenster, die Scheibe barst mit einem lauten Knall. Sollten sie doch einen Höllenschreck bekommen. Das war das Mindeste, was jemanden erwartete, der mir meine Zukunft stahl. Nie mehr, schwor ich mir, würde ich der Betrogene sein.

      Einige Jahre später zerstach ich der nächsten Frau, die es wagte, mich wegen eines anderen zu verlassen, die Autoreifen und drohte meinem Nachfolger Prügel an. Auch wenn mich in solchen Momenten beständig mein schlechtes Gewissen plagte, stellte ich meinen Jähzorn und mein cholerisches Temperament nie in Frage. Männer, ganze Kerle, das hatte ich nicht nur in meinen Büchern gelernt, waren eben so. Meine Ohnmacht und Angst dagegen passten nicht in mein Männerbild.

      Nicht lange nachdem Brigitte mich verlassen hatte, entdeckte ich das Paradies. Zu der Zeit lebte ich zusammen mit Wolfgang, einem Freund, in einer Dreizimmerwohnung in Aachen und studierte Germanistik und Sport. Nach meinem Abitur hatte ich zunächst ein Jurastudium in Köln begonnen, was sich als großes Missverständnis herausgestellt hatte. Ich hielt nur bis zum kleinen BGB durch. Für Jura hatte ich mich entschieden, nachdem ich Billy Wilders Film »Zeugin der Anklage« mit Marlene Dietrich gesehen hatte. Vor allem Charles Laughton als Strafverteidiger hatte mich sehr beeindruckt, seine Eloquenz und Brillanz, wie er elegant im Rededuell mit dem Staatsanwalt focht, Sätze wie ein Florett. Mir schien, vor Gericht ging es weniger um Recht und Unrecht als vielmehr um den verbalen Wettstreit zweier kluger, scharfzüngiger Köpfe. Das gefiel mir. Eine Rolle, die mir meiner Meinung nach gut zu Gesicht stehen würde.

      Die Realität sah natürlich anders aus. Das Studium war fade Paragraphenpaukerei, meine Mitstudenten waren erzkonservative Golf-GTI-Fahrer mit Seitenscheitel, Lodenmantel und Aktenkoffer, wir nannten sie Großstadtförster. Rücksichtslose Karrieristen aus der Jungen Union oder von den Jungliberalen, für die Freiheit nur die Freiheit der Stärkeren bedeutete. Ein fremdes Universum, dem ich mich nicht zugehörig fühlte. Im Gegenteil – ich war links, las Lenin und Marx und sympathisierte mit der RAF. Auf meinem Käfer prangte ein »Atomkraft? Nein danke«-Aufkleber, und an meiner Zimmertür stand »Für Bullen verboten«. Nächtelang diskutierten meine Freunde und ich voller Furor über ein anderes, bewussteres, gerechteres Leben. Bei Demonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss warf ich Farbbeutel auf Polizisten. Zugegeben, es war nicht nur politische Überzeugung, die mich motivierte. Mich reizten auch die Auseinandersetzung, der Trubel, die Aufregung. Mir gefiel es, dem Staat auf die Füße zu treten, in gewisser Weise meine postpubertären Muskeln spielen zu lassen. Dazu kam, dass sich in den linken Kreisen und bei den Demonstrationen häufig ausnehmend hübsche junge Frauen engagierten.

      Wolfgang, meinen WG-Mitbewohner, hatte ich kurz nach der Trennung von Brigitte kennengelernt. Eines Abends saßen wir zusammen in einer Kneipe und beschlossen beim Bier, dass uns eine Luftveränderung guttun würde. Möglich, dass Wolfgang mein ausgestelltes Trennungsleid satt hatte und mich auf andere Gedanken bringen wollte. Zumal er, der sich zuverlässig in Frauen verliebte, die nicht einmal seine Existenz zur Kenntnis nahmen, der Meinung war, ich hätte kein Recht, mich zu beschweren. Aachen war zu dieser Zeit ein Stahlbad für testosterongesteuerte, paarungswillige junge Männer. An der größten Uni der Stadt, der TU, kam ungefähr eine Studentin auf hundert Studenten, der Männerüberschuss war also enorm, das Angebot an potentiellen Partnerinnen gering. Wer sich, wie Wolfgang, stets in die umschwärmtesten Mädchen verliebte, hatte denkbar schlechte Karten. Ein Grund mehr, Aachen den Rücken zu kehren.

      Nur mit einem Schlafsack, einer Jeans, einer Badehose, drei T-Shirts und Unterwäsche im Gepäck machten wir uns auf die Reise nach Kreta. Zelte oder Rucksäcke waren für Spießer und Neckermanntouristen. Von Hotelzimmern ganz zu schweigen. Schon die Überfahrt mit der Fähre war eine Offenbarung für mich, wir schliefen an Deck, jemand packte seine Gitarre aus, wir teilten unser Bier und unser Essen mit Menschen, die wir gerade erst kennengelernt hatten, als die Sonne aufging, zeigte sich die Silhouette der Insel im Licht des neuen Tages. Konnte das Leben tatsächlich so schön sein?

      Kreta erschien mir als Sehnsuchtsort. Wir schliefen in einer Bucht in der Nähe von Paleochora im warmen Sand, das Letzte, was wir hörten, war das Plätschern der Wellen und das Zirpen der Grillen, am Morgen weckte uns die Sonne, über uns der weite blaue Himmel. Ein kleiner Wasserlauf brachte kaltes, klares Trinkwasser aus den Bergen. Ich genoss die Wärme, hatte meist nur eine Badehose oder eine Jeans mit abgeschnittenen Hosenbeinen an. Am Strand trug ich, wie auch die Frauen dort, gar nichts. So etwas hatte ich noch nie erlebt, nackte Frauen, zum Greifen nahe. Wie gesagt, ich war im Paradies angelangt. Wir ließen uns treiben, schwammen im Meer, kifften am Strand, spielten Blitzschach oder maßen uns beim Armdrücken. Da ich durch das Handballtraining über große Schnellkraft verfügte, gewann ich beinahe jedes Mal, sogar gegen Kerle mit Armen wie Baumstämme. Damit machte ich bei den Kretern großen Eindruck.

      In der Nähe der Bucht gab es eine kleine Bar, dort aßen wir Joghurt mit Honig und Nüssen zum Frühstück und tranken abends Retsina und Ouzo. Am Alkohol hatte ich mittlerweile Geschmack gefunden, nicht zuletzt, da einige meiner Studentenfreunde eine Vorliebe für erlesene Weine hatten. Eine Flasche Rotwein gehörte zu einem guten Essen selbstverständlich dazu, eine Art Genussverstärker. Im Jahr zuvor waren Wolfgang und ich zusammen mit Freunden zur Weinernte an die Ardèche gefahren, hatten Trauben gepflückt, im Fluss gebadet und den Tag mit einer Flasche Wein ausklingen lassen. Eine traumhafte Zeit.

      Ich war gerne unter Menschen, fühlte mich wohl, wenn ich Teil einer Gruppe war, umgeben von Gesprächen und Gelächter. Für die Zuschauerplätze am Rand war ich nicht geschaffen, ich wollte mittendrin sein, den Takt mitbestimmen, die Gespräche mitgestalten, für Stimmung sorgen, lachen, dumme Sprüche machen, mich streiten und versöhnen. Alkohol als soziales Schmier- und Bindemittel kam mir da sehr gelegen. Bier, Wein und gelegentlich ein Schnaps machten mich locker und beseitigten wie schon bei meinen ersten Knutscherlebnissen verlässlich alle Unsicherheiten. Ich war Animateur und Unterhalter, hätte ich in einem vergangenen Jahrhundert gelebt, ich wäre wohl der Geschichtenerzähler oder eher noch der Gaukler auf dem Marktplatz gewesen. Dass es immer genügend Schnarchnasen gab, die froh waren, wenn sie sich zurücklehnen konnten und unterhalten wurden, bestärkte mich in meiner Rolle.

      Wenige Tage nach unserer

Скачать книгу