Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola Larsen
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In Luzern, der schönen, lebhaften und malerisch gelegenen Stadt am Vierwaldstätter See, hat der Sommer seinen Einzug gehalten. Vier lange Monate sind ins Land gezogen, seit Sabrina in Luzern eingetroffen ist, aber noch immer ist sie nicht heimisch geworden.
Sie wohnt in einem hübschen kleinen Haus am Rand der Stadt und führt ein durch ihre Pflichten genau geregeltes Leben. Drei Stunden täglich arbeitet sie zusammen mit dem alten Musikprofessor Walter Braman, der sie mit großer Ausdauer, unermüdlicher Energie und eiserner Disziplin unterrichtet. Die übrigen Stunden des Tages verbringt sie in ihrem reizenden Zimmer, arbeitet und übt, und Frau Stüzzli, ihre Wirtin, wundert sich immer wieder darüber, dass ihre junge sympathische Mieterin so ganz in ihrer Arbeit lebt.
An diesem Morgen ist besonders herrliches Wetter. Die Sonne lacht von einem wolkenlosen blauen Himmel herab, und im sorglich gepflegten Vorgarten blühen in verschwenderischer Pracht die Blumen.
»Guten Morgen!«, ruft Frau Stüzzli Sabrina entgegen, die gerade aus ihrem Zimmer kommt. »Es ist Post für Sie eingetroffen. Der Kaffee ist auch schon fertig! Wollen Sie Honig oder Marmelade?«
»Guten Morgen!«, erwidert Sabrina freundlich, aber ernst. »Machen Sie sich nur keine besondere Mühe mit mir, Frau Stüzzli.« Noch während sie spricht, greift sie zu dem weißen Kuvert, das neben dem Gedeck liegt.
Sabrinas zartes Antlitz hat sich in den vergangenen Monaten sonderbar verändert. Es ist reifer geworden, ernster, fraulicher, und um den schönen geschwungenen Mund haben sich unmerklich zwei feine Linien eingegraben, die früher nicht zu sehen waren. Aus dem einstmals unbekümmerten und heiteren Moorprinzesschen ist eine sehr ernste junge Frau geworden.
Unschlüssig hält Sabrina den eben empfangenen Brief in Händen. Sie möchte ihn in Gegenwart Frau Stüzzlis nicht öffnen, brennt aber doch darauf, zu wissen, welche Nachricht er enthält.
Die nette Schweizerin spürt mit feinem Taktempfinden, dass ihre junge Mieterin mit der eingetroffenen Post aus der Heimat allein sein möchte, und zieht sich mit einem freundlichen Gruß zurück.
Sekundenlang zögert Sabrina noch, aber dann öffnet sie rasch das Kuvert, das Tante Tabeas Schriftzüge trägt.
Mein Herzenskind in der Fremde, hier sitze ich nun in der Halle am runden Tisch vor dem Kamin und denke an Dich. Aber viel lieber wäre es mir, wenn ich in die Küche laufen könnte, um für Deinen Empfang einen Baumkuchen zu backen, so riesengroß, wie es noch niemals zuvor einen gegeben hat. Obwohl wir über Leben und Arbeit im Schloss nicht zu klagen haben, kommt mir alles leer und verlassen vor, seit Du fort bist.
Auch die anderen haben Dich nicht vergessen, Fine nicht und Sönke auch nicht. Sogar Steff, der Knecht, fragt oft, wann Du denn nun endlich wieder heimkommst.
Langsam lässt Sabrina den Brief sinken. Tränen verdunkeln ihren Blick, und eine Woge heißen Heimwehs schlägt über ihr zusammen.
»Nie mehr, Tante Tabea«, flüstert sie, »nie mehr kann ich heimkommen.« Krampfhaft schluckt und schluchzt sie, und es währt eine ganze Weile, bis sie sich endlich wieder so weit gefasst hat, dass sie weiterlesen kann, was Fräulein Tabea geschrieben hat.
Liebe Güte, ich müsste ein Buch verfassen, wenn ich Dir berichten wollte, was hier alles geschieht. Ich fürchte, Du wirst Dich gar nicht mehr auf unserer Heideinsel auskennen, wenn du zurückkehrst, denn durch die Pläne unserer Durchlaucht hat sich alles verändert. Es werden riesige Kanäle gezogen, Baggermaschinen machen den ganzen Tag über grauenvollen Lärm, und vorläufig sieht alles noch aus, als wenn gerade ein Erdbeben gewesen wäre. Ich glaube, es wird noch ein ganz gehöriges Stück Arbeit kosten, bis alles tatsächlich so wird, wie es werden soll.
Aber unsere Durchlaucht schafft es schon.
Doch nun das Wichtigste, Sabrina! Ich hätte es fast vergessen, obwohl es das Tagesgespräch im Schloss ist. Das Geheimnis des Falkenverschlages ist gelöst, und zwar war es Rulle, der die Wahrheit ans Tageslicht brachte. Als er dort auf Weisung des Fürsten Ordnung schaffen ließ, entdeckte er drei Eulen, die sich in einem der zahlreichen Mauerwinkel eingenistet hatten. Was Wunder, dass ihr Flattern wie grausiges Schwingenschlagen klang, denn das kleinste Geräusch weckt in solche hohen Gewölben ja immer ein schauriges Echo. Kein Wunder war es auch, dass nichts zu bemerken war, wenn Sönke mit brennenden Kerzen Wache hielt, denn Eulen fürchten ja bekanntlich das Licht. Ich jedenfalls bin sehr froh darüber, dass die Geschichte eine so natürliche Erklärung gefunden hat, und schlafe nun jede Nacht wunderbar.
Noch mehr Ruhe hätte ich allerdings, wenn Du erst wieder bei mir wärst, Sabrina. Lass es nicht mehr so lange dauern, mein Herzenskind, denn Du ahnst ja nicht, wie sehr ich mich nach Dir sehne. Ich schließe Dich in meine Arme, grüße Dich tausendmal und bin immer Deine Tante Tabea.
Unablässig strömen heiße Tränen aus Sabrinas Augen, während sie den Brief behutsam zusammenfaltet. Sie ist in Gedanken in diesem Augenblick meilenweit von Luzern entfernt und zu Hause auf dem Moorschloss, in der Heimat.
*
Der Professor ist ein gütiger weißhaariger Mann, und als Sabrina an diesem Morgen etwas verspätet zum Unterricht kommt, begrüßt er sie freundlich mit der Frage, ob sie vielleicht bei einem Bummel durch das herrliche Sommerwetter die Zeit versäumt habe.
»Nein«, antwortet Sabrina leise, »ich habe Post von zu Hause erhalten.« Sie errötet ein wenig und schweigt, denn es liegt ihr einfach nicht, jemanden in ihr Herz sehen zu lassen.
Aber der alte Professor besitzt sehr große Menschenkenntnis, und es ist ihm während der vier Monate, da er täglich mit Sabrina zusammen gewesen ist, längst klargeworden, dass seine junge Schülerin an einem heimlichen Kummer krankt und grenzenloses Heimweh hat.
Zunächst sagt er jedoch nichts, sondern nimmt den üblichen Unterricht auf. Erst als Sabrina nach drei Stunden Geige und Bogen sinken lässt und sich verabschieden will, meint er plötzlich: »Ich habe meinem Freund Wolfhart geschrieben, dass ich Ihre Ausbildung als beendet betrachte.«
Unwillkürlich zuckt Sabrina ein wenig zusammen. »Ja, aber – aber was soll ich denn tun?«, stammelt sie bestürzt.
Der alte Herr lächelt fein. »Konzerte geben, mein Kind, denn auf dieses Ziel haben Sie doch so unermüdlich und bewunderungswürdig fleißig hingearbeitet.« Ernst ruht der Blick seiner klugen, wissenden Augen auf Sabrinas reinem Antlitz, dann fügt er seinen Worten langsam und bedächtig hinzu: »Oder Sie suchen das Glück an der Seite eines geliebten Mannes …«
Dieser Satz klingt wie eine unausgesprochene Frage, und eine tiefe, verräterische Röte steigt in Sabrinas Wangen. Ehe sie es verhindern kann, rinnen zwei heiße Tränen aus ihren Augen.
Prof. Braman nickt. »Ja, ja«, sagt er, und sein Lächeln vertieft sich, »so ist das nun einmal im Leben. Sehen Sie, mein lieber Freund Wolfhart hat ja auch unendlich unter der Liebe gelitten. Er war noch sehr jung, als er die Ehe mit der schönen, aber herzenskalten Simone schloss. Ich habe ihm damals davon abgeraten, denn ich wusste ganz genau, dass diese Ehe niemals gut enden konnte. Aber Wolfhart war ein echter Feuerkopf, hat seinen Willen durchgesetzt und ist mit sehenden Augen in sein Unglück gerannt.«
Fassungslos starrt Sabrina den alten Herrn an. »Aber – aber ich denke, er war sehr glücklich mit seiner Gattin?«, bringt sie tonlos hervor.
»Wie kommen Sie denn auf diese Idee?«, fragt Walter Braman kopfschüttelnd. »Glücklich soll Wolfhart mit der schönen Prinzessin gewesen sein? Ich bitte Sie! Diese Ehe war eine Hölle und eine einzige Qual, und ich habe Gott gedankt, als sie endlich geschieden