Rubine im Zwielicht. Dieter Jandt

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Rubine im Zwielicht - Dieter Jandt Mord und Nachschlag

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wieder in die Küche.

      Er griff in die Herrentasche und zog ein Papier hervor. Er faltete es auseinander, sah reichlich Stempel und begann zu lesen, bis er begriff, dass es sich um ein Zertifikat handelte. Es bestätigte die Echtheit eines Rubins mit Angaben über Größe, Gewicht und Reinheit. Also wirklich echt. Wagner bestaunte die rötlich funkelnden Steine in einer der Cellophantüten und stupste sie vorsichig mit dem Zeigefinger an. Also doch einen Riecher, lächelte Wagner. Im Wohnzimmer war die Sprecherin bei Polizeipferden angelangt, die vom Land Nordrhein-Westfalen wieder eingestellt werden sollten.

      Warum er das getan hatte? Wusste er‘s? Warum sollte er verdammt noch mal nicht über eine journalistische Spürnase verfügen, die ihn instinktiv hatte zugreifen lassen? Oder war es dieser verdammte Alltag mit Reportagen über Kaninchenzüchtervereine und Taubenauflasszeiten, der ihn dazu trieb, alles Mögliche anzustellen, um endlich mal an was Vernünftiges zu geraten. Hatte einfach zugelangt, sich im Gedränge, das sich um den Toten gebildet hatte, herangeschoben, sich gebückt und diese Herrentasche mit den Fingerspitzen langsam über den Boden gezogen und dabei aufgepasst, dass ihm niemand auf die Füße trat. Unmöglich, dass das jemand gesehen hatte. Die Leute waren viel zu sehr mit sich und ihrer Sensationslust beschäftigt. Sie schoben sich gegenseitig hin und her. Jeder wollte einen Blick auf den Toten werfen. Dazu versuchte die dicke Mutter, die mit ihrem Kinderwagen in der Menge verkeilt war, hinaus zu gelangen. Das Kind stand zwischen Kissen und Decken, schrie und trampelte hektisch darauf herum. Von draußen versuchte sich der Fahrer ins Abteil zu drängen. Wagner angelte sich die Tasche, schaffte es, sich im Durcheinander wieder aufzurichten, und nutzte die Lücke, als die Mutter sich endlich mit dem Kinderwagen nach draußen gequetscht hatte.

      Wagner spielte mit der Visitenkarte des Toten zwischen den Fingern: Dirk Lochner. Schmuck + Design. Spontan griff er zum Handy, um anzurufen. Einfach so. Um die Stimme des Anrufbeantworters zu hören, die Stimme eines Toten. Oder die einer Frau, die soeben erfahren hat, dass ihr Mann … Er legte das Handy auf den Tisch zurück und fragte sich, was er jetzt mit seinem Abenteuer anfangen sollte.

      4.

      Der Anrufbeantworter auf der Fensterbank blinkte rot und zeigte eine 5 an. Nok saß auf dem Küchenstuhl und hatte einen Mörser aus Ton zwischen die Oberschenkel geklemmt. Sie stampfte den Stößel in schnellem Rhyhtmus, um grüne und rote Chilischoten zu einem Brei zu hacken. Der CD-Player hinter ihr spielte Thai-Pop mit einer hohen männlichen Stimme aus Issan, dem Armenhaus Thailands.

      Nok war einer dieser typischen thailändischen Spitznamen und bedeutete Vogel. Noks Alter war schwer zu bestimmen. Asiaten sahen meist wesentlich jünger aus als sie waren. Man mochte sie auf Mitte zwanzig schätzen. Sie hatte langes schwarzes Haar. Es war zu einem Zopf zusammengebunden, der zum Rhythmus des Stößels vor ihrer Brust baumelte. Sie trug ein rosafarbenes T-Shirt und verwaschene Jeans. Sie war klein und zierlich. Ihre nackten Fußspitzen berührten gerade einmal den PVC-Boden, während sie dasaß und die Chilischoten bearbeitete.

      Auf der Anrichte der Einbauküche Ahorn Nachbildung lagen drei kleine Pakete mit Reisnudeln, eine Papaya, weitere Chilischoten und auf einem Kunststoffbrett eine angeschnittene Salami, daneben ein Messer. Nok erhob sich, schaute mit einem schnellen Blick aus dem Fenster, schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. Dann drückte sie die Abhörtaste des Anrufbeantworters. Der erste Anruf bestand aus dem schweren Atmen eines Übergewichtigen. Dann wurde aufgelegt. Das ging so weiter bis zur Zahl vier. Dann endlich hörte man den Bass eines älteren Mannes: »Nok. Melde dich doch. Ich weiß doch, dass du da bist. Ich will dich sehen. Hörst du?« Eine kleine Pause folgte. Man spürte, wie der Mann lauernd in die Stille hinein horchte. »Nok!« Dann legte er auf. Der fünfte Anruf bestand wieder nur aus schwerem Atmen. Nok zuckte mit den Schultern, setzte sich wieder hin und griff zum Mörser.

      Sie lebte seit etwa einem Jahr allein. Sie hatte sich von ihrem Mann getrennt, einem Alkoholiker, den sie vor zehn Jahren in Udon Thani, einer Großstadt im Nordosten Thailands kennengelernt hatte. Aber das war Vergangenheit, zumindest für sie. Nok ging hinüber zur Anrichte und riss die Plastikverpackungen mit den Glasnudeln auf. Der CD-Player wechselte zum nächsten Track, es klingelte an der Wohnungstür. Nok blieb erschrocken mitten in der Bewegung stehen und drückte dann die Stopptaste des CD-Players. Sie schlich wieder zum Fenster, lugte vorsichtig unter der Gardine her und überlegte einen Moment. Dann ging sie zur Tür.

      Wagner stand im Korridor, einen grünen Rucksack über der Schulter. Er machte ein scheiß-freundliches Gesicht, so wie es Frauenversteher immer machen, wenn sie versuchen, die geschlechts-spezifische Spannung zwischen Mann und Frau zu überspielen. »Ach, Sie sind sicher Chawiwan Messerschmitt?«

      »Wenn Sie das sagen«, Nok lächelte, aber das hatte nichts zu bedeuten.

      »Tja, wissen Sie, also ich komme im Auftrag, oder nein, besser gesagt …« Wagner wand sich. Er wirkte, als wollte er versuchen, die Größe Noks zu erreichen, die er um anderthalb Köpfe überragte. »Also, ich bin Journalist und arbeite an einer Reportage über asiatische Einwanderer. Und da dachte ich …, also ich bin einfach das Telefonbuch durchgegangen und …«

      »Und da hat es bei Messerschmitt Klick gemacht oder wie das bei Ihnen auf Deutsch heißt?«

      »Nein, bei Chawiwan.«

      »Sie haben das Telefonbuch nach Vornamen durchsucht?«

      »Nein, es war eher Zufall«, antwortete Wagner verlegen. Schlecht vorbereitet, wie er selber fand. Er hatte sich diese Ausrede mehr oder weniger spontan zurechtgelegt. Er konnte ja schlecht sagen, dass er ihre Adresse auf einem Briefumschlag entdeckt hatte, die in der Herrentasche eines Ermordeten steckte. Überzeugt, dass er ein ausgeprägtes, journalistisches Gespür hatte, beschloss er, diesem Gefühl weiter nachzugehen. Ein reines Gefühl, weiter nichts, ohne Anhaltspunkte. Also stand er nun hier und schaute auf diese Frau herab, die aus schmalen Augenschlitzen ständig zu lächeln schien.

      »Und keine Kamera?«

      »Ja, nein, Zeitung, nur Zeitung. Hier, sehen Sie, mein Presseausweis.« Wagner zog eine kleine Plastikkarte aus der Brusttasche seines Hemdes.

      »Ja, dann wollen Sie bitte eintreten.« Ihre Sprachkenntnisse schienen sehr gut zu sein. Volkshochschul-Deutsch für ausländische Mitbürger, das immer etwas steif und förmlich ausfiel. Nok ließ Wagner an sich vorbei. »Ich nehme an, Sie wollen Ihre Schuhe hier schon ausziehen?« Sie wies auf eine Ecke im Flur. »Ich bin immer froh, wenn jemand an thailändischer Kultur interessiert ist.«

      Wagner schob seine klobigen Schuhe in die Flurecke und folgte Nok in die Küche. Sie trat wieder an das Fenster, lugte hinaus und zog mit einem Ruck den lindgrünen Gaze-Vorhang zu. Sie lächelte Wagner beinahe höhnisch an, der in schmutzigweißen Socken vor ihr stand, aber Wagner wusste, dass Asiaten zig verschiedene Arten zu lächeln hatten. Vermutlich kannten sie deren tiefere Bedeutung selbst nicht. Wagner blieb mitten in der Küche stehen und sog beinahe theatralisch die Luft durch die Nase ein.

      »Das ist Papaya-Salat, wir nennen ihn Som Tam. Wenn Sie wollen … die Nudeln sind schnell gekocht. Dann lernen Sie auch sogleich etwas.« Nok zeigte auf einen der Küchenstühle. »Also, schreiben Sie!«

      »Ja, Moment, ich weiß doch noch gar nicht, was?« Wagner stellte den Rucksack neben dem Stuhl ab.

      »Aber Sie machen doch eine Reportage, was wollen Sie wissen? Haben Sie keinen Kugelschreiber?« Nok begann die Salami mit dem Messer in kleine Würfel zu schneiden. »In welcher Zeitung soll das erscheinen?«

      »Wupper-Kurier. Das geht auch heute nicht mehr mit Kugelschreiber«, erklärte Wagner generös und fischte die Herrentasche aus dem Rucksack. Er legte sie auf den Küchentisch, zog den Reißverschluss auf und holte ein kleines Diktiergerät heraus. Er bemerkte nicht,

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