Messerwetzen im Team Shakespeare. Ulrich Land
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Nee, falscher Fehler. Das Globe gab’s erst ab 1599. Sommer ’93 waren wir noch auf der anderen Themseseite. In unserm Theaterchen. Aber wir hatten den Gedanken, mit dem Theater umzuziehen, so ganz allmählich schon mal in den Kopf genommen. Umzuziehn auf die Bankside, das war klar wie Kloßbrühe. Wo wir nicht den Repressionen der Stadtoberen ausgesetzt sein würden, die grundsätzlich meinten, das Theater als Brutstätte der Sünde, des Lasters, der Verschwendungssucht, als Katalysator für aufrührerische Elemente und unkontrollierbar austickende Menschenmengen verdammen zu müssen. Und überhaupt, auf der Bankside würde unsre Schaubühne sowieso bestens aufgehoben sein, denn … na ja gut, ich weiß nicht, ob Sie sich im London Ecke 16./17. Jahrhundert auskennen … sicher, unsterblich, die Herren sind unsterblich, sicher, allüberall und ewig und alle Zeiten, sicher sicher. Hatte ich unverzeihlicherweise grad nur mal für ’n Augenblick mal außer Acht gelassen … Also jedenfalls auf die Bankside wollten wir mit unserm Theater, logisch. Mitten ins Vergnügungsviertel, umringt von Bordellen und anderen Theatern, die allesamt keine ernsthafte Konkurrenz für uns darstellten, sondern vermutlich jede Menge Zuschauer für uns abwerfen würden. Und vor allem in direkter Nachbarschaft von der Bear-Baiting-Arena, wo’s immer hoch herging, wenn sich mal wieder ein todgeweihter Bär einer Meute zähnefletschender Hunde und geifernder Zuschauer gegenübersah. Zuschauer, die vorher oder nachher zwecks gehobener Erbauung und Läuterung der Seele noch eine unserer Theatervorstellungen mitnehmen würden. Spin-Off-Effekte erster Güte. Also die perfekte Standortwahl. Ja, Pardon, wenn an dieser Stelle mal wieder die Seele des Krämers mit mir durchgegangen ist. 1593 jedenfalls, als sich der erste Akt des Marlowe-Dramas abspielte, das können Sie Ihrer Informationslieferantin bei Gelegenheit mal verklickern, da taumelte das Globe noch als unfertige Idee unter fernen Sternen einher. Obwohl, wie gesagt, die ersten Gedanken anfingen, sich zu formen; natürlich war mir und auch den andern bewusst, dass in ein paar Jahren der Pachtvertrag von unserm guten alten Theaterchen auslaufen würde.
Die Luft fing an zu flimmern. Und Kyd ließ einen dieser Stimmungsaufheller aus Christophers Nähkästchen plaudern:
»Wer diesen Punkt erstiegen hat, der stürzt.
Und da ich doch nicht höher steigen kann,
Warum beklagen, dass es abwärts geht?«
Shakespeare fuhr aus der Haut, was Kyd – seinem frechen Grinsen zufolge – geneigt war, als Triumph zu feiern. Shakespeare konnte es sich trotzdem nicht verkneifen, Zeter und Mordio zu brüllen: »Hört euch den an! Will den aufstrebenden Ast, auf dem wir uns allesamt so fürstlich eingerichtet haben, hau schnau absägen! – Kyd, vielleicht denkst du für fünf Pence mal selber und bedienst dich nicht bloß bei Marlowes Versvorräten. Dies Secondhand-Gewäsch, das macht einen ja rasen! Blödsinniges Geseiche … «
Der Rest der Shakespeare’schen Philippika ging unter in dumpfbrausendem Gebell und Gebrüll, das von draußen hereindrang.
Aber auch drinnen war’s nicht grade mucksmäuschenstill. Ich war im Eifer des Gefechtes aufgesprungen – oder wollte aufspringen. Und riss dabei mit dem Hintern, trallali, meinen Schemel um, der die Gelegenheit nutzte, trallala, dem seit Monaten provisorisch aufgebockten Spiegeltisch das letzte seiner regulären Beine wegzuschlagen. Worauf die anderen Tischbeine, nicht faul, ebenfalls einknickten, plötzlich Knie bekamen, wo niemand, am wenigsten sie selbst, welche vermutet hätten. Ziemlich weiche Knie.
Mit großem Getöse schossen Schminktöpfe, Pudertiegel, Pinsel, Quasten und Bürsten, Korsettgräten und Glasperlen, Duftwässerchen, Schnapspinnchen und was der Bühnenzauberutensilien mehr waren, abwärts, schlossen sich auf der schwankend schiefen Ebene, die mal eine Tischplatte gewesen war, zu einer Lawine zusammen, die sich alles, was ihr querkam, einverleibte und mit in den Abgrund riss, bis endlich die ganze Bescherung auf den Boden knallte und die Bohlen erschüttern ließ.
Das haitianische Erdbeben von Chili.
Kyd lachte. Trotz der Trauer, die er seit Tagen mit sich herumtrug. Lachte prustend und füßestampfend. Der Abgang des Schminktischs: ein Déjà-vu vom Feinsten nach dem Kladderadatsch des Bull’schen Zimmermädchens, dessen er vor kurzem hatte beiwohnen dürfen!
Ich weiß auch nicht, irgendwie hatte sich das Blatt zu meinen Ungunsten gewendet. Wenn Sie verstehn, was ich mein. Ich starrte mit aufgerissenen Augen in den zersprungenen Spiegel.
»Manch einer«, versuchte Kyd den Bogen bis zum Bersten zu spannen, denn er hatte das Gefühl, ganz oben auf seinem persönlichen Triumphbogen zu stehn, »manch einer zerschlägt lieber den Spiegel, als dass er reinschaut.«
Nachdem sich die Erdbebenwellen gelegt und das Geschepper sich ausgetobt hatten, stellte Shakespeare sich breitbeinig in den Salat aus Theaterplunder und warf mit flirrenden Fingern die Rechte so lässig wie möglich über die Schulter. Während draußen, angeheizt durch die eigenen Agents Povocateurs der Truppe, das Publikum allmählich ungeduldig wurde. Unüberhörbar bekamen die ersten »Anfangen! Anfangen!«-Rufe einen drängenden Unterton.
Helen dagegen war die Ruhe selbst und brachte tatsächlich eine geradezu nachvollziehbare Argumentation zuwege: »Dass jedenfalls immer du es bist, Will, der den Löwenanteil einstreicht, das war keineswegs verabredet. Pro Aufführung garantiert drei, vier Pfund. Gib’s zu! Muss ’n altes Weib wie unsereiner lange für stricken.«
»Ich halt schließlich meine Rübe hin«, versuchte Shakespeare seine Rübe aus der Schlinge zu ziehen, »geb für eure Schauspielund Schreibkünste stets und ständig meinen guten Namen her, wie mittelmäßig auch immer die Machwerke sein mögen.«
Doch da hatte er die Rechnung ohne seinen Kollegen George Peele gemacht, der inzwischen auch aufgetaucht war, vermutlich um rauszukriegen, warum es auf der Bühne partout nicht losgehen wollte. »Vorsicht Vorsicht, alter Junge!«, murrte dieser, »für’t Mittelmäßige bis’ immer noch du zuständig, oller Griffelspitzer.«
»Mach nicht«, trug Shakespeare eine möglichst rüde Verbalattacke vor, »mach nicht, dass ich dir diesen schminketriefenden Wattepfropf ins Schandmaul stopfe!« Wobei die letzten zwei, drei Worte an Lautstärke deutlich eingebüßt hatten.
Ja, natürlich, Sie haben vollkommen recht. Ich musste mich bremsen, verdammt noch mal. Es war dringend angezeigt, versöhnlichere Töne anzuschlagen. Schließlich galt es, und das war schon minutenlang überfällig, Theater zu spielen. Und zwar gemeinsam. Im Kollektiv! Die Situation musste auf Biegen und Brechen entschärft werden. Durch wen, wenn nicht durch mich!
»Wir sind verflucht noch mal ein Team!«, beschwor Shakespeare die versammelte Truppe. »Wie oft muss ich euch daran noch erinnern?«
Draußen kochte das Publikum inzwischen und war auf dem besten Weg, in einen tobenden Mob zu mutieren. »Loslegen!«, schrie es aus allen Richtungen, »loslegen!« Die Agents Provocateurs brauchten jetzt kein Öl mehr ins Feuer zu gießen. Die Stimmung war eh bis zum Gehtnichtmehr aufgepeitscht, die Ungeduld musste jeden Augenblick überkochen.
So schlecht konnten wir gar nicht spielen, dass wir diese brodelnde Erwartungshaltung hätten enttäuschen können. Der wogenden Rotte da draußen konnte man jetzt alles, alles in den Schlund schütten. Würde uns jede noch so miese Provinzposse aus der Hand fressen.