Vor der Flut. Corinna T. Sievers

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Vor der Flut - Corinna T. Sievers

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und Boden ist, Hunderte Meter hinter der Küste.

      17.30 Uhr an einem kalten Freitag Ende Januar. Für gewöhnlich hat Hovard das Licht gelöscht, in die vereiste Scheibe einen Ausguck gekratzt, Platz genommen in seinem Sessel, Fernglas auf das Watt gerichtet. Die da leben: Austernfischer, Säbelschnäbler, das Möbel ist aus rotem Samt.

      Mein Mann ist aufgewühlt, Grund ist ein Eisberg, der alle zwölf Stunden von der Tide versetzt wird, mit jedem Hub, jeder Böe, einige Meter näher an unser Gartentor. Der Wind kommt seit Weihnachten von Ost.

      Ein kleiner Parkplatz neben der Praxis. Von einer Funzel beleuchtet, statt Asphalt Eisbahn, der Hausmeister hat vergessen zu streuen oder hat schon Wochenende.

      Außer meinem Wagen (Porsche) noch ein anderer (Porsche, das neuere Modell). Der Fahrer sitzt im Dunkeln, das Glimmen einer Zigarette, aus dem geöffneten Fenster quillt Rauch, den der Wind mitreißt.

      Einen Fuß vor den anderen, ich rutsche, grätsche, die Tasche schlägt zuerst auf, dann die Hüfte.

      Die Tür der Karosse schwingt auf, irgendein Mechanismus, der dem Scharnier zu Geräuschlosigkeit verhilft, in wenigen Schritten ist der Fahrer bei mir. Wirft seine Zigarette fort, geht in die Knie.

      Sind Sie verletzt?, fragt Rübesam.

      Ich schüttele den Kopf, will auf und kann nicht, der rechte Absatz im Mantelsaum verhakt, Rübesam löst ihn, fasst mich am Arm. Sein eigener kamelhaarfarbener Schoß schleift im grauschwarzen Schnee.

      Wir stehen.

      Meine Hüfte, sage ich.

      So dürfen Sie nicht fahren, sagt Rübesam.

      Lässt mich nicht los. Führt mich an seine Beifahrertür, öffnet, legt die Hand auf meinen Scheitel (nachgefärbt in zweiwöchentlichen Intervallen, den vernichtenden Niederschlag von Grau auf die sexuelle Attraktion brauchen wir nicht zu erörtern, biologische Entsprechungen gibt es zahlreich, den Verlust der Pracht eines Fells, Gefieders oder Geweihs), er sagt: Vorsicht, tiefergelegt.

      Schirmt meinen Kopf, bis ich sitze.

      Umrundet den Wagen, windet sich hinein, der Mann zu schwer, zu weich, fließt in den Sitz, knöpft den Mantel auf, im Auto unter dem Himmel blaue Schwaden. Er stößt die Luft aus, zu jeder Bewegung ein Laut, wendet mir das Gesicht zu, alles darin glänzt, Lippen, Nase, Augen, ein wenig hängt das rechte Lid.

      Keine Minute darf man Sie allein lassen, sagt er, eine Bevormundung, die ich nicht übelnehme, sondern mir erkläre als Teil des Balzverhaltens.

      Stört es, wenn ich ein Fenster öffne?, frage ich.

      Auf der Mittelkonsole eine Zigarettenschachtel, die legt Rübesam über meinen Schoß hinweg ins Handschuhfach.

      Ich betätige den Fensterheber.

      Ganz schön streng, sagt er und betrachtet mich, noch immer über die Mitte gebeugt. Sein Gesicht jetzt sehr nah.

      Ich muss mich auf etwas gefasst machen, sagt er, richtet sich auf, startet den Motor.

      Er sagt: Ich bringe Sie nach Hause.

      Ihn vögeln oder nicht. Zwei Kreaturen, die in mir ringen, mich Tag für Tag in Stücke reißen. Die eine Tier, von Alters her wild und schön, bereit, sich selbst zu zerstören, ihr Genital dem starken Körper aufgepflanzt gleich einem Prunkstück.

      Die andere entwicklungsgeschichtlich jung, klar und kühl, dem weiblichen Verstand unterworfen, das Genital in Rückbildung begriffen zugunsten des Großhirns.

      Auch wenn das Tier triumphiert: Es ist wählerisch. Von den verfügbaren Kandidaten wird die Hälfte ausgemustert. Dann jedoch wird die einmal gefällte Entscheidung für oder wider den Beischlaf unumkehrbar sein.

      Im Innenraum des Wagens die Gemengelage von Tabak und Hovard-Parfum und etwas Drittem: Rübesam schwitzt aphrodisisch mit dem Duft frischen Spermas.

      Plötzlich eine an Euphorie grenzende Vorfreude, Vorwegnahme des grenzüberschreitenden Geschlechtsverkehrs mit einem Fremden, der Vorahnung des Scheiterns zum Trotz. Kurz lege ich die Hand auf Rübesams und sage: Danke, sehr liebenswürdig.

      Körpereigene Opioide aus dem Hypothalamus fluten mein Blut, der hormonelle Rückweg verschlossen bis zum Zeitpunkt der Vereinigung.

      Ich bin Erik, sagt Rübesam, und zu Hause wäre wo?

      Ich bin Judith, sage ich, ich wohne in K., und mein Mann wartet schon.

      Sie fragen sich, warum ich meinen Mann erwähne. Gerade jetzt.

      Ich frage Sie: wann sonst?

      Die Nymphomanin ist keine Lügnerin, im Gegenteil. Sie fühlt sich der Wahrheit verpflichtet, dies gilt für beide Seiten, den Gatten und den Liebhaber.

      Hovard weiß um jeden einzelnen. Nicht wenige kennt er persönlich, ich habe sie mit nach Hause gebracht. Manche älter als er (zweiundsiebzig), dann gibt er seiner Freude Ausdruck, der Junior zu sein.

      Erik ist Mitte vierzig.

      Dass sie jünger sind, kommt jetzt öfter vor, da relativ zu mir ihre Zahl zunimmt, während umgekehrt die Alten impotent werden oder aussterben.

      Die Straße wird schmaler, faulige Wiesen saugen das Licht ab. Alle fünfzig Meter ein vom Wind gebeugter Stamm.

      Ein Bauernhof, die Stalltür steht offen. Am Abend brüllen die Kühe, ihre Euter zum Bersten voll, sie brüllen nach ihren Kälbern, jedenfalls nach dem Melkroboter.

      Weiter hinten beginnt der Horizont. Auflaufendes Wasser.

      Ich dirigiere Erik durch das Dorf. Hier und dort ein Licht, die Fenster klein, spinnwebfeine Vorhänge, die Frauen häkeln sie noch selbst.

      Erik erzählt. Hier haben seine Frau und er sich auch etwas angesehen, aber dann sei es der Freifrau zu einsam gewesen. Und für das Kind gebe es keinen Spielplatz.

      Ich antworte: Ihre Frau hatte recht. Es ist einsam. Aber der Spielplatz ist der Strand.

      Erik nickt. Die Freifrau und er seien nicht immer einer Meinung.

      Meinerseits bedarf es keiner Worte, während Erik seine Gattin desavouiert.

      Ein für unser Vorhaben unverzichtbarer Vorgang.

      Unterdessen haben wir vor unserer Pforte gehalten. Weiß lackiert, zwischen runden Findlingen, auf den Wällen eine feste Grasnarbe. Der Ostwind trägt Gischt auf die Windschutzscheibe.

      Ohne mich anzusehen, fragt Erik, ob ich Kinder habe. Obwohl er die Antwort schon kennt.

      Ich schüttele den Kopf und weiß, dass er, der Ehebrecher, meine Antwort begrüßt.

      Dies aus zwei Gründen:

      Ein weiblicher Körper, der nicht geboren hat, kommt dem Ideal der Jungfräulichkeit näher, selbst wenn es sich um eine alternde Frau handelt.

      Eine kinderlose Geliebte ist verfügbarer als eine Mutter.

      Erik hat den Motor abgestellt.

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