Vor der Flut. Corinna T. Sievers

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Vor der Flut - Corinna T. Sievers

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Strähnen. Tritt durch die Pforte, richtet seine Brille, verschränkt die Arme.

      Sein Abschiedsküsschen und gleichzeitig unser erstes platziert Erik an meinem Mundwinkel, was an der Dunkelheit liegen kann, wahrscheinlich jedoch nicht, da öffnet Hovard die Beifahrertür. Irgendwie vom Tor zum Wagen gekommen, er nimmt meine Tasche, hilft mir aus dem Wagen, nickt Erik zu. Alles mit Erhabenheit, auch wenn der Sturm an ihm reißt und anderes noch. Wirft die Tür zu.

      Ich winke, Erik winkt, der Wagen rollt davon.

      Ein Patientenvater!, übertöne ich das Heulen, und dass mein Porsche nicht habe anspringen wollen!

      Die Pforte schlägt auf und zu.

      Hovard, für einen Moment im Windschatten der Westmauer: Ich bringe dich Montag zur Praxis. Dann sehe ich mir das Auto an.

      Küsst mich auf die andere Wange, die unbenutzte.

      Er ist nicht schön, Ohren groß, Nase spitz, der Mund Ringmuskel, dem die Lippen abhandengekommen sind.

      Spreizt die Nüstern, eine Bewegung knapp über der Wahrnehmungsschwelle, und: Lass uns noch mal ums Haus gehen, ich muss dir etwas zeigen.

      Grundsätzlich ist Hovard das Ausmaß meiner Promiskuität bekannt, er ist bemüht, ihr mit Gefasstheit zu begegnen, sich Seelenruhe durch Aussicht auf die Freiheit von Leidenschaften zu beschaffen, nicht anders zu erlangen als durch Gefühlsabschaffung.

      Wir pflegen einen kultivierten Umgang, aber nicht immer gelingt sein Bemühen um Selbstformung. Im Versagensfall kann ihn eine Unruhe befallen, wenn ein Ärgernis seinen Sinnen Schärfe verleiht, dann offenbart er eine Empfindsamkeit, die im Normalzustand auf seinem Sessel am Fenster nicht zu erahnen ist. Insbesondere, wenn ich rieche, zum Beispiel hier und jetzt nach Nikotin.

      Ein Raucher also!, ruft Hovard.

      Ich folge ihm in den Sturm, Wind und Gischt tragen den Erik-Geruch davon.

      Wir drücken uns entlang der Hauswand, weißer Putz, unter den Füßen glattgetretener Stein. Hovard ruft, die Hände zum Trichter: Jahrhundertelang trug der Weg den Walfänger ins Heim, nach einem Jahr auf rauer See zurück in die Stube, wo in der Wiege ein neues Kind schlief, vielleicht sein Blut, vielleicht auch nicht!

      Das sagt er nicht von ungefähr, wie er grundsätzlich nichts von ungefähr sagt.

      Wir stehen an der Veranda, verwitterte Eichenrahmen, Gläser geschliffen, Anbau von 1890, als man den Walfang industrialisierte und die Dörfler Muschelfischer wurden oder Künstler. Das Haus fiel an einen Maler, Impressionist, Pointillist, wie ich muss er die Einsamkeit geliebt haben, anders ist die Insel nicht zu ertragen. Muss wie ich das Abendlicht geliebt haben und die Männer, in meinem Schlafzimmer getupfte Sonnenuntergänge über dem Meer, schmalhüftige Gestalten am Strand im Spiel. Der empfindsame Eigentümer und Architekt des unzeitgemäßen Glasanbaus blieb unverheiratet, entsprechende Einträge finden sich im Gemeindebuch. Die Grundschuld ungetilgt, kein Fischer kauft schwule Kunst, dazu der ruinöse Bedarf an Kohle, so undicht war die Veranda und ist es noch heute, wie immer sich Hovard müht, die Fugen abzudichten, bei Sturm aus Ost flackern im Innern die Kerzen.

      Seitlich der Fensterfront eine Glastür, Ornamente von Lilien gleich verschlungenen Körpern.

      Hovard hat meine Hand genommen, zieht mich in den Garten, wir versinken im Morast, der Rasen in jämmerlichem Zustand, der Grund der Warft vollgesogen mit Salzwasser.

      Eine andere Pforte trennt das Grundstück vom Strand, bis hier schlagen die Wellen. Wir bleiben stehen, Hände an die Ohren gepresst, in der Dunkelheit leuchtet der Sand, wenn das Wasser zurückrollt. Auch der Eisberg scheint zu leuchten, im Innern blaues Licht. Zwischen den Dornen der Heckenrose Seegras und Muscheln, nach Abflauen des Sturmes wird Hovard sie aus den Zweigen klauben.

      Ist das schon der Scheitelpunkt?, rufe ich.

      Hovard schüttelt den Kopf, der Wind trägt seine Worte fort, ich glaube zu hören: Mitternacht.

      Hier beginnen unsere Abendspaziergänge, den Strand entlang bis zum nächsten Dorf, heute steht, wo wir sonst gehen, das Eiswasser knietief. Wir kehren um.

      Auf der Schwelle vor der Terrassentür Kaninchen, links die grauen, rechts die schwarzen. Teilen sich die Warft, unterhöhlen die ohnehin schwindende Scholle, ohne Feinde auf der Insel, noch hat kein Fuchs den Weg vom Festland gefunden.

      Hovard schließt auf. Um durch die Eingangstür zu treten, muss er sich bücken. Nimmt den Südwester vom Kopf, das wenige Haar von der Farbe alter Schokolade, elektrisch aufgeladen, stiebt in alle Richtungen, dagegen spannungsarm die Hovard-Seele, zumindest behauptet er das, obschon Seele ein Begriff ist, den er ablehnt, die Psychoanalyse verwendet Persönlichkeit.

      Er hängt die Öljacke an den Garderobenhaken, fährt sich über den Schopf, steigt aus den Gummistiefeln (gelb wie Mütze und Joppe), stellt sie auf die Schuhablage, geht in die Stube. Vornübergebeugt, die Schwerkraft zieht am hohen Schädel.

      Ich hänge den Pelz auf, Lamm geschoren, ein altes Stück, dieser Tage heißt es Vintage, an den Füßen ebenfalls Lamm. Der Umgang mit Fellen auf einer Insel ist dem Pragmatismus geschuldet, zuerst kommt der Mensch, dann das Tier. Darunter Jeans, slimfit, rote Bluse, schwarze Wäsche, Körbchengröße A, kleiner ist nicht zu haben.

      Brüste bestehen aus Fett. Mein Körperfettanteil: fünfzehn Prozent. Gesunde junge Frauen: fünfundzwanzig. Im Klimakterium: fünfunddreißig. Was soll sich in meinen Titten befinden. Frauen meiner Statur (lang und schmal und weiß) haben keine.

      BH gepolstert, biologisch zwingend, warum, will ich erläutern, so oder ähnlich hundertfach erlebt: erstes Abendessen der libidinös veranlagten Frau mit Quasi-Unbekanntem. Im Anschluss, an die Hauswand gelehnt oder im Auto, Geküsse. Seine Zunge Schwanz in Miniaturform, mein Mund heiße, feuchte Stellvertretermöse. Vorweggenommener Geschlechtsakt, Hände auf Arsch und Titten, manche fühlen nach der Pussy.

      Tastbefund meiner Brüste: negativ. Verschwindende Prominenz nivelliert vom Gewebe der Oberbekleidung.

      Die vollständige Abwesenheit von Titten irritiert. Selbst die Liebhaber knabenhaften Wuchses sind angewiesen auf die Illusion einer weiblichen Brust.

      Darum das Polster, zwei, drei Zentimeter mehr, und der männliche Sexus ist bedient.

      Ich bin Feministin, ich bin stolz, aber was nützt das, wenn ich Lust habe, einen Schwanz zu lutschen.

      Wohnraum und Küche derselbe Raum. So üblich bei den Friesen, Wärme ist kostbar, im Winter stand früher die Kuh in der Stube. Quer durch das Zimmer am Boden die Mistrinne.

      Hovard hat den Kühlschrank geöffnet.

      Er sagt: Ein Glas Riesling auf den Schreck.

      Auf welchen Schreck, lässt er offen, den angeheirateten Freiherrn oder den Eisberg.

      Entkorkt die Flasche, Oberarme sehnig, schnüffelt, schenkt ein. Ich betrachte seinen Arsch, flach geworden, ob die Eier wohl noch da sind.

      An seinem Hemd eine Fluse, die zupfe ich ab, lasse die Hand sinken, streife wie versehentlich den nicht vorhandenen Hintern.

      Er verkostet. Und gegen den Kühlschrank gelehnt: Fick ihn nicht, den Raucher. Ich hab kein gutes Gefühl.

      Wir duschen und schlafen getrennt. Mein Bereich geht nach Süden.

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