Vor der Flut. Corinna T. Sievers

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Vor der Flut - Corinna T. Sievers страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Vor der Flut - Corinna T. Sievers

Скачать книгу

      Ich lasse die Lampe ausgeschaltet, entkleide mich, an der Wand mein fadenscheiniger Schatten.

      Im Bad brennt die Deckenlampe aus Marokko, das Leuchten der LED gebrochen in tausend Farben. Geschenk eines Maghrebiners, um den es hier nicht gehen soll, vielleicht in einer anderen Geschichte.

      Die Frau im Spiegel ist bleich. Ihre Fragilität elementar. Gleichwohl ist sie in der Lage, sich mit Vehemenz an ihre Liebhaber zu werfen, als vervielfache eine geheimnisvolle Zentrifugalkraft die Masse ihres Körpers.

      Groß und blond und mittelgescheitelt, das Haar am Hinterkopf verknotet, wenn sie Zähne flickt. Es ist zu fein, da kann auch ihr Friseur nicht helfen. Der ist ein junger Typ mit Pferdeschwanz, wenn er sein Schwämmchen eintunkt, riecht es nach Erde. Er drückt es auf ihren Scheitel, Farbton young blond, dabei streift er ihre Brüste. Unter der Wärmehaube beschließt sie, mit ihm zu schlafen.

      Die Haut: zu hell, zu viele Muttermale, das größte an der linken Brust hat sie entfernen lassen. Dem entspross ein Borstenbüschel, eine Grässlichkeit, deren evolutionärer Sinn sich ihr in keiner Weise erschließt (überhaupt stellt sich die Frage des biologischen Nutzens der Hässlichkeit).

      Züge annähernd symmetrisch, Leberfleck auf der rechten Wange, borstenfrei.

      Ihr Gesicht ist klein, alles darin zu groß, Augen, Nase, Mund und Zähne, Männer sind gerührt, man wolle sie immerzu ansehen, die kleine Visage der fehlerhaften Proportionen, und küssen.

      Dort, wo sie lebt, ist es kalt, Jahresmitteltemperatur acht Grad. Würde die Sonne scheinen, hätte sie Sommersprossen.

      Die Brüste niemals fest gewesen. In einem Roman liest sie von festen Brüsten und weiß nicht, wie sie sich diese vorstellen soll. Wie Melonen?

      Ihr sind zwei reife Beeren gewachsen.

      Keine Hängetitten, Minititten können nicht hängen, Mastoptosis (medizinische Hängetitteneinheit) Grad null – Nippel weit oberhalb der Unterbrustfalte. Trotz runder, rosaroter, reizbarer Warzen die Brüste an ihr das Armseligste, die kleinste Männerhand füllen sie nicht aus.

      Ihr Bauch will sich runden, als drängten mit jedem Jahr Verdauungsapparat und Gebärmaschine nach unten und vorn. Das Bindegewebe hört zu binden auf.

      Was dem Arsch widerfährt, ist nicht weniger beschämend, einst rund und seitlich konkav, ohne Falte, ohne Überhang, jetzt das vergänglichste aller Einzelwesen. Will ihr zergehen, zerfließender Polyp, an Breite zunehmend, lichter Höhe abnehmend, als verwese er bei lebendigem Leibe.

      Sie rennt dagegen an, nach Leibeskräften den Strand entlang.

      Mit ihrer Pussy ist sie beschenkt, fleischiger Kelch, zur Bestäubung an Nektar und Pollen gelangt nur ein kräftiger Rüssel.

      Länge der Beine aus dem Rahmen gefallen, über den Knien die Haut im Begriff zu erschlaffen.

      Falls Sie neugierig geworden sind, männlich und im geschlechtsreifen Alter: Ihre E-Mail an die Praxis, bitte.

      Das Walfängerhaus ursprünglich ein einziger Raum für Mensch und Vieh, Kojen an die Wände gezimmert. 1910 teilte der Impressionist ein Schlafzimmer ab, möglicherweise außerstande, in Gegenwart seiner Bilder zu ficken. Grundsätzliche Eigenschaft von Männern: dass ihnen Dinge heiliger sind als Menschen.

      Nach dem Kauf baute Hovard an, die Bauvorschriften sind streng, genehmigt wurden ein kleines Zimmer, zwei winzige Bäder.

      Die Wanne ist kurz, ich bade im Sitzen, den Kopf auf der Umrandung. Und denke an Erik.

      Schön ist er nicht. Aber gepflegt. Gepflegt ist wichtiger als schön. Er wird gut riechen, da bin ich sicher, sein Mund wird mir schmecken.

      Für die Nymphomanin oberstes Gebot: rituelle Reinheit von Hautfalten, Körperöffnungen und -höhlen.

      Vor dem Geschlechtsverkehr die große Waschung, an der fremden Haut allenfalls ein schwacher Männerduft, molekulare Mengen von Pheromonen, unerträglich: Ausscheidungsprodukte. Ein einziges Fäkalatom, und ich fliehe.

      Anders ist es während des Aktes: alle weiteren Körperflüssigkeiten zugelassen.

      Diese Überlegungen stelle ich an, als Hovard ins Badezimmer kommt. Er klopft nicht an, das hält er für sein Hausrecht.

      Bringt in einem bauchigen Glas den Riesling.

      Aus dem Elsass, sagt er.

      Der Wannenrand ein kleiner, gemauerter Absatz, darauf kommt der Wein und auch Hovard. Sieht meine Nacktheit und sieht sie nicht.

      Eigentlich möchte ich verstummen, kreuze die Arme über der Brust.

      Gleichwohl wird aus Gründen des Fortbestands unserer Ehe ein diplomatischer Verkehr, kein sexueller, aufrechterhalten.

      Hovards Stimmlippen belegt, mehrmaliges Räuspern, dann hat er sich warmgeredet, grundsätzlich mangelt es ihm tagsüber an Gesprächspartnern. Er erzählt von seinem Tag, welche Fliesen er ausgebessert, bei welchem Trödler er Ersatz gefunden hat für den verrosteten Türbeschlag, wie es aussieht auf unserem Konto und mit der Altersversorgung.

      Mit dem kalkulierenden Hovard vor Augen kommt mir Erik abhanden, zerfließt zwischen meinen Schenkeln.

      Hovard reicht mir das Glas. Um es zu nehmen, muss ich die rechte Brust entblößen respektive denjenigen Abschnitt des Brustkorbs, dem sie anhaften sollte.

      Ob sich der Tittenmangel Hovard erschließt, vermag ich nicht zu beantworten. Gewöhnt man sich an Leerstellen? Ich glaube nicht. Schönheitsfehler bleiben Stachel im Fleisch, sogar Liebende sind von der Natur mit Urteilsvermögen beschenkt.

      In einem Zug leere ich den Riesling.

      Hovards Mängel sind offenkundig, sie quälen mich wie Ungeziefer, der turmhohe Schädel (hinter eckiger Stirn ein hochfunktionelles Frontalhirn), das spärliche Haar angeordnet nach Art eines Kränzchens, der schmutzig-graubraune Ton, an der Kuppe Restflaum derselben Farbe. Nase und Ohren lang, Augen hellblau, von wässriger Leuchtkraft, sie wären der einzige Reiz, hinge nicht das Unterlid, legte es nicht ein Geflecht hellroter Gefäße bloß.

      Sie wissen, wovon ich spreche, was uns befällt im Angesicht von Hässlichkeit, impulsartiges Zurückweichen, vergleichbar der Abscheu vor einem wilden Tier, niederschwelliger zwar, aber dauerhaft nagend.

      Seit einigen Jahren ist sein Bindegewebe schwach, auch die Muskulatur, das Glied nie anders als schwach gewesen. Die Natur verschwendet sich an Geist oder Körper, niemals an beide.

      Er hat seine Rede beendet, das Badewasser ist kalt.

      Die Standuhr in meinem Schlafzimmer schlägt elf.

      Hovard erhebt sich: Mach die Kerzen aus, bitte.

      Beugt sich hinab und sagt: Falls du noch wach bleibst, sieh nach dem Eisberg.

      Küsst mich auf die Lippen, nimmt das Glas und ist fort.

      Eigentlich ein guter Mann, auch wenn er mich nicht fickt. Er lässt mich mit anderen ficken.

      23.33 Uhr. Ich habe die Kerzen ausgeblasen, stehe nackt am Fenster. Brüste, Schenkel halbgefroren, in meinem Rücken

Скачать книгу