Der Rattenzauber. Kai Meyer

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Der Rattenzauber - Kai  Meyer

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verpflichtet zu nichts; falls er nach den Regeln Gottes und der Kirche lebt, wird er sich eines Tages dort wiederfinden. Andererseits: Einen Menschen zur Hölle zu verdammen könnte sich im Falle eines Irrtums als fatal erweisen, denn eine solche Verkündung ist unwiderruflich. Träfe man den Unglücklichen – oder eben Glücklichen – stattdessen im Himmel an, müssten die Pfaffen ihren Fehler eingestehen. Und die Kirche lebt davon, dass sie keine Fehler gesteht.«

      »Das aber würde bedeuten, die Hölle wäre leer«, sagte ich. »Warum wollt Ihr sie dann finden?«

      »Leer ist sie nicht. Nur weiß niemand zu Lebzeiten eines Menschen, ob es ihn dorthin verschlagen wird. Glaubt man den alten Berichten, so ist Satans Reich gar übervoll mit armen Seelen.«

      Mein Blick fiel erneut auf den Bronzeschädel an Dantes Seite. »Bevor Ihr weitersprecht, erlaubt mir eine Frage. Hat Euch ... Albertus, so war doch sein Name? Hat er Euch je geantwortet?«

      Ich hatte die Worte nicht ganz ernst gemeint, was Dante kaum zu bemerken schien, denn er erwiderte aufrichtig: »Gelegentlich gibt er Antwort. Doch vielleicht sollten wir beim alten Gegenstand unseres Gespräches bleiben, denn ich fürchte, Ihr mögt mir ohnehin nicht glauben.«

      »Woher habt Ihr den Kopf?«, fragte ich, ohne seine letzten Worte zu beachten.

      Dante lächelte verlegen. »Er gehörte einst Albertus von Bollstädt, darum gab ich ihm seinen Namen. Auch er führte Zwiegespräche mit ihm. Es heißt, Thomas von Aquin habe ihn zerschlagen, als er und Albertus sich trafen.« Er schmunzelte. »Thomas hielt ihn für Teufelswerk, was man einem großen Geist wie dem seinen wohl nachsehen muss. Es mag wahr sein, dass ihn der Schädel entsetzte, doch dass er ihn zerstörte, ist eine Lüge. Tatsächlich stahl er ihn von Albertus und nahm ihn mit in seine Heimat. Ich stieß darauf, als ich Thomas’ Werk vor Ort studierte.«

      »Wie das?«, fragte ich erstaunt.

      Dante wurde offenbar unbehaglich zu Mute, denn er wandte den Blick ab und ließ ihn fahrig durchs Zimmer schweifen. »Nun, sagen wir, ich fand ihn.«

      Ich lachte laut auf. »Dann habt Ihr ihn gestohlen.«

      »Wie könnt Ihr es wagen?«, fuhr er auf, nur um sogleich hinzuzufügen »Nun ist er jedenfalls mein. Lasst uns über etwas anderes sprechen. Sagt mir, wie es mit Euren eigenen Ermittlungen im Fall der verschwundenen Kinder steht.«

      Ich zögerte einen Augenblick, dann fasste ich endgültig Vertrauen zu dem Kauz und berichtete ihm von meinen Erlebnissen und Niederlagen. Nur über Marias Liebeszauber schwieg ich.

      Nachdem ich geendet hatte, sagte Dante lange Zeit kein Wort. Dann, nach einer ganzen Weile, die mir beinahe endlos schien, meinte er: »Die Hamelner sind gottesfürchtige Menschen, die sich völlig ihrem Schicksal ergeben. Offenbar mögen sie es nicht, wenn man sich in ihre Obliegenheiten mischt.«

      »Nennt Ihr es gottesfürchtig, wenn man einen Ritter des Herzogs grundlos ermorden will?«

      Statt einer Antwort fragte Dante: »Habt Ihr die Mysterienbühne auf dem Marktplatz gesehen?«

      Ich nickte, und er fuhr fort »Dann wisst Ihr auch, dass nur Menschen, in denen der Glaube an Gott und seine Gnade tief verwurzelt ist, solch einen Aufwand betreiben, um ihm gefällig zu sein. Ganz Hameln ist seit Wochen wegen dieses Spiels auf den Beinen. In wenigen Tagen findet die Aufführung mit der Kreuzigung Christi ihren Höhepunkt. Es heißt, der Herzog persönlich, wie auch der Bischof von Minden, werden anwesend sein.« Diese Nachricht traf mich unerwartet. »Beide kommen nach Hameln?«, fragte ich verblüfft.

      »So sagte man mir. Ihr wusstet nichts davon?«

      »Am Hof hat man mir nichts davon erzählt.«

      Dante lachte. »Nun fürchtet Ihr, Euer Herr wird einen Bericht über den Stand Eurer Nachforschungen verlangen. Ihr fürchtet, Euer Gesicht zu verlieren.«

      Ich muss eingestehen, dass Dante mich durchschaute.

      »In der Tat.«

      »Ich will Euch mit einem Hinweis behilflich sein, denn wenngleich ich auch hoffe, den Aufenthaltsort der Kinder zu kennen – eben die Hölle, wie Ihr wisst –, habe ich doch ein, zwei Dinge erfahren.«

      »So sprecht«, bat ich hoffnungsvoll.

      Dante veränderte seine Haltung und brauchte eine Weile, bis er wieder angenehm saß. Die Wartezeit stellte meine Geduld auf eine harte Probe. Dann aber sagte er: »Unter den hundertdreißig Verschwundenen war eine, die viel älter war als alle anderen.«

      »Bislang hieß es, nur Kinder seien abhanden gekommen.«

      »Allerdings. Und doch war eine dabei, die bereits ihr siebzehntes Jahr vollendet hatte.«

      »Wer?«

      Dante hob beide Augenbrauen. »Die einzige Tochter des Bürgermeisters, Margarete Gruelhot. Sie stand kurz vor ihrer Vermählung.«

      Ich dachte eine Weile nach, ob dies eine Bedeutung haben mochte, kam aber zu keinem rechten Ergebnis. Daher fragte ich: »Was war es noch, das Ihr erfuhrt?«

      »Eine Magd soll den nächtlichen Auszug der Kinder aus der Stadt in Richtung Kopfelberg beobachtet haben.«

      »Wo finde ich sie?«

      Dante seufzte. »Dies eben ist das große Hindernis. Die junge Frau ist gleich danach ins Klarissenkloster am Rande der Stadt eingetreten.«

      »Dann werde ich sie dort aufsuchen.«

      Er schüttelte den Kopf. »Die Klarissen geloben bei ihrer Aufnahme strenges Schweigen. Nur alle zwei Wochen dürfen sie einen Besucher empfangen und mit ihm durch ein enges Gitter einige Worte wechseln. Das Gitter ist undurchsichtig, man kann nie sicher sein, wer einem auf der anderen Seite gegenübersitzt. Ein einziges Mal im Jahr ist es ihnen erlaubt, einem Besucher von Antlitz zu Antlitz zu begegnen, doch bis dahin müssen noch neun Monde vergehen.«

      »Ich muss sie nicht sehen, um mit ihr zu sprechen«, sagte ich. »Gleich morgen will ich ins Kloster gehen und sie aufsuchen.«

      »Nun«, sagte Dante, »dann wünsche ich Euch viel Glück. Ich selbst werde meine Forschungen auf dem Kopfelberg weiterführen. Vielleicht können wir am Abend unsere Ergebnisse austauschen.«

      »Mit dem größten Vergnügen«, erwiderte ich. Dies war ein guter Moment, das Gespräch für die Nacht zu beenden, daher erhob ich mich. Auch Dante stand auf und reichte mir die Hand. »Ein Verbündeter kann uns beiden schwerlich schaden, oder?«

      Ich lächelte erfreut über dieses Angebot seiner Freundschaft und schlug ein. Als ich zur Tür ging, fiel mein Blick auf Dantes Kapuzenmantel, der in einer Ecke lag.

      »Sagt, mögt Ihr mir Euren Mantel borgen?«, fragte ich.

      »Mir scheint es besser, fortan unerkannt durch die Straßen zu gehen.«

      »Sicher«, erwiderte Dante. »Nehmt ihn mit.«

      Damit verließ ich ihn und trat frohgemut zurück in meine Kammer. Der Abend hatte eine Wende zum Guten genommen, die erste, seit ich die Stadt betreten hatte. Ein Freund war in Umständen wie diesen ein Geschenk des Himmels, und ich blickte dem morgigen Abend mit Ungeduld entgegen.

      Das Schicksal freilich hielt

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