Der Rattenzauber. Kai Meyer

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Der Rattenzauber - Kai  Meyer

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Mit einem Aufschrei krümmte er sich zusammen und stieß einen Schwall wilder Flüche aus. Die übrigen vier sprangen nach vorne und griffen nach mir, doch ich entging ihren zupackenden Händen mit einem gewagten Sprung aus dem Schatten der Mauer, mitten in eine gewaltige Schlammpfütze abseits der Holzstege. Verwünschungen brüllend setzten sie mir nach, einer nach dem anderen landete unter peitschenden Schlammfontänen im Dreck. Der Morast saugte an meinen Stiefeln, trotzdem gelang es mir, nach vorn zu springen. Links und rechts von mir schossen fette Ratten aus den Fluten und brachten sich vor Füßen und Schreien in Sicherheit. Ich erreichte ein Brett und balancierte darauf entlang eines schmalen Erdwalls zwischen zwei mit Wasser gefüllten Baugruben. Als die Männer es mir gleichtaten, rutschte prompt einer von ihnen ab und landete mit ausgebreiteten Armen im Brackwasser.

      »Jetzt erkenne ich ihn«, brüllte einer. »Es ist der Ritter. Der Ritter des Herzogs.«

      Darauf verdoppelten sie ihre Anstrengungen, meiner habhaft zu werden. In einigen Bauruinen zu beiden Seiten des wirren Netzes aus Fußbrettern reckten sich weitere Köpfe aus Fenstern und Gruben. Einige Männer ließen von ihrer Arbeit ab und nahmen gleichfalls die Verfolgung auf. Sie alle schrien Flüche und Drohungen, und nur ein Wunder mochte verhindern, dass andere Tagelöhner, die sich noch irgendwo vor mir befanden, meinen Weg versperrten.

      Tatsächlich gelang es mir, trockenen Boden zu erreichen. Eine schmale Schotterstraße führte am Ufer entlang und verband den Stiftsbezirk mit dem Dorf. Zweihundert Schritte weiter nördlich erkannte ich das Genitium. Genau vor mir lag der Fluss.

      Es blieb keine Zeit zu zögern. Schritte und Rufe in meinem Rücken kamen immer näher und mehrten sich auf Besorgnis erregende Weise. Ich hatte vor der Hinrichtung des Ketzers erlebt, zu welcher Grausamkeit das Volk fähig war, und hegte keinesfalls den Wunsch, das erbärmliche Schicksal des Mannes zu teilen.

      So sprang ich mutig voran in den Fluss und versank. Die wilde Jagd hatte mir den Atem genommen, und schon nach Augenblicken musste ich erneut auftauchen, um Luft zu holen. Da sah ich sie am Ufer stehen, zehn, fünfzehn Mann, mit grimmigen Mienen, Hämmer und Hacken in Händen haltend, bereit, mir sofort den Garaus zu machen. Zu meinem Glück verbargen mich Wellen und die anbrechende Dunkelheit vor ihrem Zorn. Ich tauchte sogleich wieder unter und schwamm unter Wasser nach Norden.

      Immer wieder nach Luft schnappend, gelang es mir, die Bootsdurchfahrt zu passieren und dahinter unbemerkt an Land zu gehen. Triefend und zutiefst in meinem Stolz getroffen, schlich ich mich durch die engen Gassen zurück zur Herberge. Niemand schien mich auf dem Weg dorthin zu bemerken. Die meisten Menschen wärmten sich nach der feuchten Kälte des Tages in ihren Hütten. Vor den wenigen, die mir begegneten, verbarg ich mich in Torbögen und Eingängen.

      Schon von weitem hörte ich, dass der Schankraum der Herberge voller Menschen war. Sie lärmten und sangen, tranken und lallten, sodass es mir als ein zu großes Wagnis erschien, mich durch ihre Mitte zu bewegen. Ich umrundete das Haus und fand an seiner Rückseite eine schmale Holztreppe, die an der Außenwand hinauf ins obere Stockwerk führte. Sie endete vor einer morschen, niedrigen Tür, die schon auf einen leichten Druck hin nachgab und nach innen schwang. Gebückt trat ich ein und schob die Tür hinter mir zu.

      Der Gang, auf dem ich mich wiederfand, war dunkel. Unzweifelhaft handelte es sich um jenen Flur, an dem auch mein Zimmer lag, denn an seinem Ende erkannte ich im Boden das helle Rechteck, durch das es hinab in den Schankraum ging.

      Ich unterdrückte den Drang, vor Erleichterung aufzuatmen, als hinter mir die Schatten in Wallung gerieten. Aus dem Augenwinkel sah ich noch, wie eine Gestalt auf mich zuschoss und mit einem langen Gegenstand nach mir ausholte. Ehe ich herumwirbeln und den Schlag abwehren konnte, traf er mich schon an der Schulter, nicht fest, auch nicht schmerzhaft, aber doch vollkommen unerwartet.

      Ich griff blind ins Dunkel und bekam einen Arm zu fassen, ein schmales Handgelenk. Mit der anderen Hand packte ich den dünnen Stock, mit dem man auf mich eingeschlagen hatte. Mein Gegner strampelte wild, und ich wollte eben ausholen und meinerseits zuschlagen, als sich meine Augen soweit an die Finsternis gewöhnten, dass ich erkannte, mit wem ich rang.

      Es war Maria. Ihr langes Haar war zerzaust, das hübsche Gesicht verzerrt, sei es von Schmerz oder Scham.

      Überrascht ließ ich sie los, sie stolperte vom eigenen Schwung getragen nach hinten und fiel auf ihr Hinterteil. Wie ein Tier in der Enge kroch sie in eine dunkle Ecke und blieb dort mit gesenktem Haupt sitzen, das Gesicht zwischen den Knien vergraben.

      »Um Himmels willen, was tust du?«, fragte ich erregt, wenn auch leise genug, um kein Aufsehen in der Schänke zu erregen.

      Maria gab keine Antwort, nur ihr jagender Atem drang aus den Schatten. Ich hielt den dürren Haselnussstecken ins fahle Licht des Treppenaufgangs. Mehrere Schriftzeichen waren in seine Rinde geschnitzt, offenbar von jemandem, der des Schreibens nicht kundig war und die Buchstaben verzerrt von einer Vorlage kopiert hatte.

      PAX + PIX + ABYRA + SYNTH + SAMASIC las ich, und wenngleich diese Worte wie Latein klangen, so ergaben sie doch keinen Sinn. Trotzdem begriff ich. Die merkwürdigen Zeichen, der Haselnusszweig, der Angriff aus dem Verborgenen – alles Teile eines bäuerlichen Liebeszaubers, von dem ich einst an anderem Ort gehört hatte.

      Maria schien zu ahnen, dass ich ihr Ansinnen durchschaut hatte, denn plötzlich sprang sie auf, drängte sich an mir vorbei und verschwand am Ende des Gangs in einer Tür. Von innen schob sie den Riegel vor. Ich stand da, völlig durchnässt, den Zweig in der Hand, und wusste nicht recht, was ich denken sollte.

      Schließlich raffte ich alle Sinne beisammen und betrat meine Kammer. Gleich als Erstes entdeckte ich meine Kleidung, die Maria gesäubert und sorgfältig auf dem Bett zusammengelegt hatte. Sie musste sie über einem Feuer erwärmt haben, um sie bei diesem Wetter in so kurzer Zeit zu trocknen.

      Ich legte den Haselnussstecken beiseite, verriegelte die Tür und entkleidete mich. Mit frischem Wasser aus der Schüssel wusch ich mir den Schmutz vom Leib und schlüpfte in die trockene Kleidung. Auf dem Tisch lag die Kugel des Ketzers, die ich vor dem Inferno auf dem Marktplatz eingesteckt hatte. Maria musste sie in der Tasche meines Wams gefunden und vor dem Waschen beiseite gelegt haben.

      Einen Moment lang erwog ich, das Mädchen für das Geschehene zur Rede zu stellen, dann aber legte ich mich einfach aufs Bett, ließ meine Gedanken treiben und muss wohl wiederum eingeschlafen sein, denn ...

      ... ich erwachte von Stimmen vor meiner Zimmertür. Ob Stunden vergangen waren, vermag ich nicht zu sagen. Draußen, im Spalt zwischen den angelehnten Fensterläden, herrschte tiefschwarze Nacht.

      Und wieder vernahm ich leises Flüstern und Murmeln.

      Augenblicklich war ich auf den Beinen, hielt den Dolch in der Hand und lauschte atemlos ins Dunkel.

      Da waren sie wieder. Leise Worte, ganz nah.

      Sollten mich einige der aufgebrachten Tagelöhner bis hierher verfolgt haben? Oder hatten andere Meuchelpläne gegen mich geschmiedet? Man wusste zweifellos, wo ich wohnte, und sicher war es ein leichtes, die gierige Wirtin mit einigen Münzen von der Notwendigkeit meines Ablebens zu überzeugen. Vielleicht hatte ich den Zorn des Volkes unterschätzt. Meist glätteten sich die Wogen, sobald sich die Meute zerstreute, und alle Gedanken ans Aufknüpfen und Töten wurden verworfen. Möglicherweise aber war die Lage hier eine andere. Vielleicht war es tatsächlich Hass, mit dem sie mich verfolgten. Vielleicht wollten sie wirklich meinen Tod.

      Ich trat an die Tür und horchte. Das Flüstern war noch da, wenngleich es nun aus größerer Entfernung erklang. Konnte es Maria sein, die einen neuen Versuch ausheckte, sich mir zu nähern?

      Ich öffnete den Riegel und

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