Jakob der Letzte. Peter Rosegger
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Ausgewählte Werke in Einzelbänden
Mit Materialien, Kommentar und Nachwort,
herausgegeben von Daniela Strigl und Karl Wagner
Band 2
Peter Rosegger
Jakob der Letzte
Eine Waldbauerngeschichte aus unseren Tagen
Herausgegeben und
mit einem Nachwort
von Daniela Strigl
VORWORT
Dieses Werk hat einen tieferen Zweck, als den, bloß zu unterhalten. Es soll eine auffallende und wichtige Erscheinung der Gegenwart schildern, es soll ein Bild geben von dem Untergange des Bauerntums in unseren Alpen.
Ich fühle von dem, was den Bauernstand angeht, mich fast persönlich betroffen, und so zwang mich mein Herz, dieses Buch zu schreiben. Es ist ein Stück tragischer Wirklichkeit; der Dichter hatte das Gemälde nur zu gruppieren, zu runden und im besonderen die wenigen Blumen, die in Wüsten und auf Ruinen sprossen, mit Liebe zu pflegen.
Was heute vorgeht, da draußen in den Bergen, es vollzieht sich nicht so sehr von Natur wegen, es vollzieht sich durch die Schuld der Menschen.
Es ist ein an sich altes, aber in unseren Tagen vertieftes Vorurteil, daß der Bauer keine Bildung habe. Diese Anschauung kann nicht etwa darin ihren Grund haben, daß im allgemeinen der Bauer unvernünftig lebe und vielen Vorurteilen ergeben sei. Denn jene Leute, die sich vorzugsweise die Gebildeten nennen, nämlich die Städter, leben vielfach noch unvernünftiger als der Landmann und sind noch größeren Vorurteilen unterworfen. Man denke nur einmal nach und vergleiche im ganzen die Sitten des Landmannes mit den Zuständen und Angewohnheiten des Städters. Wer sich wie der Bauer an die Natur hält, der kann wohl roh, sinnlich und eigennützig sein, nie aber in solcher Weise abirren von den gesunden Wegen, als es den Leuten im Bereiche der Überkultur möglich ist und geschieht.
Der Landmann gilt vielmehr bei den Städtern für ungebildet, weil ihm das Schulwissen fehlt, weil er nicht höhere Mathematik treibt, die Naturgeschichte nicht aus Büchern gelernt hat, nicht mitsprechen kann über Politik und Theater, keine gelehrten Abhandlungen zu schreiben versteht und sich nicht fein zu gehaben weiß.
Das ist ja eben ein Zeichen von der krankhaften Verbildung vieler Weltleute, daß diese im allgemeinen nicht wissen, was Bildung ist. Wenn jemand die Meinung aufstellte, gebildet solle jeder sein, aber jeder brauche nicht das Gleiche zu wissen; die Bildung müsse erstens dem Charakter eines Menschen, zweitens seiner natürlichen Fähigkeit und seinem Berufe angemessen sein; als gebildet könne jeder gelten, der seine sittlichen Eigenschaften entwickelt habe, seinem Stande gerecht werde, indem er das Seinige leistet, der sich in seine Verhältnisse zu fügen wisse, den näheren Mitmenschen zum Wohlgefallen und sich selbst zur Befriedigung sei: Wenn jemand diese Meinung aufstellte, ich könnte nicht anders, ich müßte ihm recht geben. Jeder Beruf, jeder Stand fordert seine Kenntnisse, seine Fertigkeiten und seine besonderen Tugenden. Wenn der Bauer als Bauer tüchtig ist, nachbarlich und zufrieden in seinen engen Grenzen, dann hat’s keine Not, dann ist er in seiner Art ebenso gebildet als der Philosoph auf dem Lehrstuhl, von dem kein Mensch verlangen wird, daß er den Pflug zu führen und den Dünger zu schätzen verstehe. Das allgemeine gesellschaftliche Wohl verlange, sagt man, Teilung der Arbeit, und die schwerste Arbeit sollte die geachtetste sein.
Da möchte ich mich bedanken, wenn gerade der älteste Beruf des Menschengeschlechts und die wichtigste Arbeit für dasselbe nicht mindestens ebenso hoch bewertet würde, als die weniger wichtigen, etwa jene Beschäftigungen, die erst durch die menschlichen Gebrechen, Leidenschaften und Laster notwendig wurden, als die Arzneikunde, die Rechtskunde, oder als die Leistungen, die nur von der künstlich gezüchteten Genußsucht verlangt werden! Wenn man einwendet, daß etwa zu letzteren eine größere Fähigkeit nötig sei, als zum Bauernstande, so wäre, abgesehen von anderem, darauf zu entgegnen, daß heutzutage der Bauer schon eine sehr tüchtige Kraft sein und einen sehr klugen Kopf haben müsse, wenn er sich in seinem Stande tapfer soll behaupten können.
Denn es ist fast alles gegen ihn. Während man allerorts, vom Reichsrate bis zum letzten Winkelverein herab, die Phrasen von der Wiederaufrichtung des braven Bauernstandes hören kann, spitzen sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse auf das schärfste zum Nachteile unseres Bauernstandes zu. Mancher reiche Herr, der im Parlamente schöne Reden hält für den Bauer, für den Mann der Arbeit, drückt daheim auf seinen Gütern den Arbeiter so arg er kann, bringt die nachbarlichen Bauern um Haus und Hof und zwingt ihnen, wenn sie sich nicht lieber in der weiten Welt zerstreuen und verlieren, wieder die Zustände der alten Hörigkeit auf.
Aber der Bauer ist in dieser Sache auch nicht ohne Schuld, und nun kommt der Grund, aus welchem man dem Landmann von heute die Bildung absprechen muß. Er mag und will sich nicht mehr schicken in seinen Stand, er schämt sich seiner, nicht allein, weil dieser Stand gedrückt und verhöhnt wird, sondern noch vielmehr, weil auch den Bauern der Größenwahn erfaßt hat. Er will etwas „Besseres“ sein, als der Vater gewesen. Er trachtet zu lernen, aber nicht für seinen Stand, oder des Wissens wegen, sondern um möglichst ein „Herr“ zu werden. Das ist nicht ein Zeichen der Bildungsbedürftigkeit, es ist ein Zeichen von Verrohung des Gemütes, vom Schwinden der Treue, und vom Hunger nach „Ehre“ und „vornehmeren“ sinnlichen Genüssen. Es wäre einerseits kein Wunder, daß man von einem Stande abspringen will, der von allen Seiten ausgesogen, mißbraucht und übervorteilt wird. Indes, so war es mehr oder minder ja zu allen Zeiten, und dem Bauer wohnt naturgemäß eine Kraft inne, solchen Widerwärtigkeiten zu trotzen. Die Gegenwart hätte ihm vielleicht Mittel geboten, sich wahrhaft frei und geachtet zu machen. Aber er verlor seinen festen Bauerncharakter und damit seine Beharrungskraft. Die Krankheiten der Zeit haben ihn erfaßt, die Fahrigkeit, der Größenwahn. Er ist nicht mehr für seinen Stand gebildet und gestählt, und so vollzieht sich gegenwärtig eine merkwürdige Flucht. Es vollzieht sich eine Flucht vom Pfluge zum Hammer, vom Hammer etwa zum Zirkel, von diesem zur Feder, zum Doktorhut und so weiter. Nichts will im Staate mehr Grundstein bilden, alles will Dachgiebel sein – wäre es ein Wunder, wenn eines Tages der Bau das Übergewicht bekäme? Der Bauer, weil er nicht in die Höhe kann, so strebt er in das Weite aus; nach allen Richtungen der Windrose hin eilt der schollenflüchtige Landmann; von zehn Flüchtlingen versinken auf fremdem Boden neun …
Unsere hohen Herren – die lüstern nach der Scholle greifen, aber nicht um sie zu bebauen, sondern um sie verwildern zu lassen und darauf ihres Lebens höchstem Berufe, der Weidmannslust zu frönen – haben bereits die Stirn, zu behaupten, daß in den Alpen der Bauernstand nicht mehr zu halten und auch überflüssig sei. „Mit der Einfuhr von Feldfrüchten keine Konkurrenz mehr möglich.“ Das ist der Standpunkt des Händlers und nicht der des Bauers. Der Alpenbauer ist überhaupt nicht da, um zu „konkurrieren“, sondern um auf seinem Boden für sich zu arbeiten und zu leben. Zwar einfach zu leben, aber naturgemäß und als freier Mann. Es wird sich zeigen, ob bei dem steten Wachstum der Bevölkerung unsere wenn auch oft kümmerliche Erdscholle verachtet werden darf, ob der Mensch des Jagdwildes willen heimatlos sein soll, und ob das Reh und der Hirsch seine Herrschaft in unseren Bergen behaupten kann. Schon heute vollzieht sich alljährlich eine Völkerwanderung von den Städten aufs Land, ins Gebirge. Noch kehren sie, wenn die Blätter gilben, wieder in ihre Mauern zurück, aber es wird eine Zeit sein, da werden die wohlhabenden Stadtleute sich Bauerngründe kaufen und bäuerlich bewirtschaften, Arbeiter sich solche aus der Wildnis roden und reuten. Sie werden auf Vielwisserei verzichten, an körperlicher Arbeit Gefallen und Kräftigung finden, sie werden Gesetze schaffen,