Jakob der Letzte. Peter Rosegger
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EIN SELTSAMES PFINGSTFEST
Das war am heiligen Pfingstsonntag nach der Mahlzeit.
Jakob, der Hausvater, saß in der wohldurchwärmten Stube und las in einem alten Buche. In weißen Hemdärmeln, wie er war – der durchnäßte Lodenrock trocknete am großen Kachelofen – stützte er seine Arme breit auf den Eschentisch, und die Finger über dem Buche ineinandergeschlungen, las er das „Besetzel“ vom heiligen Geist. Er las vielleicht nicht mit voller Andacht, wie sie sich für einen so hohen Festtag wohl geziemte, denn bisweilen hob er sein Haupt und blickte hinaus in das Schneegestöber. Die Flocken wirbelten so dicht, daß die Linde, die dort an der Wegtorschranke stand, nur als dunkle verschwommene Masse durch das trübe Grau schattete. Die hohen Fichtenbäume vor dem Hause, welche kaum über die Hälfte hinauf sichtbar waren, beugten ihre verknorrten Äste unter den Schneelasten, die jungen Lärchen auf dem Anger standen wie Zuckerhüte, und dort, wo gestern die maienhaft blühenden, duftenden Holundersträucher gestanden, waren eitel Schneeberge. Die Säulen der Torschranke hatten hohe Hauben auf, wie der Bischof, wenn er draußen zu Sandeben die Firmung hält. Die Zaunstecken hatten spitze und stumpfe Hütlein, Helme, Schnäbel, Kissen und Bänder von Schnee.
Wenn das Pfingststaat sein soll!
Jetzt kam der Wind und fegte den Schneestaub von den Bäumen, Sträuchern und Dächern des Hofes und ließ ihn tanzen und wehte ihn an die Fenster, wo er sich in die Ecken, Ritzen und an die Rahmen schmiegte.
„Gott sei Dank, daß der Wind kommt!“ sagte der Jakob, „sonst wollt’s bald Fetzen geben in den Kirschbäumen und Linden. Die Elessen-(Traubenkirschen-)Stauden hat’s schon zerrissen. Ist ein schlimmer Kamerad, der Schnee, wenn er zu solcher Jahreszeit kommt.“
Auf den Dachgiebeln und unter den Vorsprüngen der Dächer hüpften und schwirrten Vögel umher; die Finken und Drosseln waren vom Walde, die Zeischen und Lerchen von dem Felde hergekommen und mußten sich bei den Schwalben zu Gaste laden, Schutz und Unterstand suchen im Reuthofe. Aus dem Hause war ein wilder Knabe gestürmt, um mit Schneeballen nach ihnen zu werfen.
Der Jakob beobachtete den Knaben, der mit heißen Wangen und Augen im Schneegestöber umlief, von jungen Bäumen den Flaum auf sich niederschüttelte und mit Geschrei und Geschleuder das ratlose Geflügel verfolgte. Schier mit Wohlgefallen schaute der Jakob darauf hin, als dächte er: das wird auch einmal ein rechter Altenmooser Jodel! Dann öffnete er das Fenster und rief scharf hinaus: „Jackerl! Laß mir die Vögel in Ruh’ und geh’ herein, es ist zum Beten!“
Jetzt stand der Hausvater aufrecht. Was er in seiner Gebirgstracht für ein strammer stattlicher Mann war! Das frische jugendliche Gesicht glatt rasiert bis auf den Schnurrbart; die Nase scharf und kühn gebogen, die Augen unter dunkeln Brauen etwas tief liegend und freundlich blau von Farbe. Bart und Haar waren lichtblond und schimmerten schier ein wenig golden; das Haar war rückwärts kurz geschnitten und vorne quer und locker über die Stirne gelegt. An der Stirne waren, wer genau sehen wollte, einige Blatternarben. So aufrecht der Mann dastand, der Kopf war leicht vorgeneigt, das ist kein Wunder bei einem hochgewachsenen Haus- und Familienvater, der auf die Seinen immer herabschauen muß, der auch das kleinste zu seinen Füßen kniende oder an seinen Knien krabbelnde Wesen nicht übersehen darf, der seine Kraft und seine Sorge und seine Liebe aus dem Boden zieht, auf dem er steht, und von seinem Haupte wieder niederspendet auf diesen Boden und auf alles, was darauf wächst und ihn umgibt. Er ist immer der Säemann und der Erntende zugleich. Der Aufrechte, aber der Kopfgeneigte.
Nun spitzte der Jakob die Lippen und tat einen hellen Pfiff. Alsbald kamen die Hausleute aus den Kammern, aus der Küche, aus den Stallungen herbei und versammelten sich in der großen Stube zur Pfingstandacht am Nachmittage, die heute nicht wie sonst draußen in der Kapelle abgehalten werden konnte.
Es waren derbe, eckige Knechte und schäkernde Mägde; es war ein buckeliges Männlein dabei und es waren halberwachsene Jungen, gleichsam eine niedergehende und eine aufgehende Zeit. Alles harmlos munter. Es kam auch die Hausmutter herein, ein etwas schmächtiges blasses Weib, welches – so jung an Jahren es noch sein mochte – allen Übermut und alle Bausbäckigkeit den Kindern abgetreten zu haben schien. Ein Knäblein hing an des Weibes Kittelfalte, das noch blässer als die Mutter war und kreisrunde, ganz vergißmeinnichtblaue Augen hatte. Auch der Knabe Jackerl war zur Tür hereingetollt, über und über voller Schnee, wurde aber in solcher Gestalt vom Vater zurück in die Küche gewiesen, wo er – den Hut ausschlenkernd – der alten am Herde kauernden Einlegerin Schnee und Wasser ans Gewand warf. Weil die Alte sich dagegen auflehnte, so sprang er an die Hühnersteige, die unterhalb des Herdes war, sprengte Schnee hinein und trällerte:
Hendl bi bi,
Hendl bo bo,
Wannst ma koan Orl (Eierchen) gibst,
Stich ih dih oh!
In der Stube gingen die Leute zu den Sitzbänken, die ringsum an den Wänden waren, und knieten davor auf dem Fußboden nieder, so daß sie bei gefalteten Händen ihre Ellbogen auf die Bänke stützen konnten. Der Jakob nahm vom Hausaltare, der hoch in der Wandecke angebracht war, das kleine hölzerne Kruzifix herab, stellte es mitten auf den Tisch und zündete davor eine aus dem Wachsstock abgewickelte Kerze an. Dann langte er vom Wandnagel die große Rosenkranzschnur, kniete damit auf einen Schemel an den Tisch, machte unter lautem Ausruf der Worte mit dem Daumen über Stirn, Mund und Brust die Kreuzzeichen und begann zu beten.
„Jetzt wollen wir“, hub er an, „zum Heiligen Geist rufen, daß er uns erleuchte in Glück und Unglück zum rechten Tun und Lassen. Und wollen Gott bitten um ein gesegnetes Jahr in Feld und Stall für uns, unsere Nachbarn und alle Freund’ und Feind’. Wollen auch beten für alle, die aus diesem Haus hinausgestorben sind – christlich zu gedenken.“ Dann beteten sie den „glorreichen Rosenkranz“ zum Gedächtnisse an die Auferstehung, Himmelfahrt des Herrn und an die Sendung des Heiligen Geistes. Der Hausvater sprach stets den ersten Teil des Gebetes, das Gesinde sprach im Chor den zweiten Teil desselben, und es erscholl schier harmonisch wie gedämpfter Orgelklang.
Während des Gebetes wollte zwar ein vorwitziger Knecht seiner schalkhaften Nachbarin mit dem Zeigefinger ein „Bröserl“ den entblößten Arm kitzeln; der Hausvater hörte das mühsam und vergebens verhaltene Kichern der Angegriffenen, setzte einen Augenblick im Gebete aus und warf einen ernsthaften Blick auf das schäkernde Pärchen, sofort war dieses ruhig und die Andacht nahm ihren würdigen Fortgang.
Noch bevor sie zu Ende war, polterte zur Türe ein Mann herein, strampfte an der Schwelle den Schnee von den Füßen, schüttelte den Schnee von Hut und Rock, kniete dann neben einen Knecht an die Bank hin und betete mit. Er wurde weiter nicht beachtet. Als das Gebet unter nochmaliger Anrufung des göttlichen Geistes „um Weisheit und Beständigkeit“ zu Ende war und der Hausvater das Kreuz gemacht hatte, sagte dieser, sich von seinem Schemel erhebend: „Schau, der Knatschel! Wir haben dich ein wenig zum Beten gebraucht.“
„Schadet mir eh nit“, antwortete der früher Eingetretene, während auch er steif und unbehilflich aus der knienden Stellung aufstand. Der Nachbar Knatschel war’s, der auf dem Heimweg aus Sandeben im Reuthofe zusprach, um sich ein wenig von der Unbill des Wetters zu erholen.
Er war ein untersetzter Mann mit kurzem Halse und breitem, stets gutmütig