Jakob der Letzte. Peter Rosegger
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An diesem Tage sollte der Heilige, gleichsam zur Urständfeier, besonders geschmückt werden. Die kleine Angerl mit den langen schwarzen Haarsträhnen, die eben aus der Schule heimgekehrt war, kam und brachte ein mit Wasser gefülltes Glas, in dem zwei Pfingstrosen staken. Und es kam der kleine Friedel mit den kugelrunden Vergißmeinnichtaugen, der brachte das andere mit Wasser gefüllte Glas, in welchem zwei weitere Pfingstrosen staken.
„Brav seid ihr!“ sagte der Jakob zu seinen Kindern. Dann nahm er ihnen die Gläser aus den kleinen Händen und stellte sie zu beiden Seiten der Statue auf. Er mochte dabei vielleicht weniger an den heiligen Apostel, den das geschnitzte Bild vorstellen sollte, denken, als vielmehr an seine Voreltern, die das Bild gestiftet und bewahrt hatten und die er in ihm verehrte.
Vom Schachen herüber, barfuß, in zerfasertem Höslein, mit struppigem Haar und glühenden Wangen, kam der Jackerl, er zerrte zwei gefällte Lärchenbäumchen herbei und schrie lustig vor sich das Sprüchel hin:
Droben auf dem Kögerle
Sitzen drei Vögerle,
Oans g’hört mein, oans g’hört dein,
Oans g’hört dem Regerle.
Als er mit seinen Bäumchen an Ort und Stelle war, erfaßte er schnell das Beil, hieb es in die Holzwand der Kapelle, daß es darin stecken blieb. Der Vater verwies ihm dies, und alsogleich riß der Knabe das Beil wieder an sich, schleuderte es über den Angerzaun, daß es Funken gab in den Steinen, und lief mit dem Geschrei: „Droben auf dem Kögerle sitzen drei Vögerle!“ davon.
Als endlich an und in der Kapelle alles in Ordnung war, nahm der Jakob den kleinen sanften Friedel an der Hand und sagte. „Wenn du Jakob hießest und der andere Friedel – wär’ mir lieber. Der andere Friedel? es ist zum Lachen. Unfriedel, wenn er geheißen wär’. – Komm, Bübel.“
Er ging mit dem Knaben den ebenen Fahrweg hin gegen das Nachbarhaus des Knatschel, das dort drüben am Rande des Waldes stand. Dasselbige Haus war in Aufregung. Der Knatschel tat seit acht Tagen nichts mehr, als übersiedeln. Sein Weib, sein Gesinde, seine Ochsen halfen ihm dabei, teils mit Freuden, teils mit Schmerzen, teils mit Stumpfheit; den Ochsen freilich ist es gleichgültig, woher und wohin sie müssen, überall an den Pflug und an die Fleischbank, sie sind überall Ochsen. Das ganze Haus räumte der Knatschel aus, die rußigsten Kästen und Kübel und Pfannen und Bettstätten schleppte er auf großen Karren davon.
Der kleine Friedel blickte jetzt nicht hin, sondern auf die gegenüberstehende Berglehne, an welcher Bauernhäuser in einiger Entfernung voneinander standen.
„Vater“, fragte der wißbegierige Knabe, „wie heißt es dort?“
„Dort heißt es bei den Grubbauern“, antwortete der Vater.
„Und auf der anderen Seite, ganz oben auf dem Berg, ganz oben, wo das Weiße ist, wie heißt es dort?“
„Dort heißt es beim Guldeisner“, sagte der Vater und sagte es in einem schier feierlich getragenen Tone. Der Guldeisner war der größte Bauer zu Altenmoos, sein Grund war so weit, daß man – wie der Luschelpeter sich ausdrückte – mit einem guten Schustermesser daraus fünf Bauerngüter schneiden könnte. Der Guldeisnerhof mit seinen vielen Wirtschaftsgebäuden lag oben auf der Hochfläche da wie ein kleines Dorf. Das Wohnhaus war zur Hälfte gemauert und schaute mit der weißgetünchten Wand schier hochmütig herab auf die in der Gegend weitum zerstreuten Nachbarn.
„Vater“, fragte der Friedel, „wie viele Häuser sind auf der Welt?“
„O Kind!“ antwortete der Vater, „die Welt ist weit, nur Gott kann sie durchwandern und die Häuser und die Menschen zählen. Ich weiß nur von Altenmoos.“
„Und wie viele Häuser sind in Altenmoos?“
„In Altenmoos sind – wenn du der Lunselstina ihre Höhle und andere Hütten nicht dazuzählst – genau einundzwanzig Häuser.“
„Wieviel ist das?“ wollte der Kleine wissen.
„Wenn du“, belehrte der Vater, „deine Finger zusammenzählst an beiden Händen und deine Zehen an beiden Füßen und dazu die Nase im Gesicht, so hast du einundzwanzig.“
„So viele Häuser?!“ rief der Knabe verwundert. „Und welches ist die Nase?“
„Pst!“ machte der Vater plötzlich, blieb stehen, legte die Hand dem Söhnlein auf die Achsel, beugte sich vor und flüsterte: „Siehst du? Guck’ einmal dort zwischen die Eschen durch an den Waldrand hin – siehst du?“
„Eine rote Geiß!“
„Das ist ein Reh!“ sagte der Vater.
Das Tier hatte ein wenig grasen wollen auf der Wiese, aber es witterte Menschen. Hoch hob es das Haupt, lauerte ein Weilchen und sprang dann mit großen Sätzen in den Wald zurück. Der kleine Friedel hatte sich schier seine großen Augen herausgeschaut; es war das erste Reh, das er gesehen. Selbst für Jakobs Augen waren solche Tiere eine Seltenheit. Der Guldeisner, dem die Jagd gehörte, war ein grimmiger Schütze und ließ nicht viele laufen. Drüben in den Herrschaftswaldungen soll es schon mehr Wild geben, auch schöne Hirschen darunter. Der Jakob hat sein Lebtag erst einmal einen Hirschen gesehen, und der lag draußen in Sandeben auf einem Leiterkarren, reckte noch im Tode die Herrlichkeit seiner Geweihe empor und hatte den aufgeschlitzten Bauch voll grünen Reisigs.
Den Hohlweg heraus kam etwas Holperndes, die Siedelfuhr des Knatschel. Es war die letzte. Er saß selber drauf und leitete das Ochsenpaar; hinter ihm auf einem Kornsack saßen sein Weib und seine taubstumme Schwester. Die taubstumme Schwester schaute mit Befremdung um sich, sie wußte nicht, was das bedeuten soll; jetzt wegfahren, vom Hause weg, da es doch schon bald Nacht wird! – Und die Schwägerin neben ihr, die hat das Vortuch im Gesicht und weint, und der Bruder voran, der hat eine lange Wurzen im Mund und schmunzelt. Was das bedeuten mag!
Als der Wagen herankam, redete der Jakob den Knatschel zum Gruße an: „Du hast es eilig, Nachbar. Ich denke, du kommst für heute schon zu spät und für sonst immer noch früh genug nach Sandeben.“
„Heut’ lieber wie morgen“, antwortete der Knatschel. „Bedien’ dich, Steinreuter!“
Er hielt dem Jakob vom Karren herab eine neue, fein juchtene Zigarrentasche hin. Und den Spruch dazu: „Bedien’ dich!“
Wie vornehm er sich gehaben kann! Und auch beim Schreibnamen ansprechen, wie der Amtmann! – Der Jakob ging mit seinem Knaben neben der knarrenden Fuhr des Auswanderers einher.
„Gelt, mir merkst den Altenmooser nimmer an!“ sagte der Knatschel. „Na, nimm eine. Sind amerikanische.“
„Vergelt’s Gott!“ lehnte der Jakob ab. „Mir tät’ übel werden davon. Aber schau, Nachbar, ich kann allerweil noch nicht glauben, daß es Ernst ist bei dir!“
„Reuthofer!“ rief der Knatschel, „du kommst mir bald