Rundgang nur mit Korb. Peter Schmidt

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Rundgang nur mit Korb - Peter Schmidt страница 2

Rundgang nur mit Korb - Peter Schmidt

Скачать книгу

Seine Heimat. Die Heimat seiner Frau Gerda. Die Kinderstube von Heiko und Jana.

      Zuerst war er ein normaler Mitarbeiter gewesen, unauffällig in einem Korridor zwischen Lob und Tadel. Dann kamen sie zu ihm. »Genosse Weber, wir schlagen dich vor zum Mitarbeiter des Monats«. Er fühlte sich geehrt. Endlich hatten sie seinen wahren Wert erkannt. Den Wert des kleinen Montagearbeiters Axel Weber. Er wurde zum Mitarbeiter des Monats Januar. Er wurde zum Mitarbeiter des Monats Februar. Er hatte sein Arbeitsverhalten nicht verändert, aber auf einmal war er jemand. Er wurde gegrüßt und bekam zu spüren, dass er für den Betrieb wichtig war. Als er zum Mitarbeiter des Monats März gekürt wurde, kippte die Stimmung in der Jugendbrigade. »Was kann denn der Besonderes« fragten sich die Kollegen hinter vorgehaltener Hand. Er wurde ausgeschlossen von Pausenrunden, in denen die Arbeitskameraden mitgebrachte Bouletten und Brötchen verteilten und sie genüsslich und mit viel Senf zu sich nahmen. Auf Fragen wurden die Kameraden zunehmend einsilbig und zeigten ihm, was man von einem Mitarbeiter des Monats zu halten hatte. ›Undank ist der Welten Lohn‹ dachte er. Dann rief ihn die Kombinatsleitung zu sich. »Genosse Weber, du wirst gebraucht. Ein Mann mit deiner Qualifikation.

      Ein Mann mit deinem Können. Brigadeleiter. VEB1 Werkzeugmaschinenkombinat. Die benötigen dort einen ausgebildeten Montageschlosser mit besonderen Fähigkeiten. Ein sensibles Schlüsselstück unserer sozialistischen Produktion. Eine Chance für deine Karriere. Ein Schleudersitz nach oben. Da gibt es eigentlich gar nicht viel zu überlegen.« Er überlegte nicht lange. Er handelte. Sachsen. Das neue Familienheim. Weg von den Freunden. Aber eben ein Schleudersitz ganz nach oben.

      Auf dem Betriebsparkplatz war bereits gähnende Leere. Am Freitag war die sozialistische Produktion eher erledigt als in der Woche. Und er, das Schlüsselstück? Wurde er hier wirklich gebraucht wie die Milch im Kaffee? Scheinbar konnte man hier auch ohne ihn und seine sensible Schlüsselstelle Feierabend machen.

      Der Fahrtwind tat gut und wehte ihm die Sorgen der lauten und staubigen Produktionshalle aus seinen Gedanken. ›Man muss sich erst einmal dran gewöhnen‹.

      Er musste ein paar Schlaglöchern ausweichen, als er in die Gustav-Adolf-Straße bog. Zu Beginn der Woche hatte er sich hier einmal verfahren. ›Umwege erhöhen die Ortskenntnis‹ hatte er zu sich gesagt. Jetzt fuhr er noch schnell an der Kaufhalle vorbei. Keine Schlange vor dem Eingang. Dann gab es auch nichts Besonderes. Darauf konnte er sich verlassen. Keine Menschenansammlung, keine Sonderangebote. Wenigstens das war so wie in Neubrandenburg. Wenn man höflich fragte, wann es Kasslerbraten oder frischen Hering gab, bekam er zur Antwort: »Das wüssten wir selber gern.« In Neubrandenburg kannten sie diesen und jenen und so purzelten wertvolle Informationen über den Ladentisch, die hin und wieder die Anstehzeit verkürzten. Hier kannten sie noch niemanden und auf freundliches Grüßen reagierten die Verkäuferinnen anders, als man in den Wald hineinrief. Man muss sich erst einmal dran gewöhnen.

      Sein Blick fiel auf das Fahrradschloss unterhalb des Lenkers. Dort hatte sich Heiko festgehalten, als er ihn in Neubrandenburg in den Kindergarten gebracht hatte. Ein Sicherheitsgriff. Seine Erfindung. Er setzte den Blinker und fuhr in die Schmiedeberger Straße ein. Gleichmäßig leuchtete am Ende des Lenkers ein orangefarbenes Licht auf und ging wieder aus.

      Auf dem Fußweg spazierte eine Familie. In weiße Wochenendklamotten geschlüpft lief der Kombinatsleiter Liedke mit seiner Frau und seinen Kinder über die staubigen Gehwegplatten. Genosse Liedke hatte am Freitag für gewöhnlich Außentermine. Das war im Kombinat bekannt. Ein Treffen mit dem Bürgermeister. Empfänge in den anderen sozialistischen Kombinatsleitern in der näheren und ferneren Umgebung. Auftritte zum Tag der NVA. Konferenzen. Parteitage. Immer freitags. Freitag haben wir sturmfrei. So wurde er von den neuen Kollegen begrüßt. ›Und der Kombinatsleiter hat sturmfrei von seiner Belegschaft‹ dachte er.

      Auf Höhe des Kombinatsleiters drückte er auf die Hupe. Ein klägliches, gedrücktes und unnatürliches Geräusch löste sich irgendwo im Innern der Simson, schwappte aus und ergriff die Ohren des Kombinatsleiters Liedke. Der blickte sich um, hob zuerst mechanisch seine Hand zum Gruß. Er wurde wahrscheinlich viel gegrüßt, denn der Genosse Liedke war ja ein Jemand. Dann erkannte er den neuen Brigadeleiter Weber und sein unverbindlicher Gruß wurde durch ein erfreutes Lächeln persönlich.

      Es tat gut zu zeigen, dass man bis Feierabend gearbeitet hat. Er hatte das Gefühl, einen guten Eindruck gemacht zu haben. Und der Kombinatsleiter? Hatte er nicht das Ziel vorgegeben, die Arbeitszeit voll auszunutzen? Zur Verteidigung des Sozialismus gegen die westlichen Imperialisten? ›Der schnellste Mann der Welt‹ dachte Axel. ›Um 16 Uhr Feierabend und um 15 Uhr schon zu Hause‹. Irgendwie läuft hier so einiges ganz anders. War seine Beförderung tatsächlich ein Aufstieg oder nur eine Umbuchung? Oder muss man sich vielleicht erst einmal dran gewöhnen?

      *

      Er fuhr in die Wohnsiedlung ein. Drei Blöcke. Baujahr 1975. Jeweils fünf Eingänge. Pro Aufgang zehn Familien. Zwischen den Wohnblöcken ein Kinderspielplatz mit Klettergerüst, Sandkasten, Schaukel und ein Platz zum Wäschetrocknen.

      Er dachte an die Begrüßung des Kombinatsleiters. »Herzlich Willkommen Genosse Weber. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Gute Leute sind bei uns immer willkommen«. Waren die guten Leute deswegen willkommen, weil er sich dann von der Sonne des Erfolges bescheinen lassen konnte? Er, der Neue, lebte nach den Regeln, die der Leiter ausgab, aber selber nicht einhielt? Wie ein Bienenschwarm summten die Gedanken um seinen Kopf. ›Wasser predigen und Wein trinken‹. ›Wenn zwei Leute das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.‹ Er verschluckte seine Gedanken, denn es war Wochenende. Er steuerte in eine Mopedparklücke vor dem Haus und drehte den Zündschlüssel zurück. Die Simson beruhigte sich, die gebogene Plastikfrontscheibe hörte auf zu vibrieren und der Motorenlärm verschwand in der azurblauen Atmosphäre des Nachmittags.

      Sein Blick wanderte den Wohnblock hinauf. Fünfter Stock rechts. Ein kleines Vogelnest. Nicht gerade gemütlich, aber mit Fernheizung, Küche, eigenem Bad und Aussicht auf ein Telefon. »Wichtig ist, was man draus macht.« Hatte seine Frau Gerda gesagt, als sie sich die Wohnung gemeinsam anschauten.

      An der überdachten Eingangstür hing eine Lampe: 13 c. Das war die Hausnummer. Immer wenn jemand nachts nach der Nummer 13 c suchte, brauchte er dazu keine Taschenlampe. Die Haustür stand weit offen. Er putzte sich die Schuhe am Stahlrost ab, das in den Türsockel eingelassen war. Er wollte keinen unnötigen Straßendreck in das Treppenhaus schleppen. Ordnung muss sein. Und wenn alle mitmachen, geht es allen besser. Eine Errungenschaft des Sozialismus. Alle ziehen am gleichen Strang. Er schloss die Tür hinter sich, denn auch das bedeutete Ordnung. Flüchtig überlas er das Schild am Informationsbrett. »Tür bitte nicht offen stehen lassen. Ab 20 Uhr bitte abschließen!« Er nickte zu sich selbst. Richtig gemacht. Ordnung muss nun mal sein. Das gefiel ihm.

      Der Hausflur war von der Decke bis zur Höhe des Treppengeländers weiß gestrichen. Darunter hellblau mit weißer Wickeltechnik. In Neubrandenburg hatte er gesehen, wie die Wickeltechnik angewandt wurde. Man taucht einen Waschlappen in weiße Farbe wickelt ihn zusammen und rollt ihn von unten nach oben aus. So entstanden die Schönwetterwolken auf einem stahlblauen Frühlingshimmel. Im ersten Stock las er die Namensschilder. »Lange«; »Heinrich«. Nüchtern und anonym verrieten sie nicht, was sich dahinter verbarg. Aber man wird sich kennenlernen. Der Hausvertrauensmann stellt sie in der nächsten Woche allen Bewohnern vor.

      Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie sie zu der Wohnung gekommen waren. Umständlich aber erfolgreich. Die Anfrage beim städtischen Wohnungsamt lief ins Leere. »Wir haben keine freien Wohnungen. Sie können aber gern jederzeit wieder nachfragen«. Die Telefonstimme der Dame war ihm damals abwesend und scheinfreundlich vorgekommen. Das Werkzeugmaschinenkombinat hatte keine Beziehungen und niemand kannte jemanden, der von einer freien Wohnung wusste. ›Scheinbar traf sich der Kombinatsleiter Liedke freitags eher selten mit den Vorsitzenden des Wohnungsamtes‹, dachte er öfter.

      Er

Скачать книгу