Rundgang nur mit Korb. Peter Schmidt

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Rundgang nur mit Korb - Peter Schmidt

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Küche, kleines Bad.« Über zwei Monate gab es keine Resonanz. Dann kam der Brief. Frau Heller, eine ältere Dame mit einer vornehmen Handschrift, wollte zu ihren Kindern ziehen. Sie las die Anzeige in der Leipziger Zeitung im Zugabteil auf dem Weg nach Neubrandenburg. Auf dem Hauptbahnhof in Berlin hatte sie 35 Minuten Aufenthalt, bis der Zug nach Stralsund einfuhr und in der Vier-Tore-Stadt haltmachte. Sie wickelte ihre Brote aus, die sie in Zeitungspapier gepackt hatte. Dann kam der Zug und sie aß während der Fahrt weiter. Halb interessiert überflog sie die Gesuche. »Wir suchen eine Neubauwohnung. Mindestens zwei Zimmer, Küche, Bad. Wir bieten eine Einraumwohnung in Neubrandenburg. Küche, kleines Bad«, stach es ihr in die Augen.

      Alles das schrieb sie in einem Brief und verschickte ihn an die Familie Axel Weber. »Ich habe eine Zweizimmerwohnung nach ihren Wünschen zum Tausch gegen eine Einzimmerwohnung in der Oststadt. Familie Weber wohnte aber nicht in der Oststadt, sondern auf dem Datzeberg. Dies war der erste Kontakt zu Frau Heller. Ein Teilerfolg. Daran musste festgehalten werden.

      In der zweiten Etage las er interessiert »Pietsch«; »Müller«. Müller ist der Hausvertrauensmann. So viel wusste er schon.

      Sie schrieben Frau Heller zurück an ihre jetzige Adresse. Sie würden sich um eine Wohnung in der Oststadt bemühen und einen Tauschpartner für eine Wohnung auf dem Datzeberg finden. Sie gaben eine Anzeige in der Neubrandenburger Zeitung auf. »Suchen Einzimmerwohnung mit Bad und Küche in der Oststadt und bieten Wohnung mit gleicher Ausstattung auf dem Datzeberg«. Dabei suchten sie nicht wirklich eine Wohnung in der Oststadt. Das kam den Interessenten merkwürdig, aber nicht außergewöhnlich vor.

      Dritte Etage: »Hofmayer«; »Ullrich«.

      Es gab Komplikationen wie bei einer schwierigen Geburt. Die Terminvorstellungen passten nicht zusammen. Sie räumten die Wohnung. Frau Heller räumte ihre Wohnung erst, als die Wohnung in der Oststadt frei wurde. Das war 14 Tage später. ›Wohin mit den Möbeln und mit der Familie?‹ Er wollte seine neue Arbeitsstelle pünktlich beginnen. Dann gab es eine Lösung: Im Aufgang 9 b gab es eine Gastwohnung. Probleme dieser Art waren bekannt und das Wohnungsamt konnte zumindest hier flexibel unterstützen. Die Möbel konnten in der Schule abgestellt werden. Es waren Ferien. Gerda ging jeden zweiten Tag in den Klassenraum 306 und goss die Blumen.

      Vierte Etage: »Seifert«; »Knorrich«. Bei Knorrich sprang die Tür auf. Eine Frau mit roten Haaren und Kittelschürze tat so als putze sie den Türrahmen und grüßte freundlich: »Sie sind wohl da oben eingezogen?«

      »Ja.«

      »Das ist aber schön. Wenn Sie was brauchen, einfach klingeln.«

      »Danke.« Er nahm gleich drei Treppenstufen auf einmal ›Neugier oder Hilfsbereitschaft? Vielleicht ein bisschen von beidem. Durch Hilfsbereitschaft getarnte Neugier‹, dachte er.

      Die Möbelträger meckerten über unmögliche Arbeitsbedingungen. »Die einen Möbel rauf und die anderen Möbel runter. Und dann noch bis ganz nach oben.« Das war die Idee von Frau Heller gewesen. »Wir können uns doch die Kosten für die Umzugshelfer teilen.« Das gefiel allen außer den Möbelträgern. Aber die hatten noch genug Puste um etwas wie ›Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sei ein für allemal abgeschafft‹ zu schimpfen. »Wir haben es uns fast gedacht, dass diese beiden Fuhren für euch zu viel sind. Das nächste Mal engagieren wir richtige Profis.« setzte Axel entgegen und schon liefen sie so gleichmäßig wie die Zahnrädchen in einem Uhrengehäuse aus Ruhla. Treppauf. Treppab. Wenn man den Handwerker an seiner Ehre packt, dann läuft er zu Fuß bis zum Nordpol, um seinen angezweifelten Ruf zu retten.

      Fünfte Etage: »Schäfer«; »Weber«. Ihr neues Familienwappen bestand aus einem altgelben Klebestreifen, der mit einem roten Filzstift beschrieben war. Gerda muss es im Laufe des Tages zusammen mit den Kindern angebracht haben. Nur ein Provisorium. Das richtige Namensschild war noch in irgendwelchen Kisten verschollen.

      Er klingelte und Jana machte die Tür auf. »Papa.« Sie klammerte sich um sein rechtes Bein. Er konnte sich nur noch schwer vorwärts bewegen. »Lass mich doch erst mal reinkommen.« Er zog sich seine Schuhe aus, stellte sie auf den zweiten Fußabtreter, machte einen großen Schritt in die Wohnung und zog die Tür hinter sich ran.

      Gerda saß vor ein paar Umzugskartons und räumte zusammen mit Heiko die Sachen für das Kinderzimmer in die Schränke. »Heute Abend gibt es Erbsensuppe mit Brot.«

      »Mit frischem Brot?«

      »Nein, das Brot ist von gestern. Frisches Brot gibt es in der Kaufhalle nur um 13 Uhr. Sonst ist nur noch Brot vom Vortag übrig.« hatte Gerda herausgefunden. Warum ist das frische von gestern übrig? Wo konnte denn das frische Brot über Nacht ungestört alt werden? Warum legte man nicht alles Brot raus? Wenn du Brot von heute haben willst, musst du morgen wiederkommen. Auch wenn es sich ihnen jetzt noch nicht richtig erschloss: Es gab sicherlich wie für alles einen einfachen und nachvollziehbaren Grund. Und auch daran musste man sich erst einmal gewöhnen.

      *

      Das Radio knirschte, als wenn beim Umzug Sand in die Boxen geraten wäre. Schlechter Empfang. Es wurde eine Musiksendung aus dem Leipziger Funkhaus abgespielt. »Wie geht es Dir?« fragte er seine Frau Gerda, die gerade einen leeren Pappkarton zusammenfaltete und die geringelte Kugelschreiberhandschrift ihrer Mutter ›Heiko – Kinderzimmer‹ auf dem Deckel las. Diese Frage war fast überflüssig und er erwartete auch keine ehrliche Antwort, denn er konnte in ihren Augen lesen, dass sie vor Heimweh fast verbrannte. Sie hatte sich dem Wohl der Familie untergeordnet und ihr fiel es sichtlich schwer, die Chancen zu erkennen und mit gleichem Gewicht auf die Waage des Für und Wider zu legen. »Ich komme mir vor, als ob ich eine fremde Wohnung mit unseren Sachen einrichte.« quälte sie sich heraus und versuchte dabei die fließbereiten Tränen hinter ihren Staumauern zurückzuhalten. Nicht vor den Kindern. Er hatte sie aus einer Landwirtschaftsfamilie herausgeheiratet. Eine Familie, die mit ihren Äckern seit Urzeiten Stalldung gegen Kartoffeln, Rüben und Getreide tauschte. Nach dem Eintritt in die LPG2 war seinen Schwiegereltern ein Stückchen eigenes Land geblieben. Seit er Gerda kannte, hatte auch sie auf diesem Fleckchen Erdekruste gehackt, gesät, gegossen und geerntet. Es steckte in ihr drin, war ihr angeboren. Nun hoffte er darauf, dass sie in der Umgebung aus Betonplatten – einer Industriestadt mittleren Ranges - neue Wurzeln schlagen würde. Er hatte aus einem Nesthocker einen Zugvogel gemacht. Und bisher glich ihr Flug in die neue Heimat eher einer Bruchlandung. Die gemeinsame Wohnung in Neubrandenburg war wenigstens umzingelt von Grün. Unverbrauchte Natur, Wiesen, Bäume, ein See. Diese ausschweifende Landschaft war nun zu einer Aussicht auf eines der modernsten Hauskomplexe der Neubaugeneration und 45 Quadratmeter senkrechte Wände mit braunem Streublumenmuster zusammengeschrumpft. Der Umzug in die Schmiedeberger Straße 13 c stellte in viele Richtungen einen Bruch dar.

      »Habt ihr schon neue Freunde auf dem Spielplatz gefunden?« Er wandte sich seinen Kindern zu. »Wir haben schon Verstecken gespielt und morgen soll ich zu Katja kommen. Die wohnt da drüben im Querblock und kommt auch in zwei Jahren in die Schule.« Er strich Jana über ihre blonden glatten Haare. Und du Heiko? »Ich habe Fußball gespielt und dann hat uns ein Mann von den Wäscheleinen weggejagt und dann haben wir im Sandkasten Burgen gebaut.« Das ist doch etwas. Kinder tun sich nicht so schwer mit Veränderungen. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Einen jungen Baum kann man umsetzen und er treibt wie vorher einfach weiter. Kleine Wurzeln sind nicht so tief. Und wie bekamen sie Gerdas Triebe wieder zum Grünen? Er musste ihr etwas bieten. Aber was? Warum kümmerten sie sich nicht um eine Gartenparzelle? In Neubrandenburg hatten sie ihr eigenes Gemüse angebaut. Sie waren Selbstversorger mit Rosenkohl, Salat und Kartoffeln. Wäre das eine Aufmunterung? »Was hältst du von einem Garten?«, fragte er Gerda. In ihr lebte die Bauerntochter auf und kurzzeitig verzogen sich die Gewitterwolken aus ihrem Gesicht und ließen einen kurzen Moment Sonnenschein zu. An manchen Regentagen ist ein kleiner Sonnenstrahl die einzige Hoffnung auf besseres Wetter. »Wir könnten dann wieder unser eigenes Gemüse

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