Der Erwerb des Deutschen im Kontext von Mehrsprachigkeit. Tanja Rinker
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Einen letzten im Bereich der KonsonantenKonsonanten zu besprechenden Lernschwerpunkt stellen die R-Laute dar. Lernende, deren Herkunftssprache (z. B. Japanisch und Chinesisch) nur über einen Liquid (R-oder L-Laut) verfügt und nicht etwa wie die deutsche Sprache (sowie ca. 75 % der Sprachen) über zwei Liquide (Hall 2000: 84), benötigen Unterstützung in der phonematischen Wahrnehmung der R- und L-Laute, die ausgetauscht im Deutschen eine Bedeutungsveränderung bewirken. Hier bietet es sich an, mit Minimalpaaren zu arbeiten. Das sind Wortpaare, die sich in nur einem PhonemPhonem unterscheiden: Reise – leise, Rektor – Lektor, Waren – Wahlen (Hirschfeld & Reinke 2018: 222).
Die im Weiteren skizzierten Schwierigkeiten betreffen deutlich mehr Deutschlernende und haben zu tun mit sprachspezifischen Artikulationsweisen sowie mit den R-VarianteR-Varianten des Deutschen. In Abhängigkeit der Position und Lautkombinatorik wird ein konsonantischer R-Laut (als velarer FrikativFrikativ bzw. als uvularer Vibrant) oder aber ein vokalischer R-Laut realisiert.
Um Lernende, in deren Herkunftssprache ein Zungenspitzen-R gesprochen wird (z. B. Türkisch, Spanisch, Russisch), an den frikativen, velar gebildeten R-Laut heranzuführen, schlagen Hirschfeld & Reinke (2018) vor, vom fast an gleicher Stelle zu artikulierenden Ach-Laut auszugehen und Wörter bzw. Wortgruppen nachsprechen zu lassen, „in denen an Silbengrenzen Ach- und R-Laut aufeinandertreffen: nach.rufen, auch_rot“ (ebd. 223).
Neben konsonantischen Varianten gibt es im Standarddeutschen wie oben bereits erwähnt auch eine vokalische Variante des R-Phonems. Das sogenannte vokalisierte R [ɐ] wird nach langen Vokalen gesprochen wie in Ohr [ʔo:ɐ], Tier [ti:ɐ], lehrt [le:ɐt], lehrst [le:ɐst] und in unbetonten Silben, die im SchriftsystemSchriftsystem mit zer-/ver-/her-/er-/-er kodiert werden (ebd. 73), z. B. verlaufen, erzählen, Mutter. Da das vokalisierte R einem entspannt artikulierten A-Laut ähnelt, schreiben Kinder im (lautbasierten) Schrifterwerb häufig *Muta statt Mutter. Das gleichzeitige Anbieten von Schriftbild und Klangbild hilft sowohl Kindern beim OrthografieerwerbOrthografieerwerb als auch älteren Deutschlernenden im Erkennen, wann ein konsonantisches und wann ein vokalisches R zu artikulieren ist. Mit der vokalischen Variante des deutschen R-Phonems ist der Bogen geschlagen vom Konsonantensytem zum Vokalsystem, dem wir uns nun im Folgenden zuwenden.
1.4.2 VokaleVokale
Während es im Deutschen 16 VokaleVokale gibt, hat beispielsweise Türkisch 8 Vokale, Italienisch 7 und Persisch 6. Russisch, Griechisch und Spanisch verfügen jeweils über nur 5 Vokale (Hirschfeld & Reinke 2018). Das deutsche Vokalsystem stellt daher eine besondere Herausforderung für die Lernenden dar. Zum einen müssen sie sich in der Wahrnehmung ungewohnter lautlicher Kontraste üben und zum anderen müssen unter Berücksichtigung des Mundöffnungsgrades, der Zungenstellung und der Lippenform neue Artikulationsmuster trainiert werden. Während die fünf Vokale i, e, u, o, a in den Sprachen der Welt relativ häufig vorkommen, sind ü und ö eher selten. Diese Laute sind aber leicht anzubahnen, denn Mundöffnung und Zungenstellung entsprechen den (meist) vertrauten Vokalen i und e. Vorausgesetzt also, die Lernenden können i und e bereits aussprechen, lässt man sie diese artikulieren und bittet sie, dabei zusätzlich ihre Lippen zu runden. So entsteht aus einem i wie in liegen ein ü wie in lügen und aus einem e wie in lesen ein ö wie in lösen.
Weitaus schwieriger ist es, die Lernenden dafür zu sensibilisieren, dass das Deutsche bei betonbaren Vokalen zwischen gespannten (d.h. mit mehr Muskelanspannung artikulierten) und ungespannten Vokalen unterscheidet. Bevor wir auf diesen Unterschied zu sprechen kommen, werfen wir zunächst einen Blick auf das so genannte VokaltrapezVokaltrapez, das den Mundraum mit den verschiedenen Zungenlagen in horizontaler (vorn, zentral, hinten) und vertikaler (hoch, mittel, tief) Dimension darstellt (s. Abb. 1.3). Eingezeichnet sind alle 16 VokaleVokale des Deutschen mit ihren lautschriftlichen Symbolen, und zwar jeweils an der Stelle, wo sich die Zunge (der höchste Zungenpunkt) bei der Artikulation befindet. Um Deutschlernende für die verschiedenen Zungenlagen zu sensibilisieren, stellen die drei artikulatorischen Extreme [i], [u], [a] günstige Ausgangspunkte dar. Ausgehend von diesen äußeren Punkten, lassen sich dann Zwischenpositionen und feinere Unterschiede erarbeiten.
Neben den Parametern Zungenposition und Lippenrundung sind im deutschen Vokalsystem zwei weitere Eigenschaften relevant, die jedoch weitgehend korrelieren: Vokallänge und +/- Gespanntheit. Für die Artikulation der im VokaltrapezVokaltrapez außerhalb der Ellipse befindlichen VokaleVokale muss, da die Zunge eine größere Distanz von der entspannten Neutrallage des Mundmittelaums (hier wird der ZentralvokalZentralvokal [ə] gebildet) zurückzulegen hat, mehr Muskelanspannung aufgebracht werden (Ramers 2002: 79). Diese gespannten Vokale werden in betonter SilbeSilbe lang gesprochen, die ungespannten Vokale hingegen kurz – mit Ausnahme des ungespannten Vokals [ɛ], der in Akzentsilben auch lang (z. B. in Käse) vorkommen kann (ebd. 79).
VokaleVokale des Deutschen (nach Ramers 2002: 78)
Die Distinktion gespannt vs. ungespanntgespannt vs. ungespannt bzw. lang vs. kurzlang vs. kurz ist im Deutschen bedeutungsunterscheidendbedeutungsunterscheidend und muss daher unbedingt gelernt werden. Aber gerade diese Unterscheidung fällt vielen Deutschlernenden besonders schwer. In erster Linie betrifft dies Lernende, die aus Sprachen kommen, in denen die VokalquantitätVokalquantität nicht distinktiv ist (u.a. Türkisch, Spanisch, Russisch). Oftmals werden die VokaleVokale so artikuliert, dass sie in Bezug auf die Länge zwischen dem kurzen und dem langen Vokal der Zielsprache liegen. Die Arbeit mit kontrastierenden Vokalpaaren (gespannt/lang vs. ungespannt/kurz) ist daher besonders wichtig. Mit Hilfe sogenannter Minimalpaare (vgl. Tab. 1.2) rücken die relevanten Distinktionen ins Bewusstsein. Gegenüberstellungen von Wörtern wie [mi:tə] vs. [mɪtə], die sich nur hinsichtlich des Merkmals Gespanntheit/Länge unterscheiden, aber eine ganz andere Bedeutung haben, verdeutlichen, dass es leicht zu Missverständnissen kommen kann, wenn die Kontraste nicht hinreichend artikuliert werden. Dadurch wächst die Bereitschaft, sich auf diesen Lerngegenstand einzulassen. Wahrnehmungsübungen sollten immer vom Schriftbild begleitet werden, denn die Orthografie fungiert – wie es Röber (2012: 34) ausdrückt – „als Lehrmeisterin“. Wie die Schreibungen in Tab. 1.2 erkennen lassen, gibt die Schrift Hinweise darauf, ob der Vokal kurz oder lang ausgesprochen wird, und kann somit auch die akustische Wahrnehmung der Merkmalsausprägung lang vs. kurz unterstützen (s. Kap. 2). Einfache Wahrnehmungsübungen könnten daher so gestaltet werden, dass die Lernenden, nachdem die Bedeutung der Wörter geklärt ist, vor sich die Minimalpaare sehen und sich auf die Anweisungen der Lehrkraft „Zeigt auf [mi:tə], zeigt auf [mɪtə], zeigt auf [mɪtə], zeigt auf [mi:tə], …“ konzentrieren und Klangbild und Schriftbild miteinander verbinden. Später würden dann weitere die Lautdistinktion betreffende Minimalpaare hinzukommen ([bi:tə] vs. [bɪtə], [ʔim] vs. [ʔɪm]) und schließlich würde