... wenn nichts bleibt, wie es war. Rainer Bucher

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spricht vorerst wenig dafür, dass es sich die staatlichen Autoritäten politisch erlauben können, das Christentum und seine Kirchen rechtlich massiv zu deprivilegieren. Wohl ist mit der Aufnahme neuer Religionsgemeinschaften in den Kreis der Bevorzugten zu rechnen, schließlich unterstützen auch die christlichen Kirchen aus guten theologischen Gründen die rechtliche und institutionelle Gleichstellung etwa des Islam; es sind eher rechtspopulistische Politiker, die den Kirchen vorwerfen, interreligiös zu nachgiebig zu sein. Weder in Deutschland noch in Österreich droht aber der staatliche Schutzschirm über den christlichen Kirchen einzuklappen.

      Es ist daher erst einmal damit zu rechnen, dass jene Charakteristika, welche für die deutsche und modifiziert auch österreichische Kirche1 typisch sind, noch einige Zeit gelten werden: ein starker und relativ eigenständiger Laienkatholizismus, ein hoher Professionalitätsgrad und eine gesellschaftlich tief verflochtene kirchliche Handlungsstruktur. Und dennoch ist das Gespür des Papstes schon richtig und die Zukunft der deutschen und österreichischen katholischen Kirche tatsächlich prekär, also gefährdet und in unsicherer Abhängigkeit.

      Denn jene Sozialform der katholischen Kirche, wie sie sich nach dem Konzil von Trient (1545–1563) in Reaktion auf den beginnenden Reichweitenverlust kirchlicher Pastoralmacht gebildet hatte, zerfließt in den Kontexten einer spätmodernen Gesellschaft. In ihr wird Religion zunehmend nicht mehr nach den Mustern von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht organisiert, wie es für »Kirchen« typisch war, sondern, wie vieles andere auch, tendenziell marktförmig. Und das bedeutet: Wir erleben den Beginn einer »liquid church« (P. Ward).

       2.

      Die hier vorgelegten Analysen gehen davon aus, dass die Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten unter diesen Bedingungen nicht primär von der Verfügbarkeit diverser Ressourcen abhängt,2 auch nicht von ihrer konkreten Organisationsform vor Ort, sondern von der Gestaltung zentraler, für die katholische Kirche typischer Kontraste. Ihre herkömmliche, aus früheren Phasen der Kirchengeschichte stammende Formatierung wird zunehmend problematisch für die Plausibilisierung des Glaubens.

      Vier solcher Kontraste scheinen mir signifikant und sind daher Thema dieses Buches: jener von Priestern und Laien, der katholisch herkömmlich in Über- und Unterordnungskategorien formatiert ist; jener von Hauptamtlichen und »Ehrenamtlichen«, der gewöhnlich auf der Achse Kompetenz – Unterstützung praxiswirksam wird; der Kontrast von gelegentlichen Kirchennutzern (früher: »Fernstehende«, heute: »Kasualienfromme«) oder gar Ausgetretenen zu regelmäßigen Kirchgängern, der klassisch als Kontrast zwischen »wir« und »jenen«, wenn nicht sogar »drinnen« und »draußen« gefasst wird; und der Kontrast von Männern und Frauen, der in der katholischen Kirche nach wie vor asymmetrisch angelegt ist. Die Hauptverantwortung für die Gestaltung dieser Kontraste liegt dabei natürlich bei den jeweils Gestaltungsmächtigeren, also den Priestern, den Hauptamtlichen, bei jenen, die im institutionellen »Innen« der Kirche sich engagieren, und bei den Männern.

      Es wird alles darauf ankommen, ob diese Differenzen kreativ werden im Sinne des pastoralen kirchlichen Auftrags oder nicht. Dabei wird es nicht so wichtig sein, was sich die Beteiligten selber dabei denken, als vielmehr, welche Erfahrungen sie machen und welche Erfahrungen andere mit ihnen machen. Denn von der Wahrheit dieser Erfahrungen kann sich niemand mehr in der Kirche auf Dauer durch irgendwelche Schutzmechanismen abkoppeln. Sollten diese Kontraste weiterhin und gar zunehmend als destruktiv und dysfunktional wahrgenommen werden, sehe ich keine gute Zukunft für die katholische Kirche, weder institutionell noch pastoral. Die Entscheidung ist offen.

       3.

      Dieses Buch erscheint fünfzig Jahre nach Beginn des II. Vatikanischen Konzils. Es versteht sich als kleiner pastoraltheologischer Beitrag zu diesem Jubiläum. Denn das II. Vatikanum ist nicht nur ein normatives Glaubenszeugnis der Vergangenheit, sondern auch ein aktivierbares Programm für die kirchliche Praxis, so auch gerade in seinem eigenen Selbstverständnis. Ich gehe dabei davon aus, dass das II. Vatikanum das Programm für die kreative Überschreitung alter Codes und für einen weiterführenden Umgang mit den entscheidenden Kontrasten innerhalb der katholischen Kirche enthält. Auf dieser Basis werden einige Vorschläge für die Weiterentwicklung der konkreten Sozialformen der katholischen Kirche vorgelegt.

       4.

      In der vorliegenden Publikation werden Analysen und Vorschläge zur Lage und Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten gebündelt, die in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen entwickelt und veröffentlicht wurden, und einem breiteren Publikum vorgelegt. Die Auseinandersetzung mit alternativen Analysen und Optionen wird in diesem Buch nur zurückhaltend geführt. Wer sich hierfür interessiert, der sei für die Grundlagenfragen auf die Publikation »Theologie im Risiko der Gegenwart«, Stuttgart 2010, und für pastorale Einzelprobleme auf »Orte und Prozesse. Studien zu den aktuellen Konstitutionsproblemen der deutschen katholischen Kirche« verwiesen; dieses Buch hoffe ich 2013 vorlegen zu können.

      Wieder einmal habe ich Frau Ingrid Hable, meiner Mitarbeiterin am Grazer pastoraltheologischen Institut, sehr herzlich zu danken und auch Heribert Handwerk, dem Lektor des Echter Verlags. Die Zusammenarbeit mit ihnen gehört zu den wirklichen Freuden meines beruflichen Lebens.

      Ich widme diese kleine Schrift jenen, die an der Basis der katholischen Kirche redlich und voller Engagement versuchen, in den Steppen des persönlichen wie kirchlichen Alltags ein Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu sein.

      Rainer Bucher Graz, 12. Februar 2012

Verflüssigungen

      I. Die Unvorstellbarkeit der Zukunft

       » Am Ende dieses Jahrhunderts war es zum erstenmal möglich, sich eine Welt vorzustellen, in der die Vergangenheit (auch die Vergangenheit der Gegenwart) keine Rolle mehr spielt, weil die alten Karten und Pläne, die Menschen und Gesellschaften durch das Leben geleitet haben, nicht mehr der Landschaft entsprachen, durch die wir uns bewegten, und nicht mehr dem Meer, über das wir segelten. Eine Welt, in der wir nicht mehr wissen können, wohin uns unsere Reise führt, ja nicht einmal, wohin sie uns führen sollte.«

      E. Hobsbawn1

       »Die … kulturelle Krisenerfahrung liegt in dem gleichzeitigen Verlust einer referenzstiftenden Vergangenheit und einer sinnstiftenden Zulunft.«

      H. Rosa2

       1. Das Neue am Neuen: ein kleines Gedankenexperiment

      Ich möchte Sie in einem kleinen Gedankenexperiment dazu einladen, sich in das Jahr 1987 zurückzuversetzen. Oder gehen Sie einfach so weit zurück, als es Ihnen möglich ist. Erinnern Sie sich, wo Sie damals lebten, was Sie beschäftigte, bei wem und mit wem Sie lebten und vor allem: was Sie damals erstrebten, erhofften und von der Zukunft erwarteten.

      Und dann führen Sie sich vor Augen, was seither tatsächlich in Ihrem Leben passiert ist.

      Ihre Erfahrungen gehören natürlich nur Ihnen. Aber ich vermute, dass manches, vielleicht sogar vieles von dem, was in Ihrem Leben seither passiert ist, für Sie recht weit außerhalb Ihrer damaligen Vorstellungen lag.

      Dieses kleine Gedankenexperiment lässt sich auch für die öffentliche Erinnerung anstellen. Dann liegen zwischen 1987 und

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