... wenn nichts bleibt, wie es war. Rainer Bucher

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individualisiert sich dabei auf der Nachfrageseite – jeder und jede kann sich seine/ihre persönliche Religion selbst zusammenstellen und tut dies auch –, aber auch auf der Anbieterseite: Einige ihrer Merkmale, etwa die Rhythmisierung des Alltags, die Bewältigung der Unberechenbarkeiten des Lebens, die ethische Normierung und die Bildung von »Glaubensgemeinschaften« wandern aus in andere kulturelle Handlungsfelder, so zum Beispiel in die Medien, in den »Kapitalismus als Religion« (Walter Benjamin) oder auch in eine neue (trivial-)ästhetisierende Kunstreligion um Museen und Pop-Events. Hans-Joachim Höhns »Theorie religiöser Dispersion« zeigt plausibel, inwiefern sich der »postsäkulare Fortbestand des Religiösen als ein mehrfacher Transformationsprozess vollzieht, der die Vermittlungsbedingungen religiöser Traditionen, die Sozialformen und öffentliche Präsenz gelebter Religion sowie die Verwendung ihrer semantischen und ästhetischen Ausdrucksformen außerhalb religiöser Kontexte umfasst.«9

      Die Säkularisierungsthese hält dann die schlichte Wahrheit fest, dass sich niemand auf spezifische Märkte begeben muss und dass sich tatsächlich viele – in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich – gar nicht erst auf den religiösen Markt begeben. Die Säkularisierungsthese formuliert mithin die Freiheit gegenüber dem religiösen Markt. Die Individualisierungsthese hält dann die Freiheit im Markt fest. Auch wer sich auf den religiösen Markt begibt, behält seine Freiheit, wie es eben Kunden zusteht. Er behält sie diachron, denn er kann den Anbieter wechseln, und er behält sie synchron, denn er kann manches von verschiedenen Anbietern kombinieren, wie wir es in anderen Marktsektoren ja auch tun. Und er behält die Freiheit zu wechselnder Intensität, auch das entspricht normalem Kundenverhalten: Die These der »Postsäkularität« hält dann aber fest, dass es diesen Markt überhaupt noch gibt, dass er ziemlich stabil zu sein scheint und dass mit ihm weiter zu rechnen ist, wenn auch in Europa in durchaus unterschiedlicher Virulenz.

       2. Konsequenzen für die Kirche

      Das alles bedeutet nun, dass die katholische Kirche in unseren Breiten mit manifesten, nicht länger verdrängbaren Abstiegserfahrungen umgehen muss. Religion wird zunehmend weniger im kirchlichen Dispositiv vergesellschaftet, das Religion in Konzepten von Mitgliedschaft, Gefolgschaft und Macht organisierte und zudem davon ausging, dass sich die je individuelle Religiosität und die gemeinschaftlich gelebte, verfasste Religion, also Persönlichstes und Öffentlichstes, Intimstes und kirchliche Obrigkeit, wenn irgend möglich decken. Im Zuge der globalen Durchsetzung eines liberalen, kapitalistischen Gesellschaftssystems werden religiöse Praktiken in die Freiheit des Einzelnen gegeben und folgen damit vielen anderen, ehemals der Entscheidungsfreiheit des Individuums entzogenen Praktiken, etwa der Orts-, Kleidungs-, Berufsoder Partnerwahl.

      Für die kirchliche Pastoralmacht markiert dies den definitiven Endpunkt eines einzigen Verlustwegs. Dieser führte vom Kosmos zur Kommunität und schließlich zum Körper. Die kosmisch codierte Interpretationsmacht des Christentums wird zuerst in Frage gestellt von Männern wie Galilei, Kopernikus und Kepler, der kirchliche Zugriff auf die (nicht-kirchliche) Kommunität ging mit dem bürgerlichen Gesellschaftsprojekt und somit im 19. Jahrhundert verloren, nachdem schon der Absolutismus des 18. Jahrhunderts sich zunehmend von kirchlichen Bestimmungshorizonten frei gemacht hatte. Zuletzt aber versuchte gerade die katholische Kirche, etwa über ihre Moralverkündigung, noch Einfluss auf den Körper zu nehmen, auf seine Praktiken und Techniken.10

      Es herrscht aber auch nicht mehr das aufklärerische Dispositiv11 des Religiösen, das die Konsistenz religiöser Praxis und Inhalte vor der Vernunft anstrebte und von dieser Konsistenz her Religion beurteilte, manchmal auch verurteilte. Was herrscht, kann man vielleicht am ehesten als »autologisches Dispositiv« bezeichnen, als Organisation und Praxis von individueller Religion nach dem – durchaus nicht beliebigen und trivialen – individuellen biografischen Bedürfnis.12 Das folgt einer eigenen Logik, der Logik der prekären Lebensbewältigung auch mit Hilfe von Religion. Religion und eben auch Kirche werden damit aber unter ein individuelles Nutzenkalkül gestellt – und das gilt auch für praktizierende Katholiken und Katholikinnen.

      Das trifft die katholische Kirche an einem zentralen Punkt ihrer neuzeitlichen Geschichte: ihrer institutionellen Lebensform. Diese institutionelle Lebensform ist gerade im katholischen Bereich mächtig und eindrucksvoll. Gegenwärtig aber muss die Kirche damit umgehen, dass mit ihr umgegangen wird und dass auch ihre stolze Institutionalität dies nicht verhindert. Bisweilen gilt gar: ganz im Gegenteil. Kirchliche Institutionen geraten damit unter den permanenten Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder. Es ist so nicht ganz ohne Logik, wenn mittlerweile die pastoral folgenreichste empirische Studie der letzten Jahre, die Sinus-Milieustudie13, von einem Marktforschungsinstitut, Sociovision, erstellt wurde und das lieferte, was man von einer Marktforschungsgesellschaft erwarten kann: einen Marktlagebericht. Und es ist auch nicht erstaunlich, dass gerade auf diesen Marktlagebericht innerkirchlich so sensibel reagiert wurde.

      Schließlich schaut diese Marktlage für die katholische Kirche nicht sehr erfreulich aus. Sie ist offenbar nur noch in drei der hier definierten zehn Lebensstilmilieus halbwegs stabil verwurzelt, stößt in den anderen Milieus zunehmend auf Desinteresse oder gar Ablehnung, da man dort in ihr nicht zu finden glaubt, was man an Religion eventuell nachfragt. Die drei kirchlich affinen Milieus (die »bürgerliche Mitte«, die »Traditionsverwurzelten« und die »Konservativen«) sind zudem nicht sehr innovationsfreudig und keine gesellschaftlichen Trendsetter.

      Nun gelingt es sicher vielen nicht-gemeindlichen Handlungsfeldern der Kirche, auch in anderen Milieus zumindest situativ und punktuell Fuß zu fassen: der Caritas etwa oder der Kategorialpastoral in Krankenhaus und Gefängnis oder auch dem Bildungssektor mit einer immer noch recht hohen Breitenabdeckung durch den Religionsunterricht. Dennoch wirkte der Sinus-Marktlagebericht in einer unter dem staatskirchenrechtlichen Rettungsschirm noch immer sehr gut lebenden Kirche zu Recht ernüchternd. Denn er beschreibt realistisch die teils drohende, teils bereits eingetretene kirchliche Kundendistanz. Es spricht freilich nicht unbedingt für die innerkirchlichen Kommunikationsverhältnisse, dass diese Milieukenntnisse nicht schon längst innerkirchlich durch die professionellen Erfahrungen des eigenen Personals bekannt wurden. Zumal dieses nicht nur analytische, sondern auch pastorale Milieukompetenz besitzt – zumindest dort, wo es seine Aufgabe erfüllt.

       3. Das pastoraltheologische Problem des religiösen Marktes

      Es fällt vielen in der katholischen Kirche schwer zu akzeptieren, dass sie unter die Herrschaft des notorisch wankelmütigen Marktverhaltens ihrer eigenen Mitglieder geraten sind. Zudem hat das Christentum in seiner langen Geschichte recht wenige Erfahrungen mit einer solchen Marktsituation; gerade das kollektive Gedächtnis der katholischen Kirche erinnert eher Macht- als Marktkompetenzen. Das Christentum ist es schließlich spätestens seit der »Konstantinischen Wende« des 4. Jahrhunderts gewohnt, sich über gesellschaftliche Herrschaftsprozesse zu realisieren.

      Theologisch ist es aber überhaupt kein Problem, dass die Kirche in die Ohnmachtsposition der Kundenabhängigkeit geraten ist. Mit Blick auf ihren Gründer, Jesus, der bekanntlich in einer dramatischen Ohnmachtssituation starb, ist dies eigentlich sogar die kirchliche Normalposition. Wo liegt dann aber das Problem? Das natürlich stimmt: Die Kirche verkauft tatsächlich keine »Ware«, sie verkauft überhaupt nichts, denn der Kern ihrer Botschaft ist kostenlos oder, im theologischen Jargon gesagt: Gnade. Was sie zu kommunizieren hat, ist Gottes Gnade, näherhin: Gottes Gnade als Voraussetzung der Umkehr. Darüber, ob sie das tut, hat die Kirche nicht zu entscheiden. Das ist ihr vorgegeben, sie kann über nichts anderes reden, sich für nichts anderes einsetzen – zumindest solange sie sich auf Jesus Christus berufen will.

      In dieser Situation droht der Kirche eine verhängnisvolle Verkehrung: Einerseits provozieren die Pluralisierungs- und Relativierungsprozesse, die funktionierende Märkte auslösen, innerkirchlich unübersehbare Probleme. Viele kirchliche Leitungsverantwortliche

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