... wenn nichts bleibt, wie es war. Rainer Bucher

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in der Sakramentenpastoral, auch noch so unübersehbar hinfällig geworden sein. Ähnlich wie beim Papsttum will man über eine institutionelle Struktur sichern, was in der liberalen Gesellschaft gefährdet erscheint: die Tradierung des Christlichen.

      Dass dieses Projekt scheitern musste, erklärt sich aus seiner inneren Selbstwidersprüchlichkeit, dass es gerade in seiner intendierten Rettungswirkung scheiterte, ist offenkundig: Die Bindewirkung des gemeindlichen Milieus hat, nimmt man die Kirchgängerzahlen als Grundlage, seit 1950 um ca. 70 % abgenommen.19 Nicht dieser Vorgang an sich – er ist nicht so sehr der Gemeinde als vielmehr dem generellen Kontextwechsel kirchlicher Konstitution zuzuschreiben – als vielmehr die Tatsache, dass auch der gemeindetheologische Umbau praktisch keine Spuren in dieser linearen Reduktion kirchlicher Partizipation hinterlassen hat, ist bemerkenswert.

      Zudem laufen praktisch alle ressourcenbedingten aktuellen pastoralplanerischen Initiativen darauf hinaus, das klassische »Normalbild« einer um den Pfarrpriester gescharten, überschaubaren, lokal umschriebenen, kommunikativ verdichteten Glaubensgemeinschaft aufzulösen. »Pfarreien werden zusammengelegt und so die pastoralen Räume vergrößert. Das bedeutet, dass ein Priester für weitaus mehr Gläubige zuständig ist als zuvor.«20 Dieser Prozess, gegenwärtig vielfach beklagt, vollzieht, wenn auch aus ganz anderen und nicht unbedingt guten Gründen, kirchenzentral nach, was die meisten Katholiken und Katholikinnen schon vorher von sich aus getan haben: den Abschied von der Utopie der »Gemeinde« als Gegenwelt unverstellt-personaler Kommunikation und realer Inklusion in einer Welt instrumenteller Kommunikation und Exklusion. Michael Ebertz hat Recht, wenn er feststellt, es sei »schon merkwürdig, dass … dieser so offensichtlich negative Ausgang eines gewissermaßen historischen Experiments immer noch ignoriert werden kann«21. »Die meisten getauften und gefirmten Katholiken … verspüren schlicht kein Interesse an den hohen religiösen Ansprüchen der Gemeindebewegung und an der damit verbundenen Neuverteilung der religiösen Arbeit, die nun den Laien zugemutet wird. Sie haben schlicht andere Sorgen und Relevanzen.«22

       4. Die Gemeinde und die Zulassungsbedingungen zum Priestertum

      Nun ist die jüngere pastoraltheologische Diskussion um die »Gemeinde« nicht nur sehr kontrovers, sondern auch argumentativ ausgesprochen extensiv verlaufen.23 Den großen Hoffnungen, mit denen die Gemeindetheologie startete, entsprechen die Emotionen, welche ihre aktuelle pastoraltheologische Problematisierung immer noch freisetzt. Dies ist verständlich, zumal gleichzeitig, wenn auch mehr oder weniger unabhängig davon, die damals angestrebte Gemeindeverfassung der katholischen Kirche in den aktuellen Umbauprozessen ihrer Basisstruktur24 tatsächlich zunehmend aufgelöst wird.

      Diese zudem oft lebensgeschichtlich tief eingeschriebene Brisanz des Gemeindethemas hat zu einigen problematischen Verknüpfungen mit anderen Themen geführt. Diese Verknüpfungen sind möglich, behindern aber analytisch eher den Blick. Konkret betreffen sie die Frage der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in christlicher religiöser Praxis sowie die Frage nach der notwendigen Verortung kirchlicher Pastoral in der räumlichen Fläche.

      Ohne Zweifel sind die gegenwärtigen Zulassungsbedingungen zum katholischen Amtspriestertum ausgesprochen diskussionswürdig, vor allem unter Gerechtigkeits-, Qualitäts- und amtstheologischen Gesichtspunkten. Die Gemeindeproblematik dürfte aber kein geeigneter Hebel sein, um hier relevanten Veränderungsdruck aufzubauen. Das Konzept »Gemeinde« als eine kommunikativ verdichtete, überschaubare Lebens- und Glaubensgemeinschaft unter priesterlicher Leitung ist innerkatholisch viel zu jung, um als Gegengewicht gegen jene alten Traditionen anzukommen, die das Priestertum dem unverheirateten Mann reservieren.

      Es wäre sicher wünschenswert und grundsätzlich, etwa einem Konzil, auch möglich, die Zulassungsbedingungen zum katholischen Weihepriestertum einer pastoraltheologischen wie einer systematisch-theologischen Evaluierung zu unterziehen. Dies wird in absehbarer Zeit aber wohl nicht geschehen, zu tief sind Ordnungen der Geschlechterdifferenz und Ordnungen des Religiösen auch in unserer Kirche amalgamiert. Die schwerwiegendste Konsequenz der gegenwärtigen Zulassungsbedingungen wird auch nicht einmal so sehr der wegen des Priestermangels notwendige Umbau der pastoralen Basisorganisation sein als vielmehr die zuerst schleichende, dann sich aber rapide beschleunigende kulturelle Entfremdung, ja Exkulturation der katholischen Kirche von einer Gesellschaft, die normativ, zunehmend aber eben auch real auf eine ganz andere Geschlechterchoreografie umgestellt hat und in der die alten Begründungsmuster für Geschlechterasymmetrien massiv an Plausibilität verloren haben.25

      Die Seelsorgeämter drehen denn auch an anderen Stellschrauben, um den potentiellen Veränderungsdruck auf die Zulassungsbedingungen zu verringern: Sie holen ausländische Priester und/oder vergrößern die priesterlichen Zuständigkeitsräume. Damit steht also ein relativ neues und rechtlich wenig gesichertes Konzept – die »Gemeinde« – gegen eine (kirchen-)politische Realität, die dieses Konzept bei einiger organisationsentwicklerischer Virtuosität ganz erfolgreich umspielen kann. Politisch ist das eine ganz und gar unbefriedigende Situation: Der einklagende pastoraltheologische Diskurs steht gegen institutionelle Macht und Raffinesse. Der Diskurs gewinnt da selten. Zumal die gemeindlichen Mauern nicht nur von außen durch die Seelsorgeämter, sondern auch von innen durch die Katholikinnen und Katholiken selbst gesprengt wurden.

      Die für unsere Kirche existenzentscheidende Frage, wie ein amtstheologisch, pastoral und nicht zuletzt personal verantwortbarer Entwicklungspfad des katholischen Amtspriestertums nach der Auflösung der sanktionsgestützten »Konstantinischen Formation« der Kirche ausschauen könnte, dürfte mit der Verlängerung jenes letztlich paternalistischen Amtskonzepts, wie es die Gemeindetheologie vertritt,26 nicht wirklich beantwortet sein.27

       5. Individualisierung versus Vergemeinschaftung

      Auch die Verknüpfung der Gemeindeproblematik mit der Frage Vergemeinschaftung versus Individualisierung dürfte nicht weiterführend sein. Das zentrale ekklesiale Problem der Pianischen Epoche war strukturell die mangelnde Freiheit und inhaltlich die Unfähigkeit, eigene Gehalte außerhalb der Kirche als solche zu identifizieren. Das zentrale Problem der kirchlichen Gegenwart, zumindest in unseren Breiten, ist strukturell die Schwierigkeit von Gemeinschaft und material die Setzung der Differenz des Eigenen innerhalb des allgemein Religiösen.

      War in der Pianischen Epoche die Gemeinschaft des Kirchlichen die Selbstverständlichkeit und die Freiheit das Unselbstverständliche, so ist heute die Freiheit vom Kirchlichen die Selbstverständlichkeit und die kirchliche Gemeinschaft das Unselbstverständliche. Die Alternative lautet also nicht: religiöser Individualismus versus gemeindliche Vergemeinschaftung. Denn die Freigabe zu religiöser Selbstbestimmung auch für Katholiken und Katholikinnen ist eine soziale Tatsache, im Übrigen eine erst einmal ausgesprochen erfreuliche. Es geht vielmehr darum, wie heute noch ekklesiale Sozialität möglich ist, und dies jenseits ihrer mehr oder weniger hilflosen Einforderung durch die Propagierung quasi-selbstverständlicher Sozialformen von Kirche.

      Alfred Dubach hat zutreffend bemerkt, dass es überhaupt nichts nützt, die eigenen, prekär gewordenen Vergemeinschaftungsformen dadurch retten zu wollen, dass man passenderweise eine angebliche »Sehnsucht vieler Menschen nach Gemeinschaft« als »Zeichen der Zeit«28 identifiziert. Die »strukturelle Individualisierung moderner Gesellschaften«, so Dubach, werde von den kirchlichen Autoritäten »als beängstigend und bedrohlich erfahren«. Dies lasse die Kirchenleitungen in ihrer »Sorge um die eigene Institution« dann »nicht auf eine Kultivierung moderner Freiheitsambitionen setzen«, vielmehr solle über »dichte kohäsive Sozialbeziehungen … kollektive Identität mit den Überzeugungen der Kirche erreicht werden.«29 Auch das gemeindekirchliche Konzept folgt noch deutlich diesem Muster.

      Vergemeinschaftungsformen scheinen heute sehr milieuspezifisch zu sein,30 und es gilt

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