... wenn nichts bleibt, wie es war. Rainer Bucher
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Andererseits droht die Gefahr, dass man das Problematischste des Marktes akzeptiert: seine Selbstreferentialität, die den Markterfolg als letztes Handlungskriterium auf dem Markt setzt.14 Es wird nicht reichen, mehr oder weniger heimlich auf den Markterfolg zu schielen, wie es auf den verschiedenen Ebenen der Kirche wohl weit mehr geschieht, als man sich eingesteht. Denn dann holt einen ein, was damit verbunden ist: der religiöse Substanzverlust, der Verlust des Wissens, warum es einen gibt, unabhängig davon, welchen Erfolg man hat.
Man kann freilich in der gegenwärtigen Situation auch nicht bestehen, indem man sich in behauptete diskursive oder soziale Singularitäten flüchtet, indem man Relationalität, also sich selbst auf die Probe stellende Bezüge, grundsätzlich ausschließt. Eine Zeitlang wird eine verunsicherte Kultur ein solches exotisches Gegenprogramm fasziniert beobachten, dann aber holt diese Struktur ein, was ihr eben untrennbar eingeschrieben ist: ihre Selbstgerechtigkeit und ihre Blindheit sich selbst und den realen Bezügen gegenüber.
Die Marktsituation enthält für die Kirche mithin eine doppelte Versuchung: die Versuchung, auf den Markt aufzuspringen wie früher auf die Nähe zur politischen Macht in der alten Verbindung von Thron und Altar oder zur pädagogischen Steuerungsmacht in der Herrschaft über die Einzelnen im geschlossenen katholischen Milieu. Und sie enthält die Versuchung, den Freiheitsgewinn des Marktes in regulierten diskursiven oder gesellschaftlichen Zonen zurückzunehmen.
In der katholischen Kirche wird zur Zeit der Kampf darum geführt, wie man auf diese neue Marktsituation reagieren soll. Das bringt etwa die Piusbrüder wieder ins Spiel, die mit ihrer radikalen Alternativpositionierung zum mainstream von Kirche und Gesellschaft und ihrem ästhetischen und kognitiven Anti-Modernismus durchaus marktattraktiv agieren, wenn auch vor allem auf dem Medienmarkt und daher hoffnungslos überschätzt. Andererseits bilden sich völlig neue, nicht länger mitgliedschafts-, gemeinschafts- und gefolgschaftsorientierte religiöse und pastorale Aktionsformen innerhalb und außerhalb der etablierten Kirche.15
In all diesen Prozessen spiegelt sich vor allem eines: Die Kirche ist zwar weiterhin ein handlungsfähiges Subjekt, aber eben auch Unterworfene ihrer Zeit, sie ist nicht nur starkes Subjekt, sondern auch sujet, sie kann sich nicht mehr abschirmen von den Orten, an denen sie ist, und dem, was sie für sie bedeuten. Diese Orte sind nicht länger nur Kontexte ihrer selbst, sondern schreiben sich in sie, die Kirche, ein, durchziehen und durchdringen sie, gestalten sie, prägen sie, ob sie will oder nicht.
Pastoraltheologisch ergeben sich aus der neuen Situation der Kirche mindestens vier zentrale Herausforderungen: erstens, wie die Kirche das Netz ihrer pastoralen Handlungsorte von einem religiösen Herrschaftsverband in eine markt- und angebotsorientierte Dienstleistungs-organisation umformatieren kann; wie sie zweitens auf dem religiösen Markt bestehen kann, ohne ihm zu verfallen; drittens, wie sie ihren eigenen Anhängern eine erneute Aufstiegsperspektive vermittelt, obwohl sie diese als Religionsgemeinschaft in Europa nie und nimmer mehr bekommen wird; und viertens und natürlich am wichtigsten, wie sie sich in all dem an der Botschaft Jesu von Gott orientieren kann.
Die Kirche hatte ihre Aufgabe unter den Bedingungen der spätantiken religionspluralen Gesellschaft ebenso zu erfüllen wie im feudalen Mittelalter, als sie ein Teil der gesellschaftlichen Macht war, sogar der entscheidende. Sie hat sie natürlich auch heute zu erfüllen, wo sie wieder (teil-)entmachtet wurde und tatsächlich auf den (religiösen) Markt gekommen ist. Das braucht sie überhaupt nicht zu bedauern. Es steht sowieso nicht in ihrer Verfügungsgewalt, in welchem Kontext sie den Gott Jesu zu verkünden hat. Sie muss sich einfach darauf einstellen. Der Markt hat außerdem viele Vorteile für die Religion, vor allem beraubt er sie der selbstverständlichen Herrschaft über die Einzelnen, und das tut ihr nur gut. Auch macht er möglich, zu kontrollieren, ob Behauptung und Inhalt, Personen und Botschaft halbwegs übereinstimmen – und auch das ist nur gut. Der Markt hat aber auch viele Nachteile: Zum Beispiel neigt er zu Unverbindlichkeit und Konsumhopping. Das ist in den wichtigen Dingen des Lebens aber selten ratsam. Und er hat eine merkwürdige Tendenz zum Niveauverlust. Vor allem aber verführt er dazu, sich um des Markterfolgs willen zu radikalisieren. Auf den globalen Märkten des Glaubens gewinnen die Anhänger von angeblich ganz besonders »rechtgläubigen«, in Wirklichkeit aber nur latent oder offen gewalttätigen Religionsvarianten an Boden. Denn die Kombination aus dem schon länger anhaltenden Säkularisierungsprozess, also der Etablierung religionsunabhängiger gesellschaftlicher Sektoren, und aktueller Globalisierung verführt Religionen dazu, »sich von der Kultur abzulösen, sich als autonom zu begreifen und sich in einem Raum neu zu konstituieren, der nicht mehr territorial und damit nicht mehr der Politik unterworfen ist«16.
Das Leben des Christen und jenes der Kirche sind keine triumphalen Siegesgeschichten, sondern ziemlich gewagte Entdeckungsgeschichten dessen, woran man zu glauben hofft. Was sie wert sind, wird sich erst herausstellen. Das Zentrum des Christentums ist der Glaube, dass sich Gott in Jesus von Nazareth in seiner Liebe für uns erniedrigt hat, dass er Mensch geworden und bis in den Tod hinabgestiegen ist, nur zu einem Zweck: um allen Menschen eine Chance auf Erlösung zu geben.17 Unsere Antwort darauf aber soll sein, den gleichen Weg zu gehen, den Weg der Nächstenliebe und der Demut, der Hoffnung und der Liebe, denn das ist der Weg zu uns und zu Gott.
Die Kirche und alle und alles in ihr haben allein einen Zweck: diese Geschichte, diese Wahrheit, diese Erfahrung zu verkünden. Sie tut es in der Geschichte der Menschheit und also unter den Bedingungen menschlicher Existenz, in der Sündhaftigkeit, die nie weicht, und in der Unvollkommenheit unserer sozialen Verhältnisse und institutionellen Strukturen.
III. Das Scheitern der Gemeindeutopie
» Um die Gesamtheit der Gläubigen zu erreichen, soll in jeder Pfarre die Zellenarbeit durchgeführt werden. Sie besteht darin, daß in planmäßiger Auswahl der Laienapostel die ganze Pfarre durchorganisiert wird. Durch diese Laienapostel ergibt sich die lebendige Verbindung zu allen Familien und Gliedern der Pfarre. Die einzelnen Laienapostel, die den Kern einer Zelle bilden, sind durch ständige Schulung und Anregung in eifriger Tätigkeit zu erhalten.«
Karl Rudolf1
1. »Gemeindetheologie«: Worum es geht
»Überschaubare Gemeinschaften mündiger Christen sollten die anonymen Pfarrstrukturen aufbrechen und an ihre Stelle treten.«2 Das war der Grundgedanke der nachkonziliaren Gemeindetheologie. »Gemeindetheologie« meint hier jenen pastoral-theologischen Transformationsdiskurs, der Mitte der 1960er Jahre praxiswirksam wurde und die Umformatierung der kirchlichen Basisstruktur hin zu jenen »überschaubaren Gemeinschaften mündiger Christen« initiierte.
»Gemeinde« war konzipiert als Nachfolgestruktur der als anonym, bindungs- und entscheidungsschwach wahrgenommenen volkskirchlichen Pfarrstruktur.3 Man kann diesen Diskurs tatsächlich Gemeindetheologie nennen, denn eines seiner charakteristischen Merkmale war die dezidiert theologische Selbstbegründung. Das unterschied ihn deutlich von dem bis dahin für Organisation und Legitimation kirchlicher Basisstrukturen primär zuständigen kirchenrechtlichen Diskurs.
Ein weiteres Merkmal dieses Diskurses und ebenfalls Konsequenz seiner Herkunft aus der Theologie war, alle kirchlichen Handlungsstrategien zumindest konzeptionell auf diesen Umbauprozess zu zentrieren. Es galt eben tatsächlich das »Prinzip Gemeinde«4, es galt die Maxime »Kirche als Gemeinde«5. Dieser Umformatierungsprozess hatte zugleich extensiven wie intensivierenden Charakter. Ferdinand Klostermann nennt als Ziel des Gemeindebildungsprozesses, »dass in (einer) Pfarrei möglichst viele Menschen eine möglichst genuine Gemeinde Jesu, des Christus, erleben können«, »dass die Pfarrei ein konkreter Ort wird, an dem möglichst vielen Pfarrangehörigen, aber