Diagnose: Mingle. Martina Leibovici-Mühlberger

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Diagnose: Mingle - Martina Leibovici-Mühlberger

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Verlauf ungeplanten, aber immer sehr persönlichen und innigen Gespräche, wenn alle anderen Geschwister noch in der Schule sind. Wir plaudern über ihr Studium in Berlin, ihre Firma und ihre nächsten Arbeitsprojekte. Plötzlich sagt sie dieses »Mutter«, mit seiner bedeutungsschweren Pause, bevor sie fortfährt. Das ist genau der Ton, der mir sagt, dass jetzt ein Anliegen kommen wird. Diesmal bezieht es sich auf Gigi, jene Freundin, die sie gleich abholen wird. »Die ist total fertig, völlig durch den Wind«, beschreibt sie mir. »Es hat sie gerade wieder ein Typ gedumpt, echt fies, wie der das gemacht hat, und das nach sechs Monaten.«

      »Hm«, ich rutsche etwas unbequem auf meiner Küchenbank hin und her, »sowas kommt vor«, versuche ich mich rauszuwinden. Doch meine Tochter winkt ab. »Sie ist echt fertig, aus, game over, die macht jetzt völlig zu.« Dabei fährt sie zur Bekräftigung mit der flachen Hand wie mit einem Messer hart über die Tischplatte. »Verstehst du, Mutter, aus dem vollen Honeymoon heraus. Völlig ohne irgendwas davor, einfach so. Das ist nicht zu packen. Wie soll man da noch auf die eigenen Gefühle vertrauen können? Kannst du nicht ein wenig mit ihr reden?«

      Wenig später sitzt Gigi, eine dampfende Kaffeetasse vor sich, bei uns am Tisch und zündet sich ihre erste Zigarette mit zitternden Fingern an. Es werden noch einige mehr werden. Es geht ihr tatsächlich miserabel, sie sieht schlimm aus. Eigentlich kenne ich sie als zielorientierte, arbeitsame, gut organisierte junge Frau, ein paar Jahre älter als meine eigene Tochter, so um die 27, die sich in der harten Filmbranche als versierte, zuverlässige Cutterin etabliert hat. Ein Kerl zum Pferdestehlen, eine Frau, die viel Einsatz für ihre Projekte zeigt und positives Klima in ein Team zu bringen weiß. Heute ist von ihrem Strahlen nichts zu bemerken. Sie hat sicher eben noch geweint. Tiefe Augenschatten zeugen von schlaflosen Nächten. Im Blick liegt jene gewisse Leere und Ferne, die Resignation in ein Gesicht malt. Das mit dem »Sport« war wohl ein »therapeutischer Vorschlag« meiner Tochter gewesen, um sie irgendwie rauszureißen.

      Doch was sie erzählt macht auch mich etwas ratlos. Alles hatte super angefangen. Filipe war engagiert, keiner der mit seiner Faszination für Gigi hinter dem Berg hielt. Der Sex war traumhaft und immer passend, so als würde man mit einem geheimen Signalsystem aufeinander abgestimmt sein. Unzertrennlich waren sie die letzten Monate gewesen, zärtlich, romantisch und bis über beide Ohren verliebt. Schon nach drei Wochen war es selbstverständlich, dass sie gemeinsam entweder bei ihm oder bei Gigi die Nacht verbrachten. Diese Beziehungskiste hatte alle Insignien von echt und verbindlich gezeigt, und Filipe hatte dies gerade in intimen Momenten auch seinerseits und ohne Nachfrage oder Drängen von Gigi immer wieder thematisiert. Nun war er vor ein paar Tagen und ohne, dass der Idylle die geringste Erschütterung vorausgegangen wäre, damit gekommen, dass es nun genug sei. Ein emotionales Horrorszenario für Gigi. Der Moment, als er plötzlich vollkommen distanziert und verschlossen vor ihr gestanden war und gemeint hatte, dass es jetzt aus wäre, einfach weil es genug sei. Keine andere Frau, nichts was ihn störe, aber eben genug, lang genug, genug Zeit miteinander verbracht, genug Sex miteinander gehabt. Jetzt wolle er einfach wieder frei sein und schauen, was ihm das Leben so Neues bringt. Unter neu fällt Gigi nun mal nicht mehr.

      »War das alles nur eine Show?«, fragt sie mich mit tiefer Verzweiflung in der Stimme. »Da war gar nichts, was mich hätte warnen können. Wenn er wenigstens eine andere hätte, könnte ich mich damit abfinden, aber so ohne Grund. Einfach, weil es genug ist und nicht mehr neu? Was war denn das, was so wie Liebe ausgesehen hat?«

      Ich weiß auch nicht recht, welchen Trost ich ihr anbieten kann, außer, dass dieser junge Mann wohl ein schwerwiegendes Problem mit Nähe haben muss. Doch das hilft ihr nicht wirklich weiter, denn sie ist nachvollziehbarerweise tief in ihrem Werte- und Evaluierungssystem verunsichert und vermag ihrer eigenen Wahrnehmung nicht mehr zu vertrauen. »Ich werde nie mehr jemanden an mich ran lassen, egal wie toll es sich anfühlt«, schließt sie ihre Erzählung, »das muss einfach vorbei sein.«

      »Scheiße«, denke ich mir, »sie könnte nun zu einer ›coolen Jägerin‹ mehr auf der Bahn werden, die prompt jenen jungen Männern, die sie wirklich lieben werden, nur mehr mit Kälte entgegentreten kann.«

      Wie gerne hätte ich Gigi damals als Lösung angeboten, dass es sich bei Filipe ganz sicher um einen bedauerlichen Einzelfall handelt, etwas, das ihr ganz sicher nie mehr im Leben würde passieren können. Doch es waren mir viel zu viele Fälle bekannt, in denen nach dem Abschwellen der ersten Verliebtheit einer der Partner, oder bisweilen sogar beide, in pragmatischer Akzeptanz auf Basis des nachlassenden »Kicks« beschlossen hatte/n, neue Wege zu gehen. Die Suche nach dem Neuen, Besseren schien in der Kriterienhierarchie zunehmend an Bedeutung zu gewinnen, ja sie bekam mehr und mehr den Charakter einer logischen Konsequenz. Psychodynamisch fragte ich mich, ob in all diesen Konstellationen überhaupt wirkliche Bindung gegeben war oder ob sie nur als Simulation existierte? Die Anziehung wurde ausgelebt, durchkonsumiert, ausgeschöpft, der narzisstische Gewinn der Selbstbestätigung eingefahren. Aber wenn es um tieferes Sich-Einlassen, den Aufbau von Gemeinsamkeit und die Abstimmung von Interessen ging, es also anstrengender, weniger spektakulär und unmittelbar befriedigend wurde, wenn die Notwendigkeit von eventueller Bedürfnisverschiebung oder gar ein Stück Selbstverzicht an der Reihe waren, dann zerbrach das Konstrukt, das als oberflächliches Sofortbelohnungssystem konzipiert war. Für jenen Partner, der über grundsätzliche Bindungsbereitschaft verfügte und zu emotionaler Investition fähig war, entwickelte diese Erfahrung eine desasteröse Dimension für seinen Selbstwert und sein Vertrauen in seine Einschätzungsfähigkeit emotionaler Prozesse eines Gegenübers. Jene Konstellationen, in denen beide Partner sich zu einem derartigen Strichcode eines Ablaufdatums bekannten, muteten mehr wie Geschäftsbeziehungen an. Die »Liebe« als klarer Deal. Man kauft Sex, kuscheln, gemeinsame Unternehmungen unter der Devise, dass es cool ist, und entsorgt das Ding, wenn es nicht mehr den Erwartungen entspricht, erste Abnützung zeigt oder man Lust auf etwas Neues hat.

      Meine Überraschung war vor etwas mehr als eineinhalb Jahren noch recht groß gewesen, als ich in Alpbach gemeinsam mit einer deutschen Soziologin zum Thema »Beziehungen der Zukunft« ein Planspiel mit einer Schar junger »High Potentials« durchführte, in dem es um die Entscheidungsfindung betreffend eines interessanten Jobangebots in Übersee ging. Einbeziehen eines Beziehungspartners in die Entscheidung rangierte ganz unten, genau genommen hatten nur zwei der einen ziemlich großen Saal füllenden TeilnehmerInnen dieses Kriterium überhaupt in Betracht gezogen. Auf meine Nachfrage hin wurde mir nahezu entrüstet geantwortet, dass Beziehungen ja grundsätzlich unberechenbar und unsicher und außerdem ja wieder ersetzbar seien, das große Jobangebot aber von bleibendem Wert, da es der eigenen Selbstentwicklung und Karriere diene. Es klang zwar logisch, ja im Sinne einer strategischen, auf materielle Werte und Sicherheit ausgerichteten Lebensführung bestechend sinnvoll, doch spürte ich gleichzeitig, wie ich Gänsehaut bekam. Wie wird es all diesen »High Potentials« in zehn Jahren gehen, wenn sie in ihren mittleren oder sogar oberen Führungspositionen sitzen werden, wenn sie abends in ihre leeren Designerwohnungen an irgendeinem der Top-Wirtschaftsstandorte in Asien oder Südamerika kommen oder einen rasch abgeschleppten, vorübergehenden Sexualproviant hinter sich herschleifen? Irgendwann ist auch der längste und produktivste Arbeitstag zu Ende. Wo werden sie das Gefühl von Geborgenheit finden? Wie werden sie es anstellen, die auf sie wartende Stille nicht als Leere zu empfinden? Skypen, endlos in Bars abhängen, bis sich die notwendige Bettschwere einstellt, hundert Programme durchzappen, Fotos auf Facebook hochladen und sich über das Einsammeln von »Likes« Community vorspiegeln? Werden sie sich »irgendetwas Gutes gönnen«, viele Gläser Rotwein als Schlaftrunk oder auch härteren Stoff? All diese Lösungsstrategien waren mir bereits heute von meinen Patienten bekannt und standen letztendlich nicht wirklich für eine befriedigende, ausgeglichene Lebenskonzeption, auch wenn sie »trendy« waren und als »cooles Leben« etikettiert wurden.

      Meine nächsten Monate verliefen als heroische Feldforschung, im Zuge derer ich so ziemlich jeden mit meiner ewigen Einstiegsfrage: »Welche Bedeutung haben Liebesbeziehungen für dich?« verfolgte. Ich erhielt sehr unterschiedliche Antworten. Oft entwickelten sich erstaunliche und umfassende Gespräche, nicht immer ohne Kontroverse. Mehr und mehr kam ich zur Einsicht, hier einen sehr heiklen Punkt zu treffen, den Finger in eine schwelende Wunde zu legen,

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