Der Tote in der Hochzeitstorte. Thomas Brezina
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Читать онлайн книгу Der Tote in der Hochzeitstorte - Thomas Brezina страница 14
Ein Mann, der mit dem Kopf fast an den oberen Türrahmen schlug, war eingetreten. Ihm folgte ein Schwall Schneeflocken, aus dem eine Frau mit fast bodenlangem Fellmantel und einer Fellkappe trat, die die Größe eines Storchennests hatte. Unter den Rändern der Kappe lugte kupferrotes Haar hervor.
»Guten Tag, Lady Ross«, grüßte Veronika. »Was kann ich für Sie tun?«
»Kindchen, ich muss mit Ignaz den Saal besichtigen. Ignaz wird die Überraschung vorbereiten.«
Lilo bemerkte, wie Veronika stumm mit den Augen auf Lilo deutete.
»Ihre Turteltäubchen werden den schönsten Tag ihres Lebens niemals vergessen. Geben Sie mir bitte die Vornamen, die brauche ich noch für die Überraschung.«
»Später, Lady Ross, ich habe meine Gäste gerade zu einer Besprechung hier«, sagte Veronika und betonte dabei die letzten Worte mit einer leichten Kopfbewegung in Lilos Richtung.
»Ach, sieh mal an«, rief die Lady, ohne eine Sekunde die Haltung zu verlieren oder verlegen zu wirken. »Was für ein Vergnügen, die glücklichen Menschen kennenzulernen. Ich erinnere mich an meinen Hochzeitstag, als wäre es gestern gewesen. Dabei liegt er schon eine halbe Ewigkeit zurück. Unvergesslich wurde er durch die Überraschung der besten Freunde meines Mannes. Sie haben eine Opernarie zu unseren Ehren komponieren lassen, die von zwei Sängerinnen und einem Sänger vorgetragen wurde.«
Lilo und Axel standen schweigend da, weil sie nicht wussten, was sie sagen sollten. Veronika war die Angelegenheit peinlich. »Vielleicht können Sie in einer Stunde wiederkommen?«
»Natürlich, Kindchen, wir wollten nicht stören, nicht wahr, Ignaz?« Sie stieß den Riesen mit dem Ellbogen. Mit tiefer Stimme versicherte er, dass das niemals die Absicht gewesen wäre. So theatralisch, wie ihr Erscheinen gewesen war, zogen die zwei wieder ab und verschwanden im Schneegestöber.
»Von welcher ›Überraschung‹ hat die Dame geredet?«, wollte Axel wissen. Er war kein Freund von unerwarteten Geschenken oder Aktionen.
»Die Dame ist Lady Ross. Sie wohnt im Schloss und kommt jeden Tag ins Hotel zum Essen. Ich habe ihr von meinen Plänen erzählt und von Ihrer Hochzeit und sie besteht darauf, mitzuhelfen. Von meinen Eltern habe ich nämlich keine …«
»… Unterstützung zu erwarten«, setzte Lilo im Stillen den Satz fort, als Veronika abbrach. Laut sagte sie: »Na dann, wir sind gespannt, wie sie unsere Hochzeit unvergesslich macht.«
Veronika lächelte erleichtert. Lilo und Axel verabschiedeten sich und traten die Rückfahrt an. Der Schnee fiel immer dichter und die Scheibenwischer hatten einiges zu tun, die Flocken von der Windschutzscheibe zu fegen.
Axel sah immer wieder zu den überhängenden Felskanten hoch. Manche ragten wie Vordächer über die Fahrbahn. Sie fuhren an einem Schild vorbei, das vor herabfallenden Schneebrettern warnte.
»Gibt es hier auch Lawinen?«
Lilo nickte, völlig konzentriert auf den Straßenverlauf. »Normalerweise werden sie abgesprengt, wenn Gefahr besteht, dass sie zu rutschen beginnen könnten.«
Nach einer Pause fragte Axel etwas, das ihn seit der Abfahrt beschäftigte.
»Ist es dir wirklich recht, dass diese verrückte Lady etwas für unsere Hochzeit tut? Wir kennen sie doch überhaupt nicht.«
»Ich fühle mich langsam schlecht, weil ich diese Hochzeit so kurzfristig angesetzt habe«, gestand Lilo. »Der Ort ist auch etwas seltsam. Auf der Internetseite hat alles viel freundlicher ausgesehen.« Als sie Axel und Lilo zum Wagen begleitete, hatte Veronika noch dazu gestanden, dass es die erste Hochzeit war, die sie ausrichtete.
Axel wollte Lilo die Sorge nehmen. »Wir sind ungewöhnliche Menschen und deshalb kann das Ganze ein unvergessliches Abenteuer werden. Auf jeden Fall besser, als auf einem normalen Standesamt zu heiraten und in einem normalen Restaurant Gäste zu empfangen, mit denen man gar nicht feiern will.«
Da musste Lilo ihm recht geben. »Außerdem tun wir eine gute Tat, denn die Eltern Wunderer sind alles andere als freundliche Menschen. Wir können das Selbstbewusstsein ihrer Tochter ein wenig aufbauen, denn unsere Hochzeit wird ein Erfolg.«
»Du hast normalerweise nie so plötzliche Ideen und Entschlüsse.« Axel musterte Lilo von der Seite. »Wieso machst du ausgerechnet bei unserer Hochzeit eine Ausnahme?«
Lilo überging die Frage. »Bitte hör auf, mich so anzusehen. Ich kann deinen Blick spüren und das irritiert mich.«
Axel gab auf. Lilo wollte nicht antworten und aus Erfahrung wusste er, dass weiteres Befragen keinen Sinn hatte.
Etwas Wichtiges fiel Lilo ein. »Ich schicke Veronika Wunderer auf jeden Fall eine E-Mail. Sie muss diesen Hirschkopf von der Wand nehmen, wenn Poppi kommt. Und die Lady darf nicht in Pelzmantel und -kappe erscheinen.«
Poppi war nicht nur Tierärztin, sondern auch eine leidenschaftliche Tierschützerin, die energisch für ein Verbot von Pelztierfarmen eintrat.
»Gute Idee«, stimmte Axel zu. Noch immer konnte er sich nicht erklären, wieso Lilo ohne ihn zu fragen diese überstürzte Entscheidung für die Hochzeit im Schnee getroffen hatte. Was steckte dahinter?
DER MANTEL DES TODES
Wie es sich wohl anfühlte, zu sterben?
Wie es wohl war, den letzten Atemzug zu tun und die Augen für immer zu schließen?
Würde Leiden vorangehen?
Gab es Schmerzen, wenn keine Waffe im Spiel war?
War der Tod wie ein schwarzer Mantel, der einem umgehängt wurde und den man nicht mehr ablegen konnte?
Nur noch sechs Tage, dann würde es Antworten auf diese Fragen geben.
Es war schade, dass eine Hochzeit durch einen Todesfall gestört werde würde. Aber manchmal gab es Dinge im Leben, die einfach unabänderlich waren. In diesem Fall war das Sterben wichtiger als das zukünftige Glück von Unbekannten.
Wobei es ohnehin fraglich war, wie viel Glück eine Heirat brachte. Da die Hälfte aller Ehen wieder geschieden wurde, war eine Hochzeit mit einem Roulettespiel zu vergleichen, bei dem nur auf Rot oder Schwarz gesetzt wurde. Die Chance, zu gewinnen, stand 1 : 1.
Wie sollte man den Tod nennen, der sich ereignen würde? War es ein »süßer Tod«? Oder ein »Unglücksfall«?
Die Lebensuhr eines Menschen tickte unaufhaltsam. Sprangen die Zeiger auf Null, so war es vorbei.
Tick. Tack.
Noch 144 Stunden.
Tick. Tack.
Nur noch 143 Stunden, 59 Minuten und 50 Sekunden.
Tick. Tack. Tick. Tack.
Aber manchmal kommt es anders, obwohl man alles so haarklein geplant hat.
BEDENKEN
Klaus