An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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Engführung und erweckt den Verdacht einer heteronomen Außensteuerung intimster menschlicher Realitäten, die den komplexen Wirklichkeiten von Ehe, Familie und überhaupt partnerschaftlichen Beziehungsstrukturen nicht gerecht wird.

      Vom 12. Jahrhundert bis zum II. Vatikanum war bekanntlich für das innerkirchliche Verständnis der Ehe die Vertragstheorie prägend, also eine juridische Kategorie. Eine personale Beziehung brauchte dazu nicht vorhanden zu sein: Der Ehekonsens konstituierte einen Vertrag, der zentral das lebenslange und ausschließliche „Recht auf den Körper des anderen zum Zwecke der Zeugung“ umfasste. Wer dieses Recht darüber hinaus anderen einräumte, beging Vertragsbruch und handelte schwer sündhaft. Diese Lehre ist bis heute die kaum modifizierte Grundlage der kirchenrechtlichen und lehramtlichen moraltheologischen Normierungen. Das Recht der Verheirateten auf intime sexuelle Beziehungen wird dabei isoliert von aller personaler Beziehungsrealität als Herrschaftsrecht – meistens wohl zu Lasten der Frau – definiert. Dies entspricht nicht jenem Verständnis intimer Beziehungen, wie es heute vorherrscht. Die differenzierte Ehelehre des II. Vatikanums ist hier weiter, sie wurde in der nachkonziliaren Entwicklung kirchenrechtlich aber nicht wirklich wirksam.

      Die katholische Ehe- und Familientheologie berührt auch den Sakramenten- und Gottesbegriff in durchaus problematischer Weise. Sie definiert(e) gemäß der Vertragstheorie klassisch den „Eheabschluss“ als „Sakrament, nicht aber das nachfolgende Eheleben.“150 Sie stellt damit das Leben wiederverheirateter Geschiedener oder auch nichtverheiratet Zusammenlebender unter dauernde Sündhaftigkeit und damit Gottes voraussetzungslose Barmherzigkeit, die seine Gerechtigkeit nicht aufhebt, sondern darstellt,151 in der Praxis kirchlicher Nicht-Vergebung in Frage. Obwohl die katholische Ehetheologie die Ehe als Sakrament, also als wirksames Zeichen der Gnade Gottes bestimmt, Gottes Gnadenwirksamkeit also gerade in diesem Sakrament bis in die oft mühsame Alltäglichkeit hinein zuspricht, wird das Scheitern einer Ehe von Gottes Zuwendung – zumindest im Bereich der Lehre – nicht noch einmal umfangen.

      Anders als Gottes Liebes- und Gnadenzusage sind Liebes- und Gnadenzusagen des Menschen aber gefährdet, endlich und stets hilfsbedürftig. Die Schuldgeschichte, die im Übrigen jede, auch die beste Ehe ist, kann, im Unterschied zu anderen Schuldgeschichten, von der Kirche im Falle ihrer Eskalation nicht noch einmal in Gottes verzeihende Zusage hinein aufgehoben werden. Jesu befreiende Gnadentaten, Grundlage allen sakramentalen Handelns der Kirche, zeichnet aber zweierlei aus: die reale, zeichenhafte Erfahrbarkeit der Nähe des Gottesreiches sowie die Tatsache, dass diese Zusage gerade an sündige Menschen zugesprochen wird: Sie sind praktischer Vollzug des anbrechenden Gottesreichs. In der katholischen Ehelehre wird der ersten, gescheiterten Ehe die (bleibende) Sakramentalität zugesprochen, wiewohl ihre Erfahrungsrealität ganz anders ist, während eine eventuell zweite Verbindung, obwohl vielleicht beziehungs- und lebensintensiv, kategorisch unter Sündhaftigkeit gestellt wird. Erfahrung und Sakramentalität weichen mithin massiv auseinander.

      Die katholische Ehe- und Familienlehre neigt schließlich zu pastoral- (und selbst moral-)theologisch schwer nachvollziehbaren „Alles oder Nichts“-Standpunkten: Fast alles in der Ehe ist legitim, aber fast nichts außerhalb der Ehe ist es. Scheitert eine Ehe, ist aber weder das Leben insgesamt gescheitert, noch bedeutet Scheitern hier, dass überhaupt keine Treue mehr gelebt oder dass das angestrebte Ideal nun überhaupt nicht verwirklicht werden könnte. Jemand, der in der definitiven Treue zu einer Lebensform gescheitert ist, scheitert in vielerlei anderer Hinsicht nicht: anderen Menschen gegenüber, aber selbst seinem ehemaligen Partner gegenüber nicht, dem gegenüber er ja auch weiter spezifische Verpflichtungen hat. Zudem ist zwischen Scheitern und Schuld zu unterscheiden. Die Gründe für das Scheitern einer Treuebeziehung fallen in ganz verschiedenem Ausmaße in die freie Verantwortung des Einzelnen, sind also in ganz verschiedenem Ausmaße seine Schuld. Diese gibt es natürlich, aber ihre Klärung bleibt zuletzt Gott vorbehalten. Was an einer scheiternden Bindung hat der Einzelne, was sein Partner, was auch die Gemeinschaft zu verantworten, die etwa zu wenig Hilfe und Unterstützung gab?

      In der katholischen Ehetheologie zeigt sich auch, und das berührt nun den Grundlagenbereich der Pastoraltheologie, eine tendenziell vorkonziliare Verhältnisbestimmung von Pastoral und Dogmatik: Pastoral erscheint als (bestenfalls: gnädigerer) Anwendungsort dogmatischer Prinzipien. Demgegenüber gilt: Die Pastoral ist selbst ein Entdeckungsort der kirchlichen Lehre und mit ihr in einem wechselseitigen Erschließungsund Entdeckungsverhältnis. Pastoral meint nach dem II. Vatikanum das evangeliumsgemäße Handlungsverhältnis der Kirche zur Welt im Ganzen.152 Sie umfasst die gesamte Handlungs- und Erfahrungsseite der Kirche und ist selbst ein theologischer Ort und für die Kirche konstitutiv. Pastoral ist keine äußerliche Erscheinung der Kirche, sondern ihre Handlungsmacht in der Zeit.

      Im Umgang mit den völlig neuen Beziehungskonstellationen unserer Gesellschaft zeigt sich, welche Relation zwischen Dogmatik und Pastoral man im Kirchenbegriff ansetzt: Hat die pastorale Erfahrung selbst dogmatisches Gewicht, oder ist sie unerheblich gegenüber der Lehre? Hat die Kirche in ihrer Geschichte auch etwas zu lernen oder nur zu lehren? Haben die Menschen ihr etwas zu sagen, oder braucht sie nicht auf sie zu hören?153

      Das Konzil entscheidet sich grundsätzlich für die erste Alternative, die nachkonziliare katholische Ehe- und Familienlehre nimmt dies, vor allem in ihren kirchenrechtlichen Konsequenzen, weitgehend zurück. Sie billigt der pastoralen Wirklichkeit keine Erschließungskraft für die Lehre zu. Demgegenüber gilt es, so Ottmar Fuchs, „die inhaltliche Botschaft, die von den wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen ausgeht, aufzufinden.“154

       3.2 Perspektiven

      Pastoral kann keine Kompromisse eingehen, wenn es um die Solidarität mit den Leiden und Freuden der Menschen (vgl. Gaudium et spes 1) geht – und kaum irgendwo sind heute Freuden und Leiden intensiver und unberechenbarer als in Ehe, Familie und all dem, was um sie herum an Beziehungsformen existiert.155 Katholische Familien- und Ehepastoral hat grundsätzlich allen Menschen in allen Beziehungs- und Lebenssituationen ihre konkrete Hilfe und Begleitung anzubieten. An vielen Orten der katholischen Ehe- und Familienpastoral, so etwa in den Beratungsstellen der Caritas, in den Bildungsangeboten von Akademien und Familienbildungsstätten, geschieht das auch, nicht zuletzt unter kompetenter und erfahrungsnaher Mitwirkung von PsychologInnen.156 Sie verwirklichen, was für alle Orte der Pastoral gelten muss: Nicht die moralische Kommunikation, sondern die pastorale Aktion ist der primäre Zugang der Kirche zu den Menschen von heute. Das setzt die grundsätzlichen Ziele der kirchlichen Lehre nicht außer Kraft, gibt ihnen aber einen neuen Horizont.

      Dieser spezifisch konziliare, also pastorale Zugang hätte einige Konsequenzen. Anders als der Synodenbeschluss, der nur einige wenige, eher summarische, nicht immer von typisch kirchlichem Kulturpessimismus freie Äußerungen zur realen Lage von Ehe und Familie enthält, müsste ein heute pastoral anschlussfähiger Diskurs zu Ehe und Familie von den tatsächlichen Erfahrungen des Volkes Gottes mit seinen Versuchen, Ehe, Familie, aber auch andere familiennahe Lebensformen zu leben, ausgehen. Notwendig wäre also, die Erfahrungen des Volkes Gottes mit Ehe-, Familien- und Beziehungsrealitäten wahr- und ernstzunehmen.157 Dabei müsste schon das Thema anders gefasst werden. Gerade wem es um die „christliche gelebte Ehe und Familie“ geht, muss es heute um mehr gehen: um die Realität heutigen Beziehungsgeschehens überhaupt. Und man bräuchte eine andere Sprache als jene, die den lehramtlichen Diskurs prägen: die des Rechts und der idealistischen Überhöhung.158

      Die personalistische Aufladung der alten, primär juridisch verfassten Ehelehre, wie sie nachvatikanisch innerkirchlich die Diskurse beherrscht, ist jedenfalls kein hilfreicher Weg. Das II. Vatikanum versteht in seiner Pastoralkonstitution die Ehe zwar als Liebesgemeinschaft und vertieft dies theologisch, indem es die eheliche Partnerbeziehung als alltäglichen Lebenshorizont der Christusbeziehung, ja als personale Konkretion des Neuen Bundes versteht. Gaudium et spes „holt“ damit „in Sprache und Beschreibung die Intimisierung der Familie und zumal der Ehe nach“159, wie sie

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