An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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heißt Treue, was heißt treue Lebensgemeinschaft in Zeiten notwendig individualisierter Lebensführung? Bietet die Kirche Orte, wo dies, nicht erst im Falle der Krise, sondern im Normalfall besprochen und – wichtiger noch – gelebt und entdeckt werden kann? Gibt es Experimentierorte für neue Lebensformen in der Kirche? Und: Welche Lehre unseres Glaubens hilft dies zu verstehen und zu leben und welche Lehre unseres Glaubens eröffnet Sinn und Bedeutung dieser Erfahrung?

      Wo werden die konkreten Zusammenlebensprobleme von Partnern und Familien besprochen? Wo ihnen geholfen, mit Ideen und Vorbildern? Und das jenseits des Idealmodells? Johannes Huinink hat in seinem Referat vor der Deutschen Bischofskonferenz 2008 darauf hingewiesen, dass die Kirche außerordentlich hilfreich wirken könnte, wenn sie mitwirken würde, die Kluft zwischen familialen und nicht-familialen Handlungsräumen170 zu überbrücken. Menschen heute wollen beides und brauchen beides: den familialen Nahraum wie den intermediären Raum darum herum; in früheren Zeiten war beides allemal integraler verbunden.

      Und: Gilt die Botschaft der Liebe und der Treue nur innerhalb der Idealform Ehe? Wo ein vermachteter, verrechtlichter Diskurs über all diese Themen in der Kirche dominiert, gibt es zu wenige Orte, wo das Volk Gottes erkunden kann, was die Botschaft Jesu von der Treue und der Kreativität der Ehe und des Zusammenlebens heute bedeutet.

      Und dann bleibt ein Letztes: sacramentum. Augustinus meinte damit einerseits das Eheversprechen in Analogie zum Treueversprechen gegenüber Gott in der Taufe und andererseits war ihm die Liebe der Ehegatten zueinander ein Zeichen auf das Mysterium der Liebe Christi zu seiner Kirche inklusive von deren Unkündbarkeit.

      Auf der Basis des Ursakraments, das Jesus Christus ist, und des sakramentalen Grundauftrags der Kirche, Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu den Menschen zu sein (Gaudium et spes 45), gibt es einen sakramentalen Auftrag der Kirche für alle Menschen und für jene, die sich lieben, allemal; für jene, die in ihrer Liebe gescheitert sind, aber ganz besonders. Denn das Christentum ist eine gute Botschaft besonders für die Leidenden.

      Regina Ammicht Quinn hat auf dem Symposium „Sehnsucht, Ohnmacht und Ekstase. Gott und die Lebensformen des 21. Jahrhunderts“ an der theologischen Fakultät Graz171 drei Fragen gestellt, die Kirche an und mit heutigen Lebensformen bearbeiten muss: Wer sind wir Menschen in solch bewegten und beweglichen Zeiten? Wie geht gut(es) Menschsein? Und: Was sind die theologischen „Zeichen der Zeit“ jener Lebensformen, die Menschen in ihrer Sehnsucht nach intimer und kreativer Nähe heute (ver-)suchen?

      Pastoral der Lebensformen, das hieße für kirchliches Handeln, Menschen zu helfen, die Liebe an einem ihrer schönsten und ekstatischsten, gefährdetsten und unvermeidlichsten Orte zu leben. Es hieße, ihnen zu helfen, die eigene Lieblosigkeit und jene des Partners auszuhalten, es hieße, ihnen zu helfen, verzeihen zu können und Verzeihung annehmen zu können, es hieße, ihnen zu helfen, sich der eigenen Schuld zu stellen, dem anderen nie das geben zu können, was er verdient und was man sich von ihm paradoxerweise erhofft. Es hieße, endlich aufzuhören mit den unrealistischen Diskursen über Ehe und Familie, unrealistisch in idealistischer Überhöhung wie rechtlicher Normierung.

      Und es hieße, das, wofür man steht, Treue, Kreativität und den Glauben an die Unverbrüchlichkeit von Gottes Liebe, in heutigen Zeiten und ihren Lebensformen zu entdecken.

       DIE MACHT DER FRAUEN UND DIE OHNMACHT DER KATHOLISCHEN KIRCHE

       Zum Ausklingen der patriarchalen Definitionsmacht

       1 Die Situation

      Bereits 1993 hat eine Untersuchung der Deutschen Bischofskonferenz beunruhigende Entwicklungen festgehalten. 1982 hatten noch 40 Prozent der deutschen Katholikinnen eine enge Beziehung zur Kirche, 1992 waren es nur noch 25 Prozent. Die Mehrzahl der Katholikinnen sieht mittlerweile in der Institution Kirche eine „Männerkirche“, die sich für die Anliegen und Probleme der Frauen weder interessiert, noch Verständnis für sie aufbringt.172

      Trotzdem liegt der Anteil der Frauen unter den KirchgängerInnen noch immer über jenem der Männer. Die zentral in den Gemeinden Engagierten sind nach wie vor vorwiegend Frauen: Sie arbeiten haupt-, neben- und ehrenamtlich in den Bereichen religiöser Erziehung und Katechese, engagieren sich pfarrlich in diversen Arbeitskreisen und Aktionen sowie in sozial-diakonischen und liturgischen Zusammenhängen. Eine Untersuchung am Institut für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie in Graz hat dies 2005 auch für die Steiermark belegt.173

      Keinen Zugang hingegen haben Frauen aber bekanntlich zur Ordination und deshalb zur umfassenden Leitungsvollmacht. Es bleiben also den engagierten katholischen Frauen ihr gelebtes Christsein, ihr Engagement in der Alltagsseelsorge, ihre Frömmigkeit (und deren Weitergabe), viele untergeordnete und wenige einzelne Leitungsaufgaben, den Männern aber die definitorische und institutionelle Macht.

      Dass der Aufbruch aus dieser Rollenaufteilung – „eine von Männern geleitete Frauenkirche“ – nur eine Frage der Zeit sein wird, steht fest:

      In dem Maße, wie die Angehörigen der älteren Generation versterben, wird auch der Geschlechterunterschied in der Kirchlichkeit verschwinden, so wie er heute schon in der Nachkriegsgeneration und in den Groß- und Mittelstädten weitgehend verschwunden ist. Damit endet der im letzten Jahrhundert begonnene Prozeß der Feminisierung der Kirchen, ohne jedoch an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Denn die Kirchenbänke, die die Frauen vakant in den Kirchen zurücklassen, werden nicht von Männern aufgefüllt. Die Entfeminisierung der Kirchen ist nicht mit einer „Re-Maskulinisierung“ gepaart; sie ist vielmehr generelle Entkirchlichung.174

      Wie kam es dazu?

       2 Die neue Ordnung der Geschlechter

      Die Menschen haben zweitausend Jahre gebraucht, um die Schreckensbotschaft „all men are equal“ in ihren Konsequenzen auch nur zu erahnen. Noch nicht einmal eine historische Sekunde lang, nämlich zwei Jahrzehnte, beginnt ihnen die noch völlig unabsehbare Katastrophe zu dämmern: „and women are equal too“!175

      Was Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim hier so schön auf den Begriff bringen, meint schlicht: In unserer Gesellschaft herrscht eine neue Ordnung der Geschlechter, und nichts ist hier mehr so, wie es noch vor kurzem war.

      Die neue Lage ist ebenso einfach zu beschreiben wie komplex in ihren Ursachen und völlig unübersehbar, und dies im doppelten Sinn des Wortes: unüberblickbar und (eigentlich) nicht zu übersehen. Festzuhalten ist dabei zuallererst: Männer und Frauen werden gegenwärtig „freigesetzt aus den zur Natur verklärten ständischen Schalen des Geschlechts“176. Das klingt einfach, ist aber schlicht eine Revolution. Diese kulturelle Revolution, in ihren Auswirkungen wohl nur vergleichbar mit der Freisetzung aus den ständischen Gehäusen der vormodernen Gesellschaftsordnung, führt zu nichts weniger als einer völligen „Neuchoreographie der Geschlechter“177. Diese aber betrifft nun einmal so ziemlich jede und, wenn es auch noch nicht alle wahrhaben wollen, jeden.

      Die neue Ordnung der Geschlechter ist vor allem nicht (mehr) nur ein intellektuelles und daher marginalisierbares politisches Phänomen, wie es die sogenannte Erste Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts weitgehend war, als es um die politische Forderung nach gleichen Rechten für Frauen, vor allem Wahl- und Bildungsrechten, ging. Sie ist vielmehr ein umfassendes (psycho-)soziales Phänomen geworden.

      Die Alltagswirklichkeit und eben nicht nur das Selbstverständnis der halben Menschheit haben sich seit einigen Jahrzehnten dramatisch verändert. Diese dürfte auf lange Sicht die einschneidendste kulturelle

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