An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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der Menschenwürde, der, wie der Papst nicht ohne Stolz hinzufügt, „vielleicht rascher geschieht bei christlichen Völkern“190.

      Sollte sich die katholische Kirche auf die Suche nach den Resten ihrer verlorenen Definitionsmacht des Geschlechterverhältnisses konzentrieren, wird sie darüber alle Autorität verlieren. Die neue Ordnung der Geschlechter markiert offenbar das Ende des sanktionsbewährten machtförmigen Zugriffs der Kirche noch auf das letzte der ihr gebliebenen menschlichen Existenzfelder – und damit vielleicht den unumkehrbaren Anfang ihrer neuen Form. Womöglich würde dann die Kirche am Ende der klassischen Moderne nach zweitausendjähriger Geschichte endlich zum Anfang dessen kommen, wo ihr Gründer am Ende seines Neuanfangs bereits war.

       4.2 Was heute schon möglich ist

      Da nicht anzunehmen ist, dass die gegenwärtig gültigen kirchenrechtlichen Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt in absehbarer Zeit geändert werden, bleibt die Frage: Was tun? Möglich, auch unter den geltenden Bedingungen, und unbedingt notwendig scheinen mir repräsentative Sichtbarkeit, basisorientierte Öffentlichkeit und balancierte Kirchlichkeit.

       a. Repräsentative Sichtbarkeit

      Die katholische Kirche sollte alles daran setzen, Frauen sichtbar in Leitungspositionen zu bringen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Immerhin gibt es bereits Pastoralund Schulamtsleiterinnen, Ordinariatsrätinnen und Personalchefinnen.191 Das hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben. Viele von ihnen widerlegen schlicht durch ihre Existenz und Kompetenz patriarchale Stereotypen.

       b. Basisorientierte Öffentlichkeit

      Die katholische Kirche sollte weiterhin intensiv daran arbeiten, Orte reversibler und aufmerksamer religiöser Kommunikation jenseits des alten, tendenziell repressiven religiösen Diskurses zu schaffen. Der Rückzug der Priester aus der Fläche etwa, so bedauerlich er ist, macht Räume frei für Laien, also auch und besonders für Frauen. Dies sollten Frauen entschieden nutzen zur Gestaltung von kommunikativen Räumen, die von ihnen geprägt sind.

       c. Drittens, und am heikelsten: balancierte Kirchlichkeit

      Offenkundig gibt es schon heute in der katholischen Kirche so etwas wie eine „Kirche der Frauen“ und sie wird von den älteren wie, wenn auch mit geringerem Anteil, auch von jüngeren Frauen gebildet. Gerade manche ältere Frauen haben sich ihren Ort in der Kirche und ihren Ort von Kirche geschaffen. Frauen scheinen sich dabei zunehmend frei zu machen von der Leitungsautorität und ihre eigene, frauendominierte kirchliche Erfahrungswirklichkeit zu gestalten.

      Die „Kirche der Frauen“ ist eine Zumutung für die patriarchale Kirche, denn jene ist neu und ungewohnt für diese, sie weiß nicht mit ihr umzugehen und kann sich zu ihr nicht in ein kreatives Verhältnis setzen. Die patriarchale Kirche ist aber auch eine Zumutung für die „Kirche der Frauen“, denn jene schätzt sie nicht, gibt ihr keine Macht und neigt dazu, ihre personale Ernsthaftigkeit, religiöse Qualität und evangelisatorische Potenz zu unterschätzen.

      Die „Kirche der Frauen“ ist aber auch eine unausweichliche Größe für die patriarchale Kirche, denn ohne jene ist sie nicht zukunftsfähig, kann sie das Evangelium bei den Frauen nicht verkünden und noch weniger entdecken und letztlich ihre eigene Existenz nicht sichern. Die patriarchale Kirche ist aber auch eine unausweichliche Größe für die „Kirche der Frauen“, denn diese entstammt jener, teilt mit ihr viele Traditionen und kann sich nur mit Bezug auf sie ihrer eigenen Herkunft versichern.

      Hildegard Wustmans, frühere Dezernatsleiterin in der Diözese Limburg und jetzt Pastoraltheologin in Linz, hat in ihrer Grazer Habilitationsschrift192 die Kategorie der „Balance“ vorgeschlagen, um das Verhältnis der „Kirche der Frauen“ zum traditionellen kirchlichen Raum zu beschreiben. Balancen sind heikle Angelegenheiten und für sie sind immer beide Seiten verantwortlich. Sie gehen leichter verloren, als man sie einrichtet, und sie sind nie gesichert. Zudem sind sie anstrengend. Hat man sie aber einmal gefunden, ermöglichen sie das schier Unmögliche: Dinge ins Schweben zu bringen, die ständig zu kippen drohen – und dann einfach liegen bleiben.

      Es geht nicht um Utopien, sondern, mit einem Begriff von Foucault, um Andersorte, Heterotopoi.193 Das sind, anders als Utopien, Orte, die es tatsächlich gibt, die aber eine Differenz zu ihrer Umgebung setzen und dadurch verschämte oder verschwiegene Wahrheiten ans Licht bringen. Bei Foucault sind Friedhöfe und Bordelle klassische Heterotopoi. Sie sind ausgegrenzt und bringen verschwiegene Wahrheiten ans Licht: hier etwa die Unausweichlichkeit und also Macht des Todes wie der Sexualität.

      Solche Orte gibt es schon. Man sollte sie nicht verstecken, sondern ausstellen und herzeigen. Denn sonst sprechen sie nicht, obwohl sie viel zu sagen hätten.

TEIL II: SOZIALFORMEN

       1935 – 1970 – 2009

       Ursprünge, Aufstieg und Scheitern der „Gemeindetheologie“ als Basiskonzept pastoraler Organisation der katholischen Kirche

       1 Gemeindetheologie: Definition und Charakteristika

      Die katholische Kirche Deutschlands – und in anderer Form auch die evangelische – bewegt seit einiger Zeit kaum etwas mehr als der ressourcenbedingte Umbau ihrer pastoralen Basisstruktur. Die Konfliktlinie verläuft dabei im Wesentlichen zwischen den Anhängern der „Gemeindetheologie“ und den Pastoralplanern der Seelsorgeämter, die, so jedenfalls im katholischen Bereich, die wenigen verbliebenen Priester auf einer höheren Ebene des kirchlichen Stellenkegels ansiedeln müssen und daher das lange propagierte Idealbild einer um den Pfarrpriester gescharten, überschaubaren, lokal umschriebenen, kommunikativ verdichteten Glaubensgemeinschaft auflösen.194

      So lange freilich existiert dieses gemeindliche Idealbild kirchlicher Basisorganisation im katholischen – und übrigens auch im evangelischen – Bereich noch gar nicht. Dessen Aufstieg ab 1970, sein Anfang in den 1930er Jahren, die Modifikationen, die es dabei durchmachte sowie die aktuelle Lage der Gemeindetheologie im Bereich der deutschsprachigen katholischen Kirche sollen im Folgenden nachgezeichnet werden. Es geht dabei primär um eine diskursive, nicht um eine soziale Größe, wenn auch der pastoraltheologische Diskurs seit Maria Theresias Gründungszeiten des Faches nicht mehr so erfolgreich gewesen sein dürfte wie bei der realen Durchsetzung der Gemeindetheologie als quasi selbstverständliche Normalform kirchlicher Basisverfassung.

      Gemeindetheologie meint dabei das, was Petro Müller, einer ihrer vehementesten Verteidiger, mit Blick auf ein prominentes Beispiel der Nachkonzilszeit, die Wiener „Machstraße“, in den programmatischen Satz zusammenfasst: „Überschaubare Gemeinschaften mündiger Christen sollten die anonymen Pfarrstrukturen aufbrechen und an ihre Stelle treten.“195 Zentrale Bezugsgröße der Kirchenmitgliedschaft ist in der Gemeindetheologie nicht mehr, wie eigentlich katholisch programmatisch üblich und in der Pianischen Epoche auch sozial weitgehend realisiert, die römisch-katholische Gesamtkirche mit dem Papst an der Spitze, sondern der überschaubare Nahraum einer kommunikativ verdichteten, letztlich nach dem Modell einer schicksalhaft verbundenen Großfamilie gedachten „Gemeinde“.

       2 Der Aufstieg: Gemeindetheologie 1970

      „Gemeinde“ ist im Horizont

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