An neuen Orten. Rainer Bucher

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und durchaus auch eine neue Wirklichkeit kommunikativer Gemeinsamkeit und Partnerschaft eingeübt. Gleichzeitig jedoch verlor die Gemeinde immer mehr ihrer realen Funktionen. Als nämlich die alte Pfarrerrolle im Professionalisierungsprozess der Pastoral in den 70er und 80er Jahren in ein Set von Hauptamtlichenberufen ausdifferenziert wurde, wanderten die sich professionalisierenden Handlungsfelder stets auch aus der Gemeinde aus, was zwar einen Differenzierungsfortschritt bedeutete, aber angesichts der unterkomplexen Gemeindetheologie ein reales, bis heute ungelöstes Integrationsproblem kirchlichen Handelns schuf,216 andererseits neo-integralistischen, klerikalistischen Reintegrationskonzeptionen zumindest partiell und vor allem in der Diskussion über „priesterliche Identität“ eine gewisse Schwungkraft verlieh.

       3 Die Ursprünge: Gemeindetheologie 1935

      Erfolgreich im Sinne realer, wenn auch ambivalenter Praxisrelevanz wurde die Gemeindetheologie im katholischen Bereich erst nach dem II. Vatikanischen Konzil, das übrigens selbst auf diesem Feld ausgesprochen zurückhaltend geblieben war, mit seiner Volk-Gottes-Theologie und seiner Betonung des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen aber zumindest partiell konvergent zu Intentionen der Gemeindetheologie ist. Die Ursprünge der Gemeindetheologie liegen aber auch im katholischen Bereich deutlich früher.

      In seinem 1979 erschienenen Buch „Wie wird unsere Pfarrei eine Gemeinde?“ hatte Ferdinand Klostermann die Bildung „lebendiger Zellen“ innerhalb der Pfarrei gefordert. Der Zusammenschluss dieser „lebendigen Zellen“ sollte dann die „Lebendige Gemeinde“ bilden. Diese Forderung findet sich praktisch wortgleich bereits in den „Richtlinien für die Katholische Aktion“, die der Wiener Kardinal Theodor Innitzer (1875-1955) 1934 ausgegeben hatte. Dort heißt es:

      Um die Gesamtheit der Gläubigen zu erreichen, soll in jeder Pfarre die Zellenarbeit durchgeführt werden. Sie besteht darin, daß in planmäßiger Auswahl der Laienapostel die ganze Pfarre durchorganisiert wird. Durch diese Laienapostel ergibt sich die lebendige Verbindung zu allen Familien und Gliedern der Pfarre. Die einzelnen Laienapostel, die den Kern einer Zelle bilden, sind durch ständige Schulung und Anregung in eifriger Tätigkeit zu erhalten.217

      Zeitlich befinden wir uns zu Beginn des Österreichischen Ständestaates.218 Das ist mehr als eine zeitliche Koinzidenz. Den Beteiligten ist der Zusammenhang durchaus bewusst. Der Wiener Prälat Dr. Karl Rudolf (1886-1964), erster Leiter des 1931 geschaffenen „Wiener Seelsorge-Instituts“, reflektiert im „Jahrbuch der katholischen Aktion Österreichs“ des Jahres 1935 ausdrücklich auf diese Zusammenhänge von staatlichen und kirchlichen Entwicklungen, innerhalb derer insbesondere die IV. Wiener Seelsorgertagung vom 2. bis 4. Januar 1935 eine zentrale Rolle gespielt hatte. Die von Dollfuß am 1. Mai verkündete neue Verfassung stelle, so Rudolf,

      den durchaus ernsten Versuch dar, mitten im Herzen des entchristlichten, um nicht zu sagen entgotteten Abendlandes auf der Grundlage der in der Enzyklika Quadragesimo anno gegebenen kirchlichen Lehrweisungen einen christlichen Staat, eine wesentlich christliche Volksgemeinschaft aufzubauen. Dieses … säkulare Wagnis kann nur gelingen, wenn sich im österreichischen Volke lebendigstes, blutvolles Christentum findet, das den Paragrafen der Verfassung das entsprechende wahrhaft christliche Leben als wesentliches Aufbauelement zur Verfügung stellt.219

      Die Organisationsform dieses „lebendigsten, blutvollen Christentums“ aber sollten nicht die traditionellen katholischen Vereine, sondern die „Katholische Aktion“ sein, deren zentrales Organisationselement aber war die Gemeinde. Oder wie es auf der bereits erwähnten IV. Wiener Seelsorgertagung im Januar 1935 hieß: „Das Königreich Christi im kleinen … ist die Pfarrgemeinde.“ Und der jugendbewegte Referent fährt fort:

      Ja, wir bauen am glücklichen Land der Pfarrgemeinde und des Vaterlandes! Damit ist die große einheitliche zeitgegebene Linie unserer Jugendbewegung gezeichnet in den Worten: Ein Führer! Ein Zeichen! Ein Reich! Oder: Christus – unser oberster Führer! Sein Zeichen – unser Zeichen! Sein Führer- und Königreich – die Pfarrgemeinde!220

      Pius XI. hatte in seiner ersten Enzyklika Ubi arcano 1922 die „Katholische Aktion“ als durchaus neue Organisationsidee der katholischen Kirche propagiert und empfohlen. Es ging darum, die Laien und ihren Einsatz für die Kirche in neuer Weise zu aktivieren. Dieser Ansatz enthielt eine charakteristische Doppelbotschaft. Einerseits wurde der Status der Laien aufgewertet, denn ihre Tätigkeiten wurden als relevant für die Existenz von Kirche, vor allem für das Ziel von deren „Aktivierung“ und „Verlebendigung“ angesichts drohender Säkularisierungstendenzen erkannt und anerkannt. Andererseits wurde jede Laienaktivität strikt unter hierarchische Leitung gestellt und als untergeordnete „Mitarbeit“ am Apostolat der Kirche, die im eigentlichen Sinne der Klerus und nur er repräsentierte, charakterisiert und damit begrenzt.

      Dieses Konzept wurde deutlich als (anti-liberales) Nachfolgekonzept zur im deutschsprachigen Bereich dominierenden Organisation des Katholizismus in katholischen Vereinen verstanden.221 Freilich: Lange änderte sich, übrigens auch in Österreich, erst einmal praktisch nichts. Im November 1927 musste Pius XI. die österreichischen Bischöfe, die zu ihrer jährlichen Herbstkonferenz in Wien zusammengekommen waren, mit Nachdruck an seinen Wunsch nach Errichtung einer „Katholischen Aktion“ erinnern und jetzt erst kam man auch dem päpstlichen Wunsch zumindest offiziell nach. Am 15. Dezember 1927 proklamierte der Wiener Kardinal Friedrich Gustav Piffl im Festsaal des Wiener Priesterseminars feierlich die „Katholische Aktion“ der Erzdiözese Wien – nicht ohne freilich gleich hinzuzufügen, dass eigentlich nichts wirklich Neues geschaffen werden müsse, denn alle Elemente der „Katholischen Aktion“ existierten doch bereits seit längerem auch so schon. Das war natürlich weniger als die halbe Wahrheit.

      Das zeigte sich, als im Herbst 1932 Innitzer Nachfolger von Kardinal Piffl wurde. Höhepunkt seines ersten Bischofsjahrs war der „Allgemeine Deutsche Katholikentag“, der vom 7. bis 12. September 1933 in Wien stattfand, allerdings wegen Reiseschikanen nur von sehr wenigen Deutschen besucht werden konnte und so de facto ein österreichischer Katholikentag wurde.222 Im Zuge der Nachbereitungen dieses erlebnisintensiven religiösen Großereignisses wies Innitzer einen Kreis jüngerer Kleriker um Karl Rudolf und Leopold Schmid, viele geprägt vom „Bund Neuland“, an, „sich durch eine Anzahl geistig führender Laien zu ergänzen und möglichst konkrete Vorschläge zu erstatten für den Neuaufbau einer Katholischen Erzdiözese aus dem Geist und der Kraft des Katholikentages“223.

      Im Rahmen des von Karl Rudolf geleiteten „Wiener Seelsorge-Instituts“ bildete sich daraufhin eine spezielle Arbeitsgemeinschaft „Katholische Aktion und Pfarrgemeinde“. Jetzt erst setzte sich die eigentlich für die „Katholische Aktion“ konstitutive Idee durch, sie nicht als reine Zusammenfassung katholischer Vereine, sondern als völlig neue Bewegung zu verstehen und zu errichten. Das zielte auf nichts weniger denn einen wirklichen Systemwechsel in der pastoralen Basisorganisation. Bis dorthin hatte sich katholisches Laienleben auch in Österreich vor allem in den nach 1848 gegründeten Vereinen abgespielt, die „Pfarre“ war gerade in Folge des Josephinismus vor allem ein „Amt“, an das man sich bei Bedarf, und möglichst nur dann, wandte wie an ein anderes Amt. Zumindest konzeptionell wurde die pastorale Basisorganisation nun radikal auf das Projekt einer explizit gemeinschaftsbezogenen „Pfarrgemeinde“ umgestellt.

      „Nur die Organisationsidee der Pfarrgemeinde allein ist ein wirklich Ganzes, ein ideelles, natürliches und übernatürliches, territoriales und einheitliches Ganzes“224 – so der bereits zitierte Referent zur Jugendpastoral P. Ferdinand Bruckner O.Cist auf der IV. Wiener Seelsorgertagung. Dieses Projekt zielt dabei auf nichts weniger denn auf umfassende, ja totale Erfassung der Gläubigen:

      Der Zeitgeist ist nun heute einmal aufs Totale, aufs Ganze gerichtet und tut am liebsten dort mit, wo totale Ideen in totalen Formen Gewähr für entscheidende allgemeine Neugestaltung bieten. Diesem Zeitgeist stehen

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