An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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Handlungslogik wurde konzeptionell nun eine verdichtete gemeindliche Innenwelt mit religiös aufgeladener Kommunikations- und Subjektrhetorik entgegengesetzt.

      Diese Gemeindetheologie unterbreitete drei attraktive Versprechen. Zum einen schien hier ein Ort der anspruchsvollen Konkretion des Christlichen gefunden, zweitens verbreitete sie die Hoffnung, in den Modernitätsstrudeln der Gegenwart mit anderen, ebenfalls gegenwartssensiblen Katholiken und Katholikinnen dies sein und vor allem bleiben zu können, drittens aber versprach sie, das alte repressive Katholizismuskonzept der Pianischen Epoche zu überwinden: respektable Dinge allesamt. Viele haben vieles in diese Hoffnung investiert – und es wäre vermessen zu sagen, sie hätte immer nur getrogen.

       2 Die geheimen Imperative der Gemeinde – und warum sich die Menschen ihnen verweigern

      Die Gemeinde forderte dafür freilich einiges. Im Wesentlichen ein Vierfaches: Man musste erstens „dazugehören“, zweitens „mitmachen“, drittens sich (zumindest zumeist) über seinen Lebenslaufstatus (Kind, Jugendliche/r, Mann, Frau, „Senior/in“) identifizieren lassen und schließlich die „Gemeinde“ als Selbstverständlichkeit akzeptieren. Es galten also ein Integrations- und ein Aktivitätspostulat, es wirkte, gemeindlich reformatiert, die alte Standespastoral nach und es herrschte eine institutionelle Selbstverständlichkeitswahrnehmung.

      Am charakteristischen Schlagwort dieser pastoralen Epoche – „Lebendige Gemeinde“ – ist nun eine fünfte, wahrscheinlich die grundlegende Eigenschaft der Gemeindetheologie abzulesen: ihr latenter Institutionalismus. „Lebendige Gemeinde“ als Zielgröße erklärt das Leben einer sozialen Größe zum obersten Zweck des eigenen Handelns, nicht das Leben ihrer Mitglieder259 oder gar das Leben ihrer Mitglieder aus und mit dem Evangelium. Ganz abgesehen davon, dass, wem ständig Leben eingehaucht werden muss, ungewollt zugesteht, permanent vom Hinsiechen bedroht zu sein.

      Nun beginnt sich freilich die Lage zu ändern. Allerdings nicht, weil einige wenige Pastoraltheologen beginnen, die Gemeindeideologie der 1970er Jahre mit der Realität zu vergleichen260 – das würde den aktuellen Einfluss der Pastoraltheologie weit überschätzen. Die Änderungen kommen nicht aus dem Diskurs, sondern aus der institutionellen Wirklichkeit. Es sind vielmehr die Pastoralämter mit ihren einschlägigen pastoralplanerischen Initiativen, die de facto den Pfarrpriester zunehmend wieder zu dem werden lassen, was er schon in der Spätantike war: der Kleinbischof einer ganzen Anzahl von Pfarreien mit primärer Sakramentenspendefunktion und oberster, in vielen Bereichen eher formaler Leitungsgewalt. Es bleibt den Pastoralämtern unter den gegebenen Bedingungen freilich auch gar nichts anderes übrig, denn den „Pfarrfamilien“ gehen die Väter aus und laufen die Kinder, vor allem die Töchter, davon.

      Generell gilt: Gemeinden werden zu dem, wozu religiöse Gemeinschaften in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften immer werden, so sie nicht das Alternativszenario der Versektung wählen: zu stets reversiblen und daher prekären Kundenzirkeln auf Freiwilligkeitsbasis. Die soziologischen Gründe hierfür wurden schon öfter analysiert. Sie laufen einerseits auf die Einsicht in die „lokale Entbettung sozialen Lebens“ hinaus: Soziale Identität wird immer weniger über lokale Beziehungen definiert. Unsere Nächsten sind nicht zuerst jene, die zufällig um uns herum wohnen, sondern jene, deren Nummer in unserem Handy gespeichert ist. Die vormoderne Identität von sozialem Beziehungsraum, lokalem Nahraum und gesellschaftlichem und zumeist auch kirchlichem Organisationsraum löst sich zunehmend auf.

      Zum anderen aber vergesellschaftet sich Religion in unserer Gesellschaft dramatisch neu: nicht mehr in geburtsabhängigen, also ständischen Schicksalsgemeinschaften, sondern marktförmig. Ein großer Teil der aktuellen Probleme der Kirche dürfte im Übrigen darin bestehen, dass sie diesen epochalen Kontextwechsel in ihrem konkreten Handeln weit gefügiger nachvollzogen hat als in ihren Reflexionsdiskursen, was zu einer unübersehbaren theoretischen, vor allem systematisch-theologischen Unterbestimmung ihres Handelns und zum Auseinanderklaffen eines marktkritischen theologischen Selbstverständnisdiskurses und eines marktförmigen Verhaltens führt. Dass eine Mehrheit der Kirchenmitglieder mittlerweile die Kirche schon ganz anders nutzt, als diese selbst es wünscht und vorschreibt, bleibt dann merkwürdig wenig beachtet, ja „unbekannt“.261

      Das alles gefällt der Kirche nicht sehr – im Übrigen mit einigem Grund. Aber sie wird nicht gefragt, ob es ihr gefällt, und es ist auch ziemlich irrelevant. Sie wird vielmehr gefragt, wie sie sich darin bewährt, oder besser und genauer: wie sie in dieser Situation das Evangelium in Wort und Tat präsentiert. Denn dafür ist sie da – und nicht umgekehrt das Evangelium für sie oder gar für eine ihrer sicherlich spannendsten und wichtigsten Sozialformen, die Gemeinde.

       3 Pastoral: Die „Summe und Pointe der Kirche“

      Es ist nicht selbstverständlich, wozu es Kirche gibt. Sonst müsste man es nicht immer wieder neu definieren. Das letzte Konzil hat es wieder getan, mit eindringlichen Formulierungen. Für das Konzil ist die Kirche „das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium 1) und darin ein „allumfassende(s) Sakrament des Heiles, welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (Gaudium et spes 45).

      Diese Bindung der Kirche an ihre sakramentale Sendung dezentriert Kirche aus dem Sog ihrer institutionellen Selbsterhaltung und verweist sie auf ihre existenzlegitimierende Aufgabe: die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat. Der quasi immanenten Häresie einer jeden religiösen Institution, der Selbstverwechslung mit dem, dem sie zu dienen hat, wird hier zielgerichtet ein aufgabenbezogenes Verständnis von Kirche entgegengesetzt. Kirche hat die Zusage, das Evangelium, also das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen authentisch zu verkündigen, sie hat aber auch diese Aufgabe tatsächlich zu verwirklichen.

      Pastoral ist nun aber genau das, was geschieht, wenn die Kirche ihre Aufgabe wirklich in Angriff nimmt, das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich zu offenbaren und zu verwirklichen. Pastoral genau so und nicht enger, weder nur als (Individual-)Seelsorge noch gar als rein priesterliches Tun, definiert zu haben ist einer der (vielen) Fortschritte des II. Vatikanischen Konzils und eines seiner großen Verdienste. Das Evangelium dieser Welt zu erschließen, indem sie es von den Menschen dieser Welt her entdeckt, dieses Entdeckungsgeschehen ist der Kern der Pastoral und das Kerngeschäft der Kirche. Alle Sozialformen in der Kirche sind dazu da. Die Kirche ist damit aber vor allem eines: Pastoralgemeinschaft.262

      Nicht die Gemeinde ist also die Summe und Pointe der Pastoral, und selbst die Kirche ist es nicht. Sondern die Pastoral ist die Summe und Pointe aller kirchlicher Sozialformen, auch der Gemeinde. Wer das umdreht, mit welchen guten Absichten auch immer, begibt sich auf den schiefen Weg des Institutionalismus und nimmt zugleich der Kirche den institutionellen Möglichkeitssinn, den sie heute so dringend braucht. Er arbeitet an der Rettung des Alten, wo es doch um die Möglichkeitsbedingungen von Pastoral heute ginge.

       4 Das Territorialprinzip und die Liturgie: Wo die Pfarrei Gott präsentiert

      Was bleibt dann aber der Pfarrei? Potentiell: alle Pastoral, die sie tun kann und gut tun kann. Also alles, was jenen Männern und Frauen, die sich in ihr versammeln, an Erschließung des Evangeliums aus dem Leben und des Lebens aus dem Evangelium möglich ist. Das kann an verschiedenen Orten ganz Verschiedenes sein – aber die Gläubigen vor Ort müssen es auch wirklich können. Dies könnte man die potentielle charismatische Omnipotenz der Gemeinde nennen: Was ihr geschenkt ist, soll sie verwirklichen – und auch verwirklichen dürfen. Aber was ihr nicht geschenkt ist, soll sie nicht machen müssen – mit zwei Ausnahmen, und beide sind gnadentheologisch begründet: Liturgie und Territorialpräsenz.

      Soziologisch

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