An neuen Orten. Rainer Bucher
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Ebertz’ Argumentation changiert stilistisch zwischen soziologischer Exaktheit und essayistischer Polemik. Dass Wohnraum, lokaler, sozialer und kommunikativer Nahraum sowie politischer und kirchlicher Organisationsraum unwiderruflich auseinander getreten sind, während sie früher mehr oder weniger deckungsgleich waren, dass die entwickelte Gesellschaft strukturell Individualisierung erzwingt, dass Einschluss immer auch Ausschluss bedeutet, dass wir nichts mehr genießen und besser beherrschen, als unsere Spuren zu verwischen, all dies ist ebenso unbestreitbar wie im gemeindetheologischen Konzept wenig reflektiert. Vor allem: Es ist auch in der Kirche Realität geworden, eine in den konkreten pastoralen Handlungsstrategien vielfältig akzeptierte und berücksichtigte Wirklichkeit.
Ebertz polemisiert und argumentiert gegen „linke(.) wie rechte(.) Romantizismen“288, und das mit allem Recht. Was aber will er dagegensetzen? Ebertz empfiehlt, dem Luhmannschen Modell der funktionalen Differenzierung als Basisprinzip der modernen Gesellschaft zu folgen:
Es ginge darum, die Pfarreien in funktionale Knotenpunkte eines größeren und vielfältigen pastoralen Verbundsystems zur differenzierten ‚Sammlung‘ und ‚Sendung‘ für Gläubige und Glaubenwollende zu verwandeln, um deren Anknüpfungschancen zu erhöhen und ihrem komplexen Verhältnis von Territorialität und Mobilität Rechnung zu tragen. Dieses Verbundsystem hätte noch andere Knotenpunkte der Sammlung und der Sendung,
wobei Ebertz dann auf diakonale oder kategorialpastorale Orte verweist. Es sei die Aufgabe dieser Knotenpunkte, „jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander (zu) verweisen“289.
Ebertz setzt dabei eine Reihe von wichtigen und folgenreichen konzeptionellen Unterscheidungen „Ich setze … begrifflich und sachlich voraus“, so Ebertz,
dass nicht jede … Bestätigungs- und Plausibilitätsbasis … des Glaubens gleichzusetzen ist mit „Gemeinde“, „Gemeinde“ nicht gleichzusetzen ist mit „Ortsgemeinde“ und „Ortsgemeinde“ nicht identisch ist mit „Pfarrgemeinde“.290
Ebertz verweist hier auf die diakonischen Orte, den Religionsunterricht und ähnliche nicht-gemeindliche pastorale Handlungsorte der Kirche. Es gelingt ihm so, die soziale Pluralität und damit die Gesamtheit kirchlichen Handelns in den Blick zu bekommen, eine gesamtpastorale Perspektive, die bei Werbick doch eher unterbelichtet bleibt, wie bei ihm generell die empirische Realität von Kirche hinter dem dogmatischen Diskurs (und den kirchenpolitischen Optionen) doch etwas verschwindet. Ebertz verweist immer wieder auf den „größere(n) pastorale(n) Verantwortungsraum mit einem breit gefächerten Panorama von Angeboten und Initiativen, die jeweils über sich hinaus- und gegenseitig aufeinander verweisen“291.
Er plädiert für Spezialisierung und Profilierung der Gemeinden und für eine sakramentale und diakonale Begründung der Identität christlicher Gemeinden, wie das II. Vatikanum sie konzipiert habe.
4 (Kirchen-)Politik und Pastoral(-theologie): Die Beobachtungen
Unübersehbar an dieser engagierten Diskussion führender Vertreter einer pastoraltheologisch sensiblen Soziologie bzw. Dogmatik ist, dass beide Diskutanten bemerkenswert aneinander vorbei argumentieren, knapp zwar, aber doch deutlich. Sie tun das, insofern sie sich weniger mit der realen Argumentation des Kontrahenten befassen, sondern mit möglichen kirchenpolitischen Konsequenzen seiner Position.
Werbick sieht in der massiven Gemeindekritik von Ebertz und seiner Vernetzungsoption zuletzt die Klerikalisierung der Kirche auf modernisiertem Niveau und er stellt dem, schon ein wenig paradox, ein deutlich priesterzentriertes Vergemeinschaftungskonzept von Kirche auf Basisebene gegenüber, ein Konzept, das zu retten und zu erneuern wäre, wenn man denn die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt änderte und so mehr Priester bekäme. Das setzt im Übrigen voraus, dass dieses Modell nur am Priestermangel und nicht eben auch daran gescheitert wäre, dass solche Gemeinschaftsidyllen hoch ideologieanfällig sind und ziemlich jenseits der Realität entwickelter Gesellschaften liegen. Ebertz’ Kritik an Werbicks Position als „Romantizismus“ scheint also nicht ganz ohne Gründe.
Ebertz zielt nun aber seinerseits an Werbick vorbei, wenn er dessen Angst vor primär an Priesterzahlen orientierten kirchlichen Raumordnungskonzepten, wie sie ja tatsächlich allüberall die Szene bestimmen,292 nicht wahr- und so auch nicht ernst nimmt. Und ohne Zweifel stimmt ja, dass die sehr bedenkenswerten Ansätze von Ebertz293 funktionalisiert werden können für die Verlängerung eines hoch problematischen kirchlichen Systems: Ein primär soziologisch-analytischer Ansatz, hilfreich und hellsichtig in vielem, kann in systemstabilisierende Optionen umschlagen.
Spiegelbildlich blendet Werbick – zumindest in dieser Diskussion – die Realität des individualisierten Lebens in hoch entwickelten Gesellschaften doch recht weitgehend aus, nimmt er soziologische Erkenntnisse nicht wirklich ernst, beziehungsweise baut er sie ein in sein kirchenpolitisches, ansonsten ja nachvollziehbares und gut begründetes Options- und Ängsteraster.
Das (kirchen-)politische Kräftefeld, stark und mächtig in dieser Frage, verschiebt und versetzt die argumentativen Vektoren aus der eigentlich angezielten gemeinsamen Ebene. Insofern ist diese kleine Diskussion geschätzter (und sich offenkundig schätzender) Kollegen auf pastoraltheologischem Feld ein schönes Exempel für das, was man die „politische Ablenkbarkeit des theologischen Diskurses “ nennen könnte: ganz hinter dem Rücken der Beteiligten und diesseits aller bewussten Funktionalisierung und Instrumentalisierung.
Widerstand gegen diese „politische Ablenkbarkeit“ könnte im Rückgriff auf Gaudium et spes und dabei speziell auf dessen beiden zentralen Termini, den Volk-Gottes- und den Pastoral-Begriff, erworben werden. Werbick wie Ebertz verzichten in ihren Artikeln sowohl auf den konziliaren Volk-Gottes-Begriff wie auf den konziliaren Pastoral-Begriff. Sie verzichten mit dem Volk-Gottes-Begriff auf die Basis für die kontrollierte Zuordnung von soziologischen und theologischen Kategorien in den soziologischen Kategorien und mit dem Pastoral-Begriff auf die Basis für die Zuordnung von soziologischen und theologischen Kategorien in den theologischen Kategorien.
Die Kirche als soziale Größe kommt mit dem Volk-Gottes-Begriff unter einen theologischen Horizont, denn der Volk-Gottes-Begriff besagt, dass die Kirche nicht irgendein Volk ist und nicht irgendeine gesellschaftliche Institution, sondern nur dann die Kirche Jesu, wenn sie die Institution des Volkes des Gottes Jesu ist. Das aber zeigt sich darin, ob in ihr dieser Gott in Wort und Tat präsent ist und also erfahren werden kann.
Die Kirche als theologische Größe kommt mit dem zweitvatikanischen Pastoral-Begriff aber unter eine soziologische Herausforderung, insofern dieser Begriff in Gaudium et spes die kreative und handlungsbezogene Konfrontation von Welt und Evangelium meint.
Der konziliare Volk-Gottes-Begriff294 wiederum verhindert, in jenen katholischen Institutionalismus abzugleiten, der die Existenz, Größe und Fortdauer der Sozialform für die Existenz, Größe und fortdauernde Präsenz des Evangeliums nimmt; der Pastoral-Begriff aber verhindert, dass kirchliche Sozialformen sich in irgendeiner Weise als selbstbezügliche Gleichgesinntengrüppchen konstituieren, denen die Existenzprobleme der Menschen von heute fremd sind und die diesen dann mit kulturpessimistischer Abwertung begegnen.
Ersteres, ein modernisierter Institutionalismus, das ist die