An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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notwendig und geltend erachten. Dieser Machtwechsel aber schreibt sich beiden, Individuen und Kirchen, unmittelbar ein.

      Die katholische Kirche muss in unseren Breiten mit nichts weniger als dem Zusammenbruch ihrer altbewährten machtgestützten Formation zurechtkommen. Religiöse Praktiken werden unter ein individuelles Nutzenkalkül gestellt. Das gilt seit einiger Zeit auch für Katholiken und Katholikinnen.307 Ein „großer Teil des religiösen Pluralismus“, so Karl Gabriel, „spielt sich … unter dem Dach der großen Kirchen ab.“308

      Das Nutzungsmuster von Kirche hat sich damit grundsätzlich gewandelt. Alle kirchlichen Handlungsorte geraten heute unter den permanenten Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder.309 Die Mehrheit der KatholikInnen nutzt die Kirche als „Kasualienfromme“310, fragt aktiv nur Ritualbegleitung an den Lebenswenden ab.311 Zudem wächst der Anteil jener, der nicht einmal dies mehr tut. Eine einschlägige Studie zum Themenfeld, der MDG-Trendmonitor 2010 „Religiöse Kommunikation“312, offenbart einmal mehr die mittlerweile breit dokumentierten Befunde einer grundsätzlichen Umstellung in der Kirchenbindungsstruktur und akzentuiert dies noch einmal generationenspezifisch, insofern er verdeutlicht, dass sich bei den jungen Kirchenmitgliedern keineswegs ein Gegentrend abzeichnet – im Gegenteil.

      Wie nun zeigt sich der c. 571 § 2 in diesem Kontext? Im Lichte des epochalen Machtwechsels im Verhältnis von Individuum und religiösen Institutionen erscheint der c. 571 § 2 in einer merkwürdigen Doppelgestalt. Einerseits wirkt er als von diesem Machtwechsel scheinbar gänzlich unberührte, dekontextualisierte innerkirchliche Angelegenheit, die eine komplexe Ausnahmeregelung im Priester-Laien-Verhältnis vornimmt, dabei aber ein entscheidendes Merkmal religiöser Partizipation heute, ihre strikte Freiwilligkeit, außen vor lässt und im gewissen Sinne so tut, als ob die Standesherrschaft der Priester über die Laien noch selbstverständlich wäre, weswegen es Notlagen und manche theologischen Umwegargumentationen braucht, um sie an gemeindlichem Ort zumindest ein wenig zu relativieren.

      Dass solch ein dekontextualisierter Diskurs möglich ist, der Laien, im Sinne des religiösen Marktes also die potentiellen Kunden, ganz selbstverständlich in eine untergeordnete Position gegenüber Priestern bringt, kann nun seinerseits wieder vieles bedeuten, etwa, und am naheliegendsten, dass die neue, kundenabhängige Lage der Kirche noch nicht wirklich in deren reflexives Bewusstsein gedrungen ist und sie sich immer noch im Zustand selbstverständlicher Herrschaft über ihre Mitglieder glaubt, einem Zustand, der bestenfalls gnädige Ausnahmeregelungen ihnen gegenüber erlaubt. Oder, wahrscheinlicher, dass die (gesetzgeberisch) Verantwortlichen der katholischen Kirche diese neue Lage zwar realisiert haben, der katholischen Kirche aber keine angemessenen Reaktionsmechanismen zur Verfügung stehen, darauf kreativ zu reagieren. Oder der c. 517 § 2 ist vielleicht die verschämte, also mehr oder weniger verschwiegene und versteckte Reaktion auf die neue kirchliche Lage.

      Der dekontextualisierte Diskurs zum c. 517 § 2 macht aber auch auf eine spezifische Verschiebung im Rahmen dieses Machtwechsels aufmerksam: Zwischen Hauptamtlichen aller Art und den übrigen Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche verläuft, anders noch als zu Zeiten des katholischen Milieus, heute eine höchst relevante Grenze. Hauptamtliche sind die letzten Laien, für welche die Freiwilligkeit und Offenheit religiöser Partizipation nicht gilt und klerikale Anweisungsmacht zumindest in erheblichen Resten noch besteht. Alleine die hauptamtlichen Laien sind unter einer gewissen priesterlichen Aufsichtsmacht verblieben. In diesem spezifischen innerkirchlichen Kontext und gegenüber Laien-Hauptamtlichen erscheint dann der c. 517 § 2, wiewohl er ja Laien einen gewissen Anteil an priesterlichen Statusrechten gibt, durch den Ausnahme- und Defizitcharakter, den er stets mitkommuniziert, als spezifischer Ausläufer eben jenes klerikalen Herrschaftsanspruchs.

      Freilich, es gibt in diesem Zusammenhang noch einen ganz anderen, geradezu gegenteiligen Aspekt der neuen Lage der Kirche und er betrifft nun nicht das professionelle Innen, sondern eher das interessierte Außen. In postmodernen religiösen Kontexten und also auf dem religiösen Markt, der ja weniger dauerhafte Mitgliedschaft als situative, temporäre und intensitätsorientierte Partizipation kennt, besitzen profilierte, eigenwillige, sozusagen merk-würdige Angebote durchaus spezifische Marktchancen. Priesterliche Monopolismen, die den Priester gar sazerdotal im Gestus eines „heiligen, unberührbaren Mannes“ aufladen, entwickeln gerade in einer ansonsten strukturell säkularisierten und kirchlicher, ja religiöser Autorität entwöhnten Gesellschaft in gewissen, eng umschriebenen, aber nicht bedeutungslosen Kreisen durchaus eine gewisse Attraktivität.313

      In dieser Perspektive erscheint dann der c. 517 § 2, wie überhaupt schon die Anstellung und liturgische Aufgabenbetrauung von theologisch qualifizierten LaienmitarbeiterInnen, als Aufweichung der doch so eindrucksvoll unzeitgemäßen priesterlich-sazerdotalen, nicht ins Belieben des Volkes und damit jedermanns, sondern in die Heiligkeit eines ewigen göttlichen Willens gestellte Verfasstheit der katholischen Kirche.

       3 Die Gemeindeleitungsproblematik im Kontext der professionellen Struktur der deutschen Kirche

      Wie nun zeigen sich die Gemeindeleitungsproblematik und speziell der c. 517 § 2 im Kontext der klassisch pastoraltheologischen Frage nach Konzeptionen und Realität – beides ist bekanntlich alles andere als identisch – der kirchlichen basisnahen Organisationsformen in den letzten Jahrzehnten?

      Das dominierende pastoralkonzeptionelle Modell für die Basisorganisation der katholischen Kirche der letzten Jahrzehnte war das Konzept der „lebendigen Gemeinde“. Die Ende des 19. Jahrhunderts zuerst im evangelischen Bereich entstehende Gemeindetheologie314 wollte intensive interne Kommunikation und Fürsorge sicherstellen. „Organisatorisch bedeutet dies eine Unterteilung der Gemeinde in immer kleinere Bezirke – denn zum einen sollte jedes Mitglied erfasst, gekannt und betreut werden“, zum anderen wollte man „eine auf persönlicher Kenntnis beruhende Gemeinschaft der Gemeindemitglieder untereinander.“315

      Es hat gedauert, bis die quasi familiär verbundene Gemeinde zur Basis katholischen Organisationsdenkens wurde, letztlich geschah das erst Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Beispielhaft hierfür steht Ferdinand Klostermanns Parole „Unsere Pfarreien müssen zu Gemeinden werden“316 aus der offiziösen Handreichung „Gemeinde“ für den pastoralen Dienst aus dem Jahre 1970. „Gemeinde“, das war hier konzipiert als Nachfolgestruktur der als anonym, bindungs- und entscheidungsschwach wahrgenommenen volkskirchlichen Pfarrstruktur.317

      Was real geschah, war freilich etwas ganz anderes. Zwar wurde die alte volkskirchliche und rein kirchenrechtlich definierte Territorialpfarrei mit gemeindetheologischen Kategorien aufgeladen, andererseits kam es ganz gegenläufig zu einem realen Funktionsverlust der Gemeinden im Zuge der pastoralen Professionalisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse der 1970er und 1980er Jahre.

      Die Gemeindetheologie der 1960er Jahre zeigt sich als Versuch, in Zeiten der beginnenden Freisetzung zu religiöser Selbstbestimmung auch von Katholikinnen und Katholiken die katholische Kirche von einer amtszentrierten Heilsinstitution zu einer quasi-familiären Lebensgemeinschaft umzuformatieren. Durch Aufbau, Ausbau und theologische Unterfütterung einer spezifischen Sozialform von Kirche sollten die freiheitsbedingten Erosionsprozesse kirchlicher Konstitution gestoppt werden.

      Das offenkundige Scheitern dieser Konzeption318 wird gegenwärtig vor allem im Zusammenhang mit der Bildung immer größerer pastoraler Räume diskutiert. Es stimmt ja tatsächlich: Alle aktuellen pastoralplanerischen Initiativen lösen das klassische „Normalbild“ einer um den Pfarrpriester gescharten, überschaubaren, lokal umschriebenen, kommunikativ verdichteten Glaubens- und Lebensgemeinschaft auf.

      Unter den gegenwärtigen kirchenrechtlichen Bedingungen können die Pastoralämter gar nicht anders. Denn wenn man immer weniger zur Leitung privilegiertes Personal in einer hierarchischen Organisation hat, dann muss man es logischerweise auf einer höheren Organisationsebene

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