An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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Partizipationsgrad zwischen tiefster Teilhabe und diffuser „Abwesenheit in der Anwesenheit“ offen bleiben kann, hat die Liturgie die Chance, der zentrale Ort der Integration von Gemeinde im Angesicht Gottes zu werden. Damit ist aber auch schon der zweite, wichtigere Grund benannt: Die Liturgie ist der zentrale gnadentheologische Vollzug der Kirche, sie ist Ort der diskreten Öffnung der Menschen zueinander angesichts der unendlichen Offenheit Gottes für uns.

      Zum anderen aber muss sich die Pfarrei als Angebotsstruktur des Evangeliums in der Fläche bewähren. Wieder legt dies die Dopplung von soziologischen Eigenschaften und gnadentheologischem Auftrag nahe. Denn als Angebotsstruktur präsentiert das Territorialprinzip eine einfache, überschaubare Organisationsstruktur, die identifizierbare Orte und damit erreichbare Nähe für Erst- oder Dauerkontakte zur Botschaft des Evangeliums angibt.

      Theologisch kann das Territorialprinzip als ein Signal diakonischer Selbstanbietung der Kirche an und für alle verstanden werden. Es steht für die Ungeschuldetheit und Offenheit der Gnade Gottes an alle, wo immer sie leben und wer immer sie sind. Das Territorialprinzip zwingt die Kirche hinein in die Gesellschaft, zwingt Kirche, alle Menschen wahrzunehmen, sich mit ihren Sorgen und Nöten zu identifizieren, sie in sich aufzunehmen, ihnen gerecht zu werden. Das Territorialprinzip ist damit – ganz gegen den ersten Anschein – ein großer Anspruch.

       5 Und ansonsten: Vertrauen in den institutionellen Möglichkeitssinn des Volkes Gottes

      Das Neue ist in seinem Wesen Überraschung. Deswegen ist wenig von dem, was kommen wird, heute noch oder schon planbar. Die Statik der Unveränderlichkeit war das Signum des Selbstverständnisses vormoderner Zeiten, die Planbarkeit der Zukunft die Ideologie der klassischen Moderne. Die Gegenwart aber ahnt die Brüchigkeit aller Logik der Projekte: Die Zukunft wird nicht das sein, was wir heute planen. Was wir heute planen, wird die Zukunft bestimmen, natürlich, aber wie, das wissen wir nicht.

      In der katholischen Kirche scheint – gerade was ihre Basisorganisation betrifft – noch der Kampf zwischen den Statikern der Unveränderlichkeit und den Technokraten der Zukunft zu toben. Das macht es nicht eben einfach, Vorschläge, die auf der Basis der Unplanbarkeit der Zukunft oder – theologisch gesprochen – auf dem Gnadenwirken Gottes, dem Glaubenssinn des Volkes Gottes und der prophetischen Autorität seiner Hierarchie beruhen, vorzulegen. Solche Vorschläge wären:

       Die „Zeichen der Zeit“ erkennen: Das Ende der unterstellten Selbstverständlichkeit

      Pastoral entsteht aus der kreativen Konfrontation von Evangelium und Existenz. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir den Sinn, und schon gar nicht, dass wir die Bedeutung des Evangeliums heute wirklich kennen. Dazu, sagt das Konzil (Gaudium et spes 4), ist zum Beispiel die Kenntnis der „Zeichen der Zeit“ notwendig, also die Wahrnehmung der Herausforderungen, die dem Evangelium heute gestellt sind. Diese Wahrnehmung ist daher das erste Thema der Pastoral und also auch der Pastoraltheologie. Mit ihr hat alle Pastoral zu beginnen – nicht mit der Apologetik von kirchlichen Sozialformen.

       Pastorale Prozessorientierung statt Sozialformorientierung

      Natürlich braucht pastorales Handeln Strukturen und stiftet Pastoral Gemeinschaft. Aber das sachlich Primäre ist der pastorale Prozess und er ist es gegenwärtig immer mehr auch zeitlich. Pastorale Erfahrungen stiften Gemeinschaft und geben ihr Dauer und Stabilität, ohne sie verdunsten kirchliche Gemeinschaften oder sklerotisieren sich in Autoritarismus und Bürokratismus. Pastoral und Pastoraltheologie sollten sich Orten gelingender pastoraler Prozesse, ihren Bedingungen und Möglichkeiten mehr widmen als der Rettung alter pastoraler Orte. Sie sollten schauen, was warum an Pastoral wo gelingt, und das analysieren und weitergeben. Das wäre die notwendige „materiale Wende“ in der katholischen Pastoral(-theologie).

       Tendenzielle Aufhebung der Trennung von Pfarr- und Kategorialpastoral

      Die alte Trennung von Pfarr- und Kategorialpastoral scheint immer weniger funktional zu sein für die Organisation pastoraler Prozesse.263 Sie separiert, was gerade in seiner Differenzierung sich wahrnehmen, kennen und bereichern müsste. Daher scheint eine differenzierte Struktur „dichter pastoraler Orte“ das Naheliegendste zu sein: ausstrahlungsstarke, erkennbare, niederschwellige Orte pastoraler Intensität, zu denen man kommen, zu denen man hin verwiesen werden, von denen man aber auch wieder gehen kann. Das einschlägige Stichwort heißt bekanntlich „Netzwerk“.264 Voraussetzung hierfür wäre natürlich das Ende jedes Sozialformegoismus.

      Zuletzt aber bräuchte es eben dies: Vertrauen in das Volk Gottes und seinen kreativen Möglichkeitssinn.

       KIRCHENPOLITIK UND PASTORALTHEOLOGISCHER DISKURS

       Beiläufige Beobachtungen über ihren Zusammenhang am Beispiel einer Kontroverse zwischen M. N. Ebertz und J. Werbick

       1 Das Problem

      Jürgen Werbick und Michael N. Ebertz tauschten vor einiger Zeit die argumentativen Klingen zur viel diskutierten Frage nach der „Zukunft der Gemeinde“, beziehungsweise, ein wenig grundsätzlicher und eigentlich missverständlich formuliert, zur „Verörtlichung des Glaubens“.265

      Der Dogmatiker Werbick und der Soziologe und Pastoraltheologe Ebertz repräsentieren die beiden zentralen Referenzwissenschaften der Pastoraltheologie. Sie führen in ihrer kleinen, aber repräsentativen Debatte einen aktuellen, zudem ohne Zweifel relevanten pastoraltheologischen Diskurs von einigem Niveau. Die argumentativen Pfeile fliegen eindrucksvoll hinüber und herüber, allerdings aneinander vorbei: knapp sicherlich, aber eben unübersehbar. Diese Konstellation sich wechselseitig vielleicht noch berührender, kaum schneidender, vor allem aber nicht treffender Diskurse hat Gründe, die über den konkreten Kampfplatz und sein Thema hinausreichen.

      Um diese Gründe, also um die Struktur der Auseinandersetzung und was sich an ihr ablesen lässt, soll es im Folgenden gehen. Denn in dieser Auseinandersetzung zeigt sich ein bislang kaum bearbeitetes Thema des theologischen, speziell des pastoraltheologischen Diskurses: seine eigene Situierung im Feld des Politischen, speziell der innerkirchlichen politischen Vektoren. Natürlich ist sich der pastoraltheologische Diskurs seiner eigenen politischen (Interventions-)Chancen und Risiken bewusst,266 doch eher selbstverständlich behandelt er seine eigenen politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten. Wiewohl der pastoraltheologische Diskurs als „Praxiswissenschaft“ zentral im Feld des (Kirchen-)Politischen situiert ist, gibt es (praktisch) keine „Kritische Theorie der Pastoraltheologie“.267

      An der vorliegenden und hier analysierten Diskussion zweier renommierter Theologen zu einem umstrittenen pastoraltheologischen Thema sollen diese politischen Strukturierungen, Abhängigkeiten und Bedingtheiten analysiert werden. Es kann vermutet werden, dass diese Auseinandersetzung geradezu paradigmatische Qualität für die pastoraltheologische Diskussion, zumindest jene zum Bereich der Kirchenbildung, besitzt.

      Worum geht es inhaltlich? Schon das ist nicht so ganz klar und auf mindestens zwei Ebenen zu beantworten. Vordergründig geht es um die „Verörtlichung des Glaubens“, was aber auch schon nicht wirklich zutrifft, denn keiner der beiden Kontrahenten bestreitet die Notwendigkeit solcher „Verörtlichung“. Auch Ebertz betont, dass der Glaube auf „verörtlichte Begegnungen angewiesen ist“ und eben nicht „umgebettet werden“ könne „in ortlose Beziehungen etwa des neuen sozialen Raums der elektronischen Medien“268.

      Mit

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