An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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Hirten, ist die Gefahr der Werbickschen Position, und Ebertz hält sie ihm vor.

      Man muss aber die beiden Positionen nicht von ihren Schwächen, sondern von ihren Stärken her nehmen. Die Stärke der Ebertzschen Position ist ihr realistischer, unvoreingenommener Blick auf die Beziehungen von Individuum und Institution, von Einzelnem und Kirche. Die Stärke von Werbicks Position ist der klare Blick auf die systemkonformistischen Implikationen und Versuchungen der Ebertzschen Position und die Option für die „Fläche“ als Herausforderung für die pastorale Raumordnung in Zeiten des zunehmenden Ressourcenmangels, eine Herausforderung, die man stärker diakonisch und über den Pastoral-Begriff als Pflicht zur unbedingten Solidarität (Gaudium et spes 1) mit allen Menschen begründen sollte.

      Welche Konsequenzen material aus der Diskussion zu ziehen wären, wäre eigens zu erörtern. Man könnte etwa zwischen der Gemeinde als territorialer Angebotsstruktur und als punktueller, knotenartiger Rezeptionsstruktur innerhalb einer gesamtpastoralen Handlungskonzeption von Kirche unterscheiden. Vor allem aber käme es darauf an, nicht von den Sozialformen her auf deren Funktionen, sondern von den notwendigen kirchlichen Funktionen her auf die dafür notwendigen Sozialformen hin zu denken, was übrigens auch die Beteiligung möglichst vieler in diese Transformationsprozesse einschlösse.

       DER LANGE WEG VOM ERLAUBNIS- ZUM ERMÖGLICHUNGSDISKURS

       Die Gemeindeleitungsproblematik im Kontext der Konstitutionsprobleme der katholischen Kirche in den entwickelten Gesellschaften Deutschlands und Österreichs

       1 Die Fragestellungen

      Man kann die Frage nach einer in der katholischen Kirche heute möglichen Gemeindeleitung durch Laien in verschiedenster Weise kontextualisieren. Es wäre etwa möglich, sie diachron durch die Kirchengeschichte zurückzuverfolgen, in der bekanntlich die Einflussrechte der sogenannten „Laien“ auf allen Ebenen der Kirche sehr wandelbar waren, über lange Jahrhunderte jedenfalls sehr viel größer als heute,295 und für die neutestamentliche Zeit gar gesagt werden kann, dass, ich zitiere den Grazer Neutestamentler Christoph Heil, die „auf den galiläischen ‚Laien‘ Jesus von Nazareth zurückgehende Erneuerungsbewegung … in den ersten Generationen keine innergemeindliche Gegenüberstellung von ‚Klerikern‘ und ‚Laien‘ (kannte)“296. Marlis Gielen stellte zudem jüngst fest, dass

      Frauen … in der ersten urchristlichen Generation funktionsidentisch mit Männern Aufgaben in der Gemeindeleitung wahr(nahmen), und zwar gleichermaßen im Bereich der Gemeindeorganisation wie im Bereich der vertiefenden Evangeliumsverkündigung297

      und man im Neuen Testament vergeblich „nach einer Verbindung zwischen gemeindebezogenen Funktionsbegriffen und der Funktion des Vorsitzes bei der gemeindlichen Herrenmahlfeier“298 suche.

      Man kann die Problematik natürlich auch auf die Erfahrungen mit dem c. 517 § 2 focussieren, der unter spezifischen Bedingungen erlaubt, Laien an der Ausübung der Hirtensorge („cura pastoralis“) einer Pfarrei zu beteiligen, und dann synchron durch die kirchlichen Weltregionen verfolgen, schließlich ist die katholische Kirche spätestens seit dem II. Vatikanum nicht nur realiter, sondern auch in ihrer konzeptionellen Selbstreflexion vom Eurozentrismus zur globalen Perspektive übergegangen, entdeckt sie dort ihre Katholizität nach innen und außen neu299 und reflektiert sie den Glauben erstmals im Horizont globaler Modernisierung.300

      Hier soll demgegenüber das Thema zeitlich und örtlich eingerenzt werden: Es wird im Folgenden um Europa und speziell den deutschsprachigen Raum der Gegenwart gehen. Dabei soll die Gemeindeleitungsproblematik in drei Kontexten betrachtet werden, die neben dem kirchenrechtlichen für Kirchenbildungsprobleme einschlägig sein dürften.301 Ich werde von „außen nach innen“ vorgehen und die Gemeindeleitungsproblematik zuerst in einen religionssoziologischen, dann in einen pastoraltheologischen und schließlich in einen systematisch-theologischen Kontext gestellt wird.

      Religionssoziologisch wird es um die Frage nach dem aktuellen Wandel in den Vergesellschaftungsprozessen von Religion in Europa gehen, einem Wandel, der gerade die katholische Kirche und ihre Sozialformen massiv umformatiert; pastoraltheologisch geht es um die Frage nach Konzeption und Realität der kirchlichen basisnahen Organisationsformen in den letzten Jahrzehnten, und systematisch-theologisch schließlich um die normative Selbstdefinition von Kirche, wie sie im II. Vatikanum vorliegt, welche normative Selbstreflexion das für unser Thema einschlägige Verhältnis von Laien und Klerikern grundlegend neu entwirft.

      Alle drei Fragestellungen sind von manifesten Dialektiken und Spannungen durchzogen. Sie können hier nur in thetischer verkürzung erörtert werden. Zumal abschließend gezeigt werden soll, dass diese drei analytischen Kontextualisierungen der Gemeindeleitungsproblematik sich in einer gewissen Weise zu einem neuen Horizont zusammenschließen, von dem zu hoffen ist, dass er eine weiterführende Perspektive eröffnet.

       2 Die Gemeindeleitungsproblematik im Kontext neuer Formen religiöser Vergesellschaftung

      Das Christentum hatte sich seit der Spätantike als spezifisches Machtgebilde aufgefasst und entworfen, hat die Relevanz der eigenen Botschaft in eindrucksvolle, machtdichte Sozialformen seiner selbst umgesetzt. Das Christentum hat mit der „Pastoralmacht“302, so Foucault, eine völlig neue Form religiöser Organisation und mit ihr eine ganz neue Machtform entwickelt.

      Mit dem Auseinanderbrechen der mittelalterlichen „christianitas“ in der Reformation begann nach dem Konzil von Trient für die katholische Kirche schließlich jener neuzeitliche Weg, der für sie geradezu charakteristisch wurde und zu einer massiven reaktiven Verdichtung der sozialen Organisationsform kirchlicher Pastoralmacht führte: Die Schübe kirchlichen Reichweitenverlusts wurden seitdem durch Verdichtung der verbliebenen Sozialräume kompensiert, Exklusion und Integration also miteinander verschränkt.303

      Das Theorem der „societas perfecta“ formuliert dabei theologisch, was sich sozialgeschichtlich als der neuzeitliche Zwang zur „Organisation“ beschreiben lässt. Die Pianische Epoche der jüngeren katholischen Kirchengeschichte von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts kann als Höhepunktphase dieser Form nun vor allem innerkirchlicher Pastoralmacht verstanden werden.304 Mit der allmählichen Liquidierung des „katholischen Milieus“ in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und mit der Freigabe zur religiösen Selbstbestimmung auch für Katholiken und Katholikinnen, als mithin die schon länger wirksame strukturelle Säkularisierung der bürgerlichen Gesellschaften auch in die kulturelle Realität der Katholiken und Katholikinnen einwanderte, geriet nun aber die kirchliche Pastoralmacht in ihre aktuelle Krise.

      Im gewissen Sinne findet gegenwärtig nichts weniger als die Verflüssigung der Kirche als eines sozialen Herrschaftssystems statt.305 Religiöse Praktiken werden im Zuge der globalen Durchsetzung eines liberalen, kapitalistischen Gesellschaftssystems in die Freiheit des Einzelnen gegeben306 und folgen damit im Übrigen nur vielen anderen, ehemals der Entscheidungsfreiheit des Individuums entzogenen Praktiken, etwa der Orts-, Berufs- oder Partnerwahl.

      Auch in europäischen Gesellschaften mit starken, rechtlich wie finanziell privilegierten Kirchen und selbst für Katholikinnen und Katholiken gilt nun immer mehr, was etwa in der US-amerikanischen Gesellschaft auf Grund der ganz anderen religionspolitischen Vorgeschichte schon immer galt: Die Machtverhältnisse zwischen Individuum und den ehemals mächtigen Verwaltern der Religion haben sich umgedreht. Nicht mehr das Individuum richtet sein Leben nach den mehr oder weniger selbstverständlich übernommenen religiösen Vorgaben, sondern die aktuellen religiösen Praktiken werden nach den individuellen biografischen und existentiellen

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