An neuen Orten. Rainer Bucher

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An neuen Orten - Rainer Bucher

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ist zuzugeben, dass die konziliar kritisierte klerikale Monopolisierung kirchlichen Handelns nachkonziliar nach und nach wieder ein wirksameres Ordnungsmodell kirchlicher Realität zu werden begann338 und dies wohl nicht zuletzt auf der Basis des 1983 eingeführten neuen CIC. Immerhin hält Norbert Lüdecke über diesen fest: „Der CIC schafft mit dem Material des II. Vatikanischen Konzils eine kirchliche Ordnungsgestalt, welche die Ekklesiologie des Ersten unbehelligt lässt und zusätzlich abstützt.“339 Mag Lüdeckes Aussage auch eine zugespitzte Interpretation des Verhältnisses des CIC 1983 zum II. Vatikanischen Konzil sein,340 sie formuliert zumindest eine Kirchenrechtsinterpretation, die zunehmend an Einfluss gewinnt und dem Versuch einer faktischen Reklerikalisierung der kirchlichen Wirklichkeit Vorschub leistet, wie es auch diverse Instruktionen tun.341

      Hinsichtlich der Stellung der Kirche zu ihrem Handeln aber gilt: Die katholische Kirche definiert ihre Pastoral nicht mehr im Horizont ihrer kirchlichen Institutionalität, sondern ihre Institutionalität im Horizont ihres pastoralen Grundauftrages. Das Konzil stellt der Kirche die Aufgabe, „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium 1) und so das „allumfassende Sakrament des Heiles“ zu sein, „welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht“ (Gaudium et spes 45).

      Die polare Einheit von „offenbaren“ und „verwirklichen“ formuliert nichts weniger denn eine „pastorale“ oder, philosophisch gesprochen, eine „pragmatische Wende“342 in der katholischen Ekklesiologie, also eine handlungsbezogene Reformulierung der kirchlichen Lehre von sich. Denn es heißt: Die Kirche offenbart diese Liebe, indem sie diese verwirklicht, in Wort und Tat, in Hingabe und Selbstlosigkeit. Allein schon dass man, bekanntlich nach langen Kämpfen und Auseinandersetzungen, eine „Pastoralkonstitution“ in die Quadriga der zentralen Konzilstexte aufnahm und damit den Pastoralbegriff mit dem Offenbarungs-, dem Kirchen- und dem Liturgiebegriff auf die gleiche Ebene stellte, belegt dies.

      Das II. Vatikanum bedeutet eine echte Revolution im Pastoralbegriff der Kirche.343 Es überwindet nicht nur individualistische Engführung auf „Seelsorge und Seelenführung“ und die klerikale Engführung auf die Priester, vor allem überwindet es einen Begriff von Pastoral, der sie als sekundär gegenüber der Kirche und ihrer Lehre fasst.344

      Operativer Zentralbegriff für diese pastorale Wende aber ist die Kategorie der „Zeichen der Zeit“ (Gaudium et spes 4),345 welche nicht irgendwelche mehr oder weniger zufälligen Kontextbedingungen kirchlichen Handelns meint, sondern die säkularen Herausforderungen, an denen sich das Evangelium zu bewähren hat, weil das Volk Gottes in ihnen Sinn, Bedeutung und Handlungskonsequenzen des Evangelium situativ neu entdecken muss.

      Gegenüber der konziliaren Trias von Volk-Gottes-Theologie, gesamtheitlichem, existenzlegitimierendem Pastoralbegriff und pastoraler „Zeichen der Zeit“-Orientierung wirkt der c. 517 § 2 nun aber wie der ebenso ungeliebte wie ein wenig überraschende Versuch des Kirchenrechts, die de facto Vernachlässigung der Volk-Gottes-Theologie im CIC 1983 durch einen explizit nicht-theologischen, rein pragmatisch346 begründeten Öffnungsbeschluss an sensibler Stelle ein klein wenig zu relativieren.

      Denn natürlich würde spätestens die offiziell nicht vorgesehene, hier und da aber versuchte347 relativ weiträumige Anwendung des c. 517 § 2 die Erlebnisrealität kirchlichen Handelns – zumindest in Europa348 – massiv verändern und einen Hauch von Volk-Gottes-Realität in den kirchlichen Innenbereich wehen lassen.

       5 Perspektiven einer zukünftigen Sozialgestalt von Kirche

      Pastoraltheologie ist als gegenwartsorientiertes und risikoreiches Fach auf der Schwelle zur Zukunft349 eine jener theologischen Disziplinen, die Musils berühmten „Möglichkeitssinn“ nicht nur entwickeln darf, sondern muss. Nun gilt zwar, dass die Zukunft kaum je so unvorhersehbar gewesen sein dürfte wie gegenwärtig, da sie weder mehr, wie vor der Moderne, die Verlängerung einer normierenden Vergangenheit, noch, wie modern, die Vorgeschichte einer glorreichen Zukunft, sondern voller Überraschungen ist, und zudem ist ziemlich unklar, wie, ja ob komplexe soziale Systeme überhaupt im größeren Ausmaß heute noch steuerbar sind350 und ein ziemlich neuen Kontextbedingungen ausgesetztes System wie die katholische Kirche gleich gar.351 Mit diesen Einschränkungen kann man aber natürlich schon fragen: Was ergibt sich aus dem bisher Gesagten für eine zukünftige Sozialgestalt der Kirche?

      Erstens: Alle zukünftigen Sozialformen der Kirche werden davon ausgehen müssen, dass die Kirche nicht mehr die Herrin über die Partizipationsmotive ihrer eigenen Mitglieder ist und auch nicht mehr werden wird.

      Dies erfordert eine grundlegende Transformation der kirchlichen Pastoralmacht und diese Transformation kommt einer Selbstüberschreitung gleich. In früheren Formen der kirchlichen Pastoralmacht hatte das totalisierende Element dominiert: Alles sollte unter die Pastoralmacht kommen, so in der Pianischen Epoche, oder es hatte, so in der Gemeindetheologie, das individualisierende Element in einer emanzipatorischen Variante dominiert: Das pastoraltheologische Stichwort hierfür lautete „Subjektwerdung“.

      Heute aber ist das Selbstlosigkeitsmerkmal notwendig der Horizont aller kirchlichen Pastoral. Grundsätzlich interessiert sich auch heute noch Pastoral für jeden Einzelnen und jede Einzelne und grundsätzlich interessiert alles an ihr und an ihm. Aber diese beiden Merkmale verlieren den ambivalenten Horizont von „Überwachen und Bewachen“, den sie in der klassischen Pastoralmacht und ihrer agrarischen Hirtenmetapher352 hatten. Sie werden von Forderungen an andere – alle müssen alles in den Kontext der Religion einbringen – zu Anforderungen an die Kirche: Sie werden zur Aufgabe, niemandem und keinem seiner Probleme auszuweichen. Sie werden also von Zumutungen der Kirche an ihre Mitglieder zu Zumutungen der Menschen an die Kirche.

      Zweitens: Die Kirche muss sich weitgehend erst noch jenes Instrumentarium bereitstellen, mit dem sie auf die Herausforderung ihrer epochalen Entmachtung in den Köpfen, Herzen und Hirnen ihrer eigenen Mitglieder reagieren kann. Der c. 517 § 2 ist vielleicht der allererste (und natürlich ungenügende) Vorschein davon.

      Die katholische Kirche wird um eine grundlegende Umstellung ihres Steuerungsinstrumentariums und überhaupt schon ihres Steuerungsdenkens nicht herum kommen.353 Es wird nicht mehr länger zielführend sein, klassisch modern in Sozialformen und gar noch primär in Über- und Unterordnungskategorien zu denken und damit in einer institutionellen wie inhaltlichen Selbstverständlichkeitsfiktion zu verharren.

      Der eigenen flüssigen Realität unter liquiden Kontextbedingungen wäre es angemessener, situativ, also im doppelten Index von Ort und Zeit, und dabei aufgabenorientiert zu denken und auf dieser Basis dann flexible Sozialformen seiner selbst zu entwickeln, in einem offenen Such- und permanenten Evaluationsprozess. In Anfängen ist das an der pastoralen Basis wahrscheinlich schon längst der Fall.

      Drittens: Die Kirche wird unter den spätmodernen Bedingungen des religiösen Marktes viele differenzierte, vernetzte und konkurrenzfrei agierende Orte brauchen, wo sie sich ihrer pastoralen Aufgabe, der konkreten und kreativen Konfrontation von Evangelium und Existenz, stellt.

      Der Weg von einer kirchlichen Konstitutionsstruktur, bei der vorgegebene Gemeinschaftsformen ihre Aufgaben suchen, zu einer Konstitutionsstruktur, deren Basis aufgabenbezogene, selbstlose Vergemeinschaftungsformen bilden, scheint die aussichtsreichsten Perspektiven zu bieten.

      Das zentrale Merkmal vernetzter sozialer Strukturen ist die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Vernetzungsknoten, die aufgabenbezogene Vernetzungsflexibilität und die weitgehende Vernetzungsautonomie, also das weit reichende Recht der einzelnen Orte, die eigenen Vernetzungsstrukturen selbst zu knüpfen und zu lösen.354 Die territoriale

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