Gretge. „mit Hexen verwandt, als Hexe verbrannt“. Jürgen Hoops von Scheeßel
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Die Männer blieben im Flett rund ums offene Feuer unter dem Rähm sitzen und rauchten ihre Pfeifen. Der alte Tietke holte eine Buddel Selbst gebrannten aus seiner Kammer, die er für besondere Anlässe aufgehoben hatte. Heute, da er die Geburt seines ersten Enkelkinds erleben durfte, war so ein besonderer Anlass.
Weil die Soldaten auch das Zinngeschirr mitgenommen hatten, waren keine Becher im Hause, aus denen man den Holunderschnaps hätte trinken können. Man hatte sich mit Holztellern und Holzbesteck begnügt, die der Drechsler Hans Grobben hergestellt hatte, denn es war kein Geld zum Kauf für teures Besteck übrig geblieben. So ging die Flasche reihum. Tietke reichte sie dem zukünftigen Vater und Claus nahm einen kräftigen Schluck, der ihm eine gesunde Röte ins Gesicht zauberte. Dann trank Nachbar Ratchen, nachdem er Claus zugeprostet hatte. Die Flasche wanderte zurück zu Tietke, der reichte sie seinem Bruder Lewerenz, dem Großknecht, welcher mit am Feuer saß. Die Flasche ging weiter in der Runde umher, die nunmehr immer fröhlicher wurde. Tietke erzählte Geschichten aus alten Zeiten, aber man sprach auch über die Sorgen, wie man über den Winter kommen würde, wenn er zu lange andauerte. Lewerenz stand zwischendrin auf, um trockenes Pollholz in den eisernen Gitterkorb zu legen. Mit der Zeit verlor die Sonne an Kraft und Wärme, sodass die Winterkälte ins Haus kroch.
Die Holzklotschen, welche die Männer an den Füßen trugen, wärmten nicht und waren schon recht abgenutzt. Sie boten nur einen geringen Kälteschutz gegen den Lehmfußboden, der mit kleinen pflaumengroßen Fluss-steinen mosaikförmig ausgelegt war. So gingen die Stunden dahin, Tietke holte noch eine zweite Flasche hervor, seine Letzte und ließ sie zwischen den Männern kreisen. Hibbel, die zwischendurch ans Feuer kam, sich zu wärmen, trank gerne einen kräftigen Schluck mit.
VI
Mette lag unterdessen im Bett ihrer kleinen kalten Kammer und wurde von ihrer Schwiegermutter, der Magd Anne und Hibbel umsorgt. Das kleine Fenster war mit dünngeschabter gespannter Schweinehaut als Fenster-glasersatz bespannt, wodurch an hellen Tagen auch ein wenig Licht hereinfiel. Wenn es Abend wurde, stopfte die Magd gegen die eindringende Kälte Lumpen in die Löcher und verkeilte sie gegen Herausfallen mit einem eigens dafür vom alten Bauern gefertigten Brett. Es standen noch ein hölzerner Schrank mit zwei Schwenktüren und eine große eichene Truhe im Raum. Diese Truhe hatte Mette zur Hochzeit von ihren Eltern mitbekommen, um die Mitgift, aus Leinen, Tüchern, Bettzeug, Tischdecken, Nachthemden und vielerlei anderer Wäsche sowie die Tracht darin aufzunehmen. Die Spinn- und Webarbeiten sowie Stickereien hatte sie schon, wie alle anderen auch, als junges Mädchen erlernt und so in den Winterabenden im Kreise der Familie gefertigt, während die Männer am Feuer Geschichten erzählten.
So häuften fleißige Mädchen viel Wäsche für die Aussteuer an und weniger fleißige litten später Not, was die Wäsche anging. Mettes Truhe hatte innen an der linken Seite eine Lade mit einer Klappe, in die sie ihre kleinen Schätze, wie die Brosche, welche sie zur Hochzeit geschenkt bekam, hineinlegen konnte. Weiterhin war die „Hohe Kante“, eine Leiste, um darauf die Taler und Schillinge zu legen, vorhanden. Das Geld verwaltete die Ehefrau und den Schlüssel zur Truhe trug sie stets in der Schürze.
In den späten Nachmittagsstunden hatte Mette ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Hibbel wusch es mit warmem sauberem Wasser ab, nachdem sie die Nabelschnur mit einer Schere durchtrennt hatte. Dann trocknete sie das kleine Kind ab und wickelte es in wärmende Decken ein. Nun erst reichte sie Mette, die inzwischen von Anne und der alten Margarethe gewaschen und versorgt war, das Neugeborene.
Mette nahm ihre Tochter liebevoll in den Arm und schaute sie nachdenklich an. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen, die wenigen Haare auf dem Kopf schimmerten hellblond im Kerzenlicht. Das Gesichtchen war noch ein wenig schrumpelig, wie bei alten Leuten. Mette lächelte ihre Schwiegermutter an und sagte: „Sie soll Margarethe wie ihre Großmutter getauft werden“, woraufhin sie der alten Margarethe ihre Enkelin reichte. Margarethe setzte sich auf die Bettkante, nahm die Enkeltochter liebevoll in die Arme und schaute sie versonnen an.
Als das Kind zum ersten Mal die Augen aufschlug, sah es seine Großmutter mit großen Augen an und lächelte. Das erste Wort, welches es hörte, war „Gretge“. Die alte Margarethe sprach es mit Stolz und tiefer Freude aus. Sie schaute ihre Schwiegertochter dankbar an und legte ihre Hand auf deren Arm, als wolle sie Dank sagen. Dann stand sie auf, das Kind in den Armen, ging aus der Kammer in die Diele, zeigte den Männern stolz das Mädchen und erzählte, was ihr Mette gesagt hatte. Tietke nahm seinen Sohn Claus anerkennend in den Arm und freute sich mit ihm. Das Leben auf dem Hof würde weitergehen, auch wenn er einmal nicht mehr sein würde.
Claus nahm seiner Mutter das Kind ab und ging zu seiner Frau in die Kammer. Man sah ihm die Freude an, als er sich auf die Bettkante setzte. Mette lächelte und sagte: „Beim nächsten Mal wird es der Hoferbe sein und der soll Tietke, wie Dein Vater, gerufen werden. Sag es ihm bitte.“ Claus erwiderte: „Lass es gut sein. Die Hauptsache ist, Ihr beiden seid wohlauf. Wir haben einen harten Winter vor uns, aber wir werden es schon schaffen.“ Dann legte er Mette das Kind in den Arm und ging aus der Kammer zurück zu den anderen.
Anne hatte inzwischen das Abendessen für die Anwesen-den zubereitet. Es war nicht viel, aber das Wenige wurde gerne gegeben. Sie sprachen ein Dankgebet, dann wurde gespeist.
VII
Am zweiten Weihnachtstag des Jahres 1646 wurde das Kind in der Scheeßeler Kirche nach dem Gottesdienst durch Pastor Dornemann auf den Namen Margarethe getauft; nach der Großmutter, so wie es Mette wollte. Weil die Mütter nach der Niederkunft als unrein galten und deswegen sechs Wochen nicht in die Kirchen durften, war Mette bei der Taufe ihrer Tochter nicht dabei. Sie blieb daheim und die Dienstmagd Anne bereite ein beschei-denes Mahl zur Tauffeier im Hause vor.
Das Taufkleidchen und die Taufmütze hatte Mette sich bei der Bademutter gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen. “Gretge“, so wollte sie ihre Tochter Margarethe rufen, war in ein besticktes Tuch, welches ortsüblich „Lure“ bezeich-net wurde, eingewickelt. Die Lure konnten sich die Taufeltern beim Pastor ausleihen, mussten aber auch dafür eine Gebühr bezahlen. An diesem Tag gab es gleich zwei Taufen, denn am Heiligen Abend waren zwei Kinder im Kirchspiel lebend geboren worden.
Claus hatte nicht viele Freunde im Dorf. Er war zwar ein Vollhöfner, der aber arm war, wie viele andere während dieser schweren Zeiten auch. Sein Freundeskreis wurde nach der Hochzeit noch kleiner. Das Verhältnis zu den Nachbarn, bis auf einen, hatte sich merklich abgekühlt. Das begann, als sich herumsprach, dass er eine auswärtige Frau, die auch noch aus Höperhöfen im Nachbarkirchspiel stammte, heiraten würde.
Es mangelte ihm deswegen an Paten. Er konnte die im Kirchspiel Scheeßel üblichen fünf Paten, bei einem Mädchen drei Frauen und zwei Männer, nicht zusammen bekommen. Er brachte nur drei Paten auf, und das waren ausschließlich Verwandte. Seine eigene Mutter, seine Schwester Anna Heitmann aus Bartelsdorf und sein älterer Bruder Peter. Diese brachten den üblichen Tauftaler mit, auch wenn sie ebenso arm wie er waren. Die Einquartie-rungen und das Marodieren von Tillys Truppen zu seines Vaters Zeiten hatte immer noch verheerende wirtschaft-liche Auswirkungen auf die Menschen der Region. Das Wüten des nunmehr seit 28 Jahren tobenden Krieges hatten auch hier im Dorf schwere Folgen hinterlassen. Dieser Krieg sollte erst zwei Jahre nach Gretges Geburt offiziell beendet erklärt werden, wovon hier aber noch keiner etwas ahnte.
Die Paten bereiteten